Zum Hauptinhalt springen

"Datenschutz erschwert Vernetzung der Behörden"

Von Petra Tempfer

Politik
Ist bei einem Patienten der Psychiatrie eine Gefährdungslage gegeben, sollte künftig die Exekutive von dessen Entlassung informiert werden.
© adobe.stock / freshidea

Um Gewalttaten wie den Brunnenmarktmord zu verhindern, sollen Psychiatrien und Behörden künftig besser kommunizieren - um eine entsprechende Gesetzesreform rankt sich jedoch Kritik.


Es geht darum, Gewalttaten zu verhindern. Durch Maßnahmen im Vorfeld, die psychisch kranke, gefährliche Menschen nicht zu Tätern werden lassen. Ausschlaggebend war der sogenannte Brunnenmarktmord in Wien-Ottakring 2016, bei dem ein geistig verwirrter, obdachloser Mann eine Passantin mit einer Eisenstange erschlagen hat. Im Februar dieses Jahres hat das Justizministerium einen Gesetzesentwurf zur Reform des Unterbringungsgesetzes (UbG) auf den Weg gebracht, dessen siebenwöchige Begutachtungsfrist am 19. April endete.

Das UbG regelt die Aufnahme und Behandlung psychisch Kranker in der Psychiatrie. Einem Gutachten zufolge hatte der Brunnenmarkt-Täter, der mittlerweile in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ist (rechtskräftig), seit Jahren an einer schweren paranoiden Schizophrenie gelitten. Von der Polizei soll er schon öfter in psychiatrische Abteilungen gebracht worden sein. Durch die Reform soll die "Zusammenarbeit aller Akteurinnen/Akteure" verbessert und vor allem Rechtsklarheit im Umgang mit sensiblen Daten geschaffen werden. Künftig soll für jede Berufsgruppe genau geregelt sein, wann wer welche Daten weitergeben darf - und soll. Ist bei einem Patienten der Psychiatrie eine Gefährdungslage gegeben, soll zum Beispiel die Exekutive von dessen Entlassung informiert werden.

47 Stellungnahmen

Das Thema ist breit gefächert und bewegt - insgesamt 47 Stellungnahmen sind zu dem Gesetzesentwurf eingegangen. Vertreter sowohl der rechtlichen Seite, als auch der medizinischen und politischen meldeten sich zu Wort. Auch der Verfassungsdienst und die Datenschutzbehörde gaben eine Stellungnahme ab. Vor allem das Thema Datenschutz findet in zahlreichen dieser Schreiben Niederschlag.

"Die [. . .] getroffene Neuregelung der ,Verarbeitung von Daten‘ schlägt [. . .] stärker zugunsten des Datenschutzes aus als für eine effizientere Vernetzung der Polizeibehörden, Gerichte und Staatsanwaltschaften", schreibt etwa die Richtervereinigung. Und weiter: "Die Informationsstände sämtlicher betroffener Behörden zur jeweils richtigen Einschätzung der Fremdgefährlichkeit der Betroffenen können [. . .] weiterhin nicht ausreichend verbreitert werden."

Gesetzliche Vertreter verstört

"Wenn es den Sicherheitsbehörden nicht möglich ist, frühere Amtshandlungen nach einem auf eine psychische Erkrankung [. . .] hindeutenden Merkmal aufzufinden, wird die richtige Einschätzung des Gefährdungspotenzials im Akutfall jedenfalls erschwert werden", schreibt auch Friedrich Forsthuber, Obmann der Fachgruppe Strafrecht in der Richtervereinigung.

Laut dem niederösterreichischen Landesverein für Erwachsenenschutz ist bei der "Unterbringung ohne Verlangen" nicht nachvollziehbar, warum nicht einmal der gesetzliche Vertreter in jedem Fall davon verständigt werden soll - sondern nur dann, wenn der Patient nicht widerspricht. Das in den Erläuterungen angeführte Argument, dass diese Daten besonders sensibel seien, sei nicht nachvollziehbar. Eine "Unterbringung ohne Verlangen" sieht in der Praxis so aus, dass, wenn jemand auf der Straße psychisch auffällig und die Polizei gerufen wird, der Amtsarzt diesen gegen dessen Willen in die Psychiatrie einweisen kann. Auf dieser entscheidet der Arzt, ob er auch gegen den Willen aufgenommen wird. Diese Anhaltung dauert etwa zehn Tage.

Den Erläuterungen zufolge muss der Patient "verlässlich darüber zu belehren" sein, dass er der Verständigung des gesetzlichen Vertreters widersprechen kann. Darauf, dass der Wille des Patienten hier ja nicht übergangen wird, legt hingegen der Verfassungsdienst besonderen Wert. "Im Gesetzestext findet diese Belehrungsverpflichtung keinen Niederschlag", kritisiert er. "Dies sollte überprüft [. . .] werden."

Aus Sicht der Datenschutzbehörde ist es jedenfalls begrüßenswert, "dass die Datenverarbeitung durch die involvierten Stellen/Personen näher determiniert werden soll". Was die Speicherung von Daten betrifft, geht ihr der Schutz sogar nicht weit genug: Für den Fall, dass eine Aufnahme des Patienten in die Betreuung erfolgt, sollten konkrete Löschfristen normiert werden.

Das Justizministerium will nun sämtliche Stellungnahmen sichten, heißt es von diesem auf Nachfrage, und bewerten. Das werde einige Wochen dauern, bevor im Ministerrat darüber abgestimmt wird.

"Nicht alle per se gefährlich"

Ohne Aufstockung des Personals werde die Reform aber generell wenig bringen, fürchtet Gabriele Wörgötter, Psychiaterin und Gerichtsgutachterin. Diese ist im Entwurf nicht vorgesehen - womöglich mit ein Grund, warum das Finanzministerium in seiner Stellungnahme keinen Einwand erhebt. Auf den Psychiatrien herrscht laut Wörgötter schon jetzt "enorme Personalknappheit". Für soziale Vernetzungskonferenzen sei keine Zeit. Der Weg von der Psychiatrie in den Maßnahmenvollzug sei daher kurz.

Psychisch kranke Menschen seien aber nicht per se gefährlich, betont Bernhard Rappert, Patientenanwalt beim VertretungsNetz. Dennoch würden sie aufgrund einer Gefahrenprognose eingesperrt - ohne, dass etwas passiert sei. Er wehrt sich gegen die potenzielle Stigmatisierung einer gesamten Personengruppe. Im Vorjahr fanden in Österreich 24.616 Unterbringungen statt: meist wegen Selbstgefährdung. Von diesen Menschen höre man wenig, sagt Rappert. "Vom vereinzelten Fall, in dem eine Straftat begangen wird, dafür umso mehr."