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Türkis-grüner Reibebaum

Von Karl Ettinger

Politik

Die erzwungene Aktenlieferung des Finanzministeriums an den Ibiza-Ausschuss belastet das Koalitionsklima und führt zu einem Antrag auf Ministeranklage gegen Blümel. Dieser sieht keinen Verfassungsbruch. Es ist nicht der einzige koalitionäre Konfliktpunkt.


Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hatte bei seinem Abschied noch beklagt, dass er sich bei der Bewältigung der Pandemie "allein gelassen" gefühlt habe. Zumindest bei der weiteren Vorgangsweise bei Impfungen und Öffnungsschritten sind Störungen des Koalitionsklimas mit Amtsantritt des neuen Gesundheitsministers Wolfgang Mückstein (Grüne) vorerst beendet.

<box> Dafür hängen ohnehin tiefschwarze Gewitterwolken über der Bundesregierung. Grund dafür sind Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) und dessen vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) mittels Exekutionsdrohung durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen erzwungene Lieferung von E-Mails an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

Finanzminister Blümel wies am Montagabend in der "ZiB2" den Vorwurf, er habe mit seinem Vorgehen die Verfassung gebrochen zurück: "Ich sehe das nicht so." Er sei der Bundesverfassung "zutiefst verpflichtet". "Es tut mir leid, wenn hier ein falscher Eindruck entstanden ist", versicherte der Finanzminister. Dafür wolle er sich "aufrichtig entschuldigen". Zugleich verteidigte er seine Vorgangsweise bei der Aktenlieferung. Wenn es um Aufkärung gehe, sei er auch "jederzeit dazu bereit".

Als Grund für einen Rücktritt sieht er eine bei ihm im Februar erfolgte Hausdurchsuchung und die erstmalige Exekutionsdrohung gegen ein Regierungsmitglied nicht, "weil ich überzeugt davon bin, dass wir gute Arbeit leisten." Ob sein Verhalten vorbildlich sei? "Das nehme ich für mich in Anspruch", so Blümel. Ob er zurücktreten werde, sollte bei Ermittlungen wegen des Verdachts von Parteispenden im Gegenzug zu politischer Unterstützung rund den Glückspielkonzern Novomatic Anklage erhoben werden? "Das wird nicht passieren", versicherte Blümel, denn an diesen Vorwürfen "ist nichts dran".

SPÖ und FPÖ werden aber in einer Sondersitzung des Nationalrats ihre Angriffe auf den Finanzminister, die in Rücktrittsforderungen an Blümel gipfeln, weil dieser die Akten nicht nur so spät an das Parlament zugestellt hat, sondern diese auch noch als "geheim" klassifizieren hat lassen, nochmals vorbringen. Die Oppositionsparteien werden zudem die Grünen mit einem Misstrauensantrag gegen den Finanzminister neuerlich auf die Probe stellen. Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer hat aber zuletzt im ORF-Radio erklärt, dass Blümel trotz des bisher einzigartigen Exekutionsantrags des VfGH noch tragbar sei.

Wieder einmal muss der kleinere Regierungspartner dabei die Zähne kräftig zusammenbeißen. Denn ausgerechnet die Grünen, die seit ihrem erstmaligen Einzug ins Hohe Haus im Jahr 1986 für volle Kontrolle des Regierungsgeschehens eingetreten sind, bringt das Verhalten des Finanzministers in die Bredouille.

Am Wochenende hat Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler im Interview mit der "Kleinen Zeitung" scharfe Worte gefunden: "Es ist ein Mangel an Respekt vor den Institutionen, vor dem Verfassungsgerichtshof und dem Parlament. Das ist kein Ruhmesblatt und keine Kleinigkeit." Verfassung und Institutionen des Rechtsstaates würden den Rahmen vorgeben. Ein Minister dürfe ein Höchstgericht "nicht an der Nase herumführen". Zugleich wurde die Entscheidung dem Ressortchef selbst zugeschoben, denn Blümel habe den Imageschaden "selbst zu verantworten" .

Diverse Konflikte im Justizbereich

Auch wenn derzeit alles auf den Konflikt um die späte Aktenlieferung des Finanzministers fokussiert ist, ist er nicht die einzige türkis-grüne Reibefläche. Die Auseinandersetzungen zwischen der ÖVP und den Grünen um die Justiz schwelen nach wie vor. Die Grünen haben sich im Februar gegen ÖVP-Pläne zur Zerschlagung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gestellt. Ein Bundesstaatsanwalt, den die ÖVP nach jahrelangem Nein plötzlich doch wollte, ist ausständig. Ein SPÖ-Antrag dazu ist im März vertagt worden.

Bei einem weiteren Punkt im Justizbereich haben die Grünen hingegen eben eingelenkt. Im Zuge des Anti-Terrorpakets hat Justizministerin Alma Zadic (Grüne) dem neuen Straftatbestand "religiös motivierte extremistische Verbindung" mit dem Hinweis zugestimmt, dass sich dieser nicht gegen eine bestimmte Religion richte, auch wenn die ÖVP den Kampf gegen den politischen Islam stets beim Anti-Terror-Paket in den Vordergrund gestellt hat. Das neue Delikt war zuvor von Expertenseite auf breiter Front als überflüssig abgestempelt worden.

Klimaschutz als Lackmustest

Neue Reibereien zeichnen sich dafür in der Koalition bei der für das kommende Jahr fix vorgesehenen Ökosteuerreform ab. Dies vor allem, weil Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) bestätigt hat, dass zur Einhaltung von Klimaschutzzielen als "letztes Mittel" auch automatisch höhere Energiesteuern kommen würden, wenn die Gefahr besteht, dass diese Ziele sonst verfehlt werden.

Als zusätzliche CO2-Bepreisung würde das höhere Steuern auf Treibstoffe bedeuten. ÖVP-Wirtschaftsvertreter haben "ideologiegetriebene Bestrafungsfantasien" vehement aber abgelehnt. Bundeskanzler Kurz hat sich zumindest gegen eine Ökologisierung auf Kosten der Pendler und sozial Schwacher ausgesprochen.

Kogler pocht darauf, dass im Regierungsprogramm der "Einstieg" in die CO2-Bepreisung festgeschrieben worden ist. Gleichzeitig wird er nicht müde zu versichern, dass die Steuer- und Abgabenlast insgesamt nicht steigen werde und Bezieher niedrigerer Einkommen nicht stärker belastet werden.

Der Konflikt um den Finanzminister hat derzeit dennoch ungleich mehr Gewicht. Blümel ist in mehrfacher Hinsicht eine Schlüsselfigur in der Regierung. Er ist enger Vertrauter des Kanzlers und gerade aufgrund der Bewältigung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, die wegen Hilfszahlungen und Ausfällen von Steuereinnahmen ein Milliardenloch im Staatshaushalt hinterlässt, ist die Herausforderung für den Finanzminister besonders groß. Dazu kommt, dass ausgerechnet Reibebaum Blümel als Koalitionskoordinator für einen möglichst reibungslosen Ablauf der Koalitionsarbeit der beiden Parteien sorgen sollte.

U-Ausschuss als koalitionäre Belastungsprobe

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass die Grünen in der Koalition wegen Blümel in Bedrängnis kommen. Im Februar war bekannt geworden, dass Blümel von der WKStA als Beschuldigter bei Ermittlungen in der Causa Casinos/ Novomatic geführt wird, bei denen es um den Verdacht von Parteispenden im Gegenzug für politische Unterstützung ging.

Eine Involvierung Blümels wird vom Finanzminister als auch von der ÖVP vehement bestritten. Eine damals erfolgte Hausdurchsuchung sei "keine Anklage", argumentierte Kogler damals und sah damit dessen Amtsfähigkeit nicht in Frage gestellt. Im Nationalrat stimmten die Grünen im Februar einem Misstrauensantrag gegen Blümel auch nicht zu.

