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Alter Stil, neue Taktik

Von Simon Rosner

Politik

Sebastian Kurz hat im U-Ausschuss seine Beteiligung in der Causa Öbag heruntergespielt. Das war naheliegend, hat aber gravierende Folgen. Schon mit Bekanntwerden der Chats hat sich seine Strategie geändert. Und jetzt? Eine Analyse.


Ende März dieses Jahres ist Sebastian Kurz wegen einer "Dringlichen" zur Causa Öbag in den Bundesrat zitiert worden. Der Bundeskanzler verteidigte in einer emotionalen Rede das Primat der Politik: "Unzählige Personalentscheidungen" müsse eine Regierung treffen, "das ist das Wesen einer repräsentativen Demokratie". Die ausgewählten Personen müssten natürlich kompetent sein, "und, ja, es ist richtig, dass es auch von Vorteil ist, wenn sie das notwendige Vertrauen genießen". In der aktuellen Legislaturperiode seien "weit über hundert Personalentscheidungen" getroffen worden. "Das ist weder strafbar noch anrüchig, sondern es ist Aufgabe der gewählten politischen Vertreter - und das, sehr geehrte Damen und Herren, sollte einmal in aller Deutlichkeit ausgesprochen werden!"

Neun Monate davor klang das ganz anders. Der Bundeskanzler war als Auskunftsperson in den Untersuchungsausschuss geladen, der die "mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung", so der offizielle Titel, untersucht. Vier Stunden lang wurde Kurz von Abgeordneten zu Parteispenden, zur Causa Ibiza sowie diversen Strängen staatsanwaltlicher Ermittlungen befragt. Die Neos hegten den Verdacht, dass die Vorstandsbesetzungen bei Öbag und Casinos verschränkt gewesen seien, dass die FPÖ Peter Sidlo als Casinos-Vorstand bekam, dafür die ÖVP Thomas Schmid als Alleinvorstand in der neuen Staatsholding Öbag. Kurz war bei seiner Befragung defensiv und vorsichtig. Peter Sidlo? "Kaum aufgeschlagen". Thomas Schmid? "Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich für ihn eingesetzt habe." Der Auftritt im U-Ausschuss könnte dem Kanzler zum Verhängnis werden.

Wie Finanzminister Gernot Blümel wird nun auch Kurz als Beschuldigter in einem kaum noch zu überblickenden Verfahren geführt, das mit einer anonymen Anzeige zur Vorstandsbesetzung bei den Casinos Austria im Sommer 2019 ihren Ausgang genommen hat. Mittlerweile gibt es Dutzende Beschuldigte und etliche Ermittlungsstränge, die Causa Öbag ist nur einer davon. Im Fall von Blümel geht es um den Verdacht der Bestechung und Bestechlichkeit im Zusammenhang mit einem Spendenangebot per SMS des Ex-Novomatic-Managers Harald Neumann, bei Kurz um den Verdacht der Falschaussage im U-Ausschuss. Alle bestreiten die Vorwürfe.

Es ist offensichtlich, dass sich die Strategie der ÖVP und speziell von Kurz geändert hat. Im U-Ausschuss haben zuerst er und dann auch Blümel ein Bild ihres politischen Wirkens gezeichnet, das weit weg von jener Apologetik des Politischen war, das Kurz Monate später im Bundesrat "in aller Deutlichkeit" aussprach. Deals und Absprachen, die den Abgeordneten der Opposition verdächtig schienen, wollen die beiden ÖVP-Spitzen, wenn überhaupt, nur am Rande mitbekommen haben oder sind aus der Erinnerung verschwunden. Zur Causa Prikraf, bei der es um mehr Geld für private Klinken geht, sagte Kurz: "Natürlich war ich in so etwas nicht involviert." Und die Postenbesetzung bei der Öbag? "Eingebunden im Sinne von informiert, ja", sagte Kurz im U-Ausschuss. Mehr nicht.

2017 war Kurz eineHoffnung der Erneuerung

Beide Auftritte sind erklärbar. Die Zweite Republik kennt viele, vielleicht zu viele Geschichten über unlautere Parteibuchwirtschaft und illegale Deals. Es ist ein Grund, weshalb so gut wie alle Postenbesetzungen und Absprachen von einem Hautgout begleitet werden. Es gilt der Generalverdacht. Und es ist auch ein Grund, weshalb die Politik nach wie vor bei derartigen Entscheidungen möglichst diskret vorgeht. Es ist ganz offensichtlich unangenehm, dass Politik so ist, wie sie ist.

Deshalb gibt es Geheimverträge mit Personallisten und Hinterzimmer-Deals. Die FPÖ hätte auch öffentlich argumentieren können, warum die Privatklinik Währing in den Prikraf aufgenommen werden soll, und die ÖVP, warum sie Thomas Schmid für einen ausgezeichneten Öbag-Vorstand hält. Das tat man erst, als diese Deals mitsamt zwielichtiger Genese ans Licht kamen. Aber wenn derart Klandestines öffentlich wird, ist es zu spät. Das Publikum reagiert freilich ambivalent: Einerseits mit immer neuer Aufregung, andererseits mit Resignation: Es war ja immer so. Das betont auch der Kanzler. Im U-Ausschuss verwies er mehrfach darauf, etwa, als er die Besetzung der Nationalbank in Zeiten der Großen Koalition ansprach.

Sebastian Kurz war aber ein Versprechen, dass es anders werden könnte. Als er bei der Nationalratswