Am Donnerstagabend wurde eine 35-Jährige von ihrem Expartner erschossen. Es ist der neunte Frauenmord in diesem Jahr. Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) zeigte sich als Vater von zwei Töchtern "traurig und wütend"; "Mord ist Mord ist Mord. Es gibt da keine Grauzone und keinen Interpretationsspielraum", ließ er Medien wissen und kündigte an, das Angebot der Männerberatungsstellen auszubauen. "Dieser brutale Mord ist absolut schockierend und macht mich zutiefst betroffen", gab Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) bekannt. "Es ist unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe, mit allen Mitteln gegen alle Formen von Gewalt an Frauen und Mädchen anzukämpfen."
Der Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt sei der ganzen Bundesregierung ein wichtiges Anliegen. Trotzdem waren beim Gipfel zwar neben Raab Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sowie Polizeispitzen mit dabei, nicht aber Mückstein als für Männer zuständiger Minister oder Vertreterinnen von Gewaltschutz-Einrichtungen. Die sind erst in einem Runden Tisch nächste Woche geladen. In das Regierungspaket flossen ihre Ideen zum Teil aber ein.
Mehr Untersuchungshaft und bessere Ermittlungen
Anlässlich der 41 damals vom aktuellen oder Expartner getöteten Frauen 2018 beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe im Innenministerium mit den Hintergründen. Das Ergebnis: Arbeitslosigkeit stellte zu 48 Prozent und Trennungen zu 46 Prozent ein erhöhtes Risikopotenzial dar. Darüber hinaus war die Hälfte der Frauenmörder den Behörden bekannt: In 44 Prozent gab es vor dem Mord bereits ein Betretungsverbot, in 16 Prozent sogar mehrmals. Den Tötungsdelikten ging also eine Gewaltgeschichte voraus. Nun will die Regierung die Frauenmorde seit 2016 analysieren, auch Motivforschung betreiben.
Obwohl Untersuchungshaft auch bei Wiederholungsgefahr verhängt werden kann, machen das Richterinnen und Richter laut Expertinnen bei Gewalttätern in der Familie kaum. "Viele Täter werden nur auf freiem Fuß angezeigt", bedauert Rosa Logar, Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. Auch von Weisungen machen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nur selten Gebrauch. Dabei ist im Strafgesetzbuch die Möglichkeit verankert, gegen Rechtsbrecher "Gebote und Verbote" auszusprechen, die geeignet sind, diese "von weiteren mit Strafe bedrohten Handlungen abzuhalten".
Die Analyse von Birgitt Haller, Juristin und Politikwissenschaftlerin am Institut für Konfliktforschung, zeigt darüber hinaus, dass nur jeder zehnte Prozess bei Partnergewalt mit einer Verurteilung des Täters endet. Oft kommt es nicht dazu, in knapp zwei Drittel der Fälle stellen schon die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte die Verfahren ein, die "Wiener Zeitung" berichtete.
"Oft viel zu früh und ohne weitere Zeuginnen und Zeugen einzuvernehmen oder Beweise zu sichern", ärgert sich Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Frauenhäuser. Dabei hat Justizministerin Zadić einen ausführlichen Erlass formuliert, damit Staatsanwaltschaften gerade auch im Journaldienst Beweismittel sichern. Auch die nun als "neu" angekündigte Checkliste gibt es darin bereits. Ein Erlass kommt übrigens einer Dienstanweisung gleich: Die untergeordneten Behörden, also die Staatsanwaltschaften, müssen den Vorgaben des Erlassgebenden, der Justizministerin, folgen. Sie tun das aber laut Rösslhumer nicht immer: "Das kommt einer Ohrfeige für die Frauen und einem Freibrief für die Täter gleich."
Zadić sieht "alle gefordert, die Gewaltspirale zu unterbrechen", auch die Justiz. Laut Regierungspaket soll künftig erhoben werden, ob gegen den Beschuldigten bereits ältere Anzeigen vorliegen, auch von Opferschutzeinrichtungen Informationen eingeholt werden. Außerdem soll die kontradiktorische Einvernahme in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und die psychosoziale Prozessbegleitung forciert werden. All das ist nicht neu, Justizneulinge werden seit 2008 auf einen opferfreundlichen Umgang in der sogenannten Richteramtsanwärterausbildung sensibilisiert. Das soll nun noch stärker passieren. Für jene, die bereits länger bei Gericht arbeiten, gibt es weiterhin keine Verpflichtung zu solchen Fortbildungen.
Einschätzung der Gefährlichkeit und Fallkonferenzen
Schon seit dem Gewaltschutzgesetz von 1997 hat die Polizei die Möglichkeit, Gewalttäter aus der gemeinsamen Wohnung wegzuweisen, Betretungs- und Annäherungsverbote zu verhängen. Logar räumt allerdings ein, dass die Polizei das bei Stalking zu selten macht. Innenminister Nehammer kündigte nun an, dass die Polizei Gewaltschutzstellen künftig über Stalkingfälle informiert.