Allerdings ist der Ibiza-U-Ausschuss schon seit Monaten ein Grund für Belastungen der Koalitionsarbeit. Die Ausschusstätigkeit ist für die Grünen eine Gratwanderung. Das zeigte sich auch im März nach Bekanntwerden der Chats um die Bestellung des früheren Generalsekretärs im Finanzministerium Thomas Schmid zum Vorstand der Verstaatlichten-Beteiligungsgesellschaft (Öbag). Grünen-Fraktionsführerin Nina Tomaselli betont immer wieder, dass man auch in der Regierung weiter als Kontrollpartei aktiv sei. Man sei mit dem Versprechen angetreten, dass es saubere Umwelt und saubere Politik mit den Grünen geben wird. Das liefere man. "Wir zeigen das jeden Tag im Ibiza-Ausschuss", sagte Tomaselli im ORF-Radio.

Zugleich blieb den Grünen gegen den Willen der ÖVP nicht viel mehr übrig, als an das Verantwortungsgefühl von Schmid zu appellieren, seinen Sessel als Öbag-Chef vorzeitig zu räumen und nicht bis 2022 zu bleiben. Tomaselli verwies darauf, dass Kurz-Vertrauter Schmid eine "Idee der ÖVP" gewesen sei. Daher solle diese auch auf ihn einwirken.

Die drei Oppositionsparteien werden es auch nicht bei einer Sondersitzung und bei einem Misstrauensantrag gegen den Finanzminister belassen. SPÖ, FPÖ und Neos werden vielmehr im Nationalrat einen Antrag für eine Ministeranklage gegen Blümel einbringen. Begründet wird dieser mit der mutmaßlich fortgesetzten Weigerung Blümels, dem U-Ausschuss die beantragten Akten vorzulegen, wie das in Artikel 53 der Bundesverfassung gesetzlich vorgeschrieben ist.

Auch in diesem Fall kommt den Grünen die entscheidende Rolle zu. Zunächst wird der Antrag auf Amtsenthebung dem parlamentarischen Verfassungsausschuss zugewiesen. Ohne Zustimmung der Grünen gibt es keine Mehrheit für eine Ministeranklage. Vorerst sieht es nicht nach einem grünen Sanktus dafür aus.

Wissen:

Ministeranklage Gegen Bundes- und Landesorgane kann bei "schuldhaften Rechtsverletzungen" Anklage erhoben werden. Über diese entscheidet dann der Verfassungsgerichtshof. Welche Organe aus welchen Gründen und vom wem angeklagt werden können, ist in Artikel 142 der Bundesverfassung geregelt. Im Fall von Ministern ist eine Anklage bei einer Gesetzesverletzung möglich, wobei ein entsprechender Beschluss des Nationalrats vorliegen muss. Im Fall des Bundespräsidenten muss ein Verstoß gegen die Bundesverfassung vorliegen und die Bundesversammlung (Nationalrat und Bundesrat) den Beschluss fassen.

Ein Misstrauensantrag gegen einen Minister fällt in den Bereich der politischen Kontrolle des Nationalrats, die Ministeranklage in jenen der rechtlichen Kontrolle. Ein gesetzlicher Verstoß muss vorliegen. Im konkreten Fall wird Gernot Blümel vorgeworfen, der verfassungsrechtlichen Verpflichtung (Artikel 53, Abs. 3) zur Aktenvorlage an den Untersuchungsausschuss fortgesetzt nicht entsprochen zu haben. Der Antrag der Opposition wird im Parlament einem Ausschuss zugewiesen und muss dort eine Mehrheit finden, um vom Nationalrat beschlossen werden zu können. Erst danach entscheidet der VfGH. Das ist bei Blümel nicht zu erwarten. Die Ministeranklage ist selten und seit 2000 erst 15 Mal vorgekommen - stets erfolglos. In dieser Legislaturperiode ist es der vierte Antrag (zweimal Rudolf Anschober, einmal Margarete Schramböck). Zu einer Verurteilung kam es einmal, als Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer 1985 entgegen einer Weisung Geschäfte am 8. Dezember öffnen ließ. Er behielt sein Amt.