Rösslhumer erzählt allerdings von einem Anruf einer betroffenen Frau bei der Frauenhelpline gegen Gewalt (Tel.: 0800 222 555): Obwohl ihr Lebensgefährte sie in den Bauch getreten habe, habe die Polizei keine Wegweisung gegen den Täter ausgesprochen. Er ging freiwillig, aber nur für drei Tage. Dabei war er schon einmal auffällig geworden, habe die Frau während ihrer Schwangerschaft gewürgt, trotzdem nahm die Polizei keine Anzeige auf, sondern behauptete - falscherweise -, dass dafür ein ärztliches Attest notwendig sei. "Wir können den Satz, wir haben alles getan, nicht mehr hören", sagt Rösslhumer. Um solches Fehlverhalten zu vermeiden, fließt das Thema zwar in die Grundausbildung der Polizei ein. Die Anzahl der Stunden sei aber nicht ausgeweitet, sondern von 16 auf zwölf reduziert worden.
Die Expertinnen vermissen auch effiziente Gefährlichkeitsprognosen. Genau darum geht es bei den Fallkonferenzen zu Hochrisikofällen von Polizei, Justiz, Kinder- und Jugendschutz- sowie Gewaltschutzeinrichtungen, die in Wien von 2011 bis 2017 stattfanden. Der damalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) stellte sie 2018 ein; seit Anfang 2020 gibt es sie wieder. Einberufen werden sie seither aber von den Sicherheitsbehörden - und seltener als davor: "Früher hatten wir im Jahr rund 80, heuer noch keine einzige", bedauert Logar. Innenminister Nehammer bestätigt in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage, dass es Fallkonferenzen nun seltener gibt. Konkret waren es im ersten Halbjahr 2020 nur drei in Wien, auch österreichweit nur 18. Für mehr Fallkonferenzen soll es künftig Dienstanweisungen an die Landespolizeidirektoren, außerdem mehr Präventionsbeamte geben.
Beratung für Opfer und Täter sowie Prävention ausbauen
Nicht nur Mückstein kündigte den Ausbau der Männerberatung an, schon im November 2020 wurde gesetzlich beschlossen, dass jeder Gefährder nach einer Wegweisung mindestens sechs Stunden zu einer Gewaltpräventionsberatung muss. Die Vergabe des Auftrags ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Für von Gewalt betroffene Frauen hat die Interventionsstelle Kapazitäten für durchschnittlich fünf Stunden Beratung pro Jahr. "Eine Beraterin ist pro Jahr für 310 Opfer zuständig, das ist einfach zu viel. In der Bewährungshilfe ist gesetzlich festgelegt, dass eine Vollzeitkraft 35 Schützlinge betreut", sagt Logar. Die Expertinnen fordern daher eine Personaloffensive von 3000 zusätzlichen Stellen und eine deutliche Aufstockung des Budgets auf 228 Millionen Euro jährlich. Im Moment dürfte es sich Berechnungen der "Wiener Zeitung" zufolge um nicht einmal ein Zehntel dieses Betrags handeln.
Das Sozial- und Gesundheitsministerium hat bereits eine Toolbox für den Gesundheitssektor entwickelt. Pflegepersonal, Ärztinnen wie Ärzte sind in vielen Fällen die ersten, manchmal auch die einzigen Ansprechpersonen für von Gewalt betroffene Frauen. Deshalb sind Opferschutzgruppen in den Spitälern seit 2011 gesetzlich verankert, "damit diese die notwendige Hilfe bekommen, adäquat untersucht werden. Aber auch, um gerichtsverwertbare Beweise zu sichern", erläutert Rösslhumer. Das Problem ist aber auch hier geduldiges Papier: "Es gibt sie nicht in jedem Spital", sagt Logar.
Mehr Geld gibt es von der Regierung nicht, nur eine weitere Sensibilisierungskampagne. Geld fehlt allerdings auch für Prävention, etwa für Trainings für Zuwanderer im Rahmen der Integrationsmaßnahmen genauso wie das Erlernen gewaltfreier Kommunikation und Konfliktlösung an Schulen. Diese sollen dazu dienen, patriarchale Rollenmuster schon früh zu durchbrechen, damit aus Buben junge Männer werden, die mit ihren Partnerinnen auf Augenhöhe ohne Gewalt kommunizieren und sie auch am Ende einer Beziehung loslassen, ohne Besitzansprüche zu stellen. Geld fehlt auch der Mädchenberatung. Denn: "Es beginnt oft ganz klein, harmlos, von der Gesellschaft geduldet und akzeptiert", sagt Margarete Bican, Geschäftsführerin des Vereins "Sprungbrett für Mädchen". Morde sind nur die Spitze des Eisbergs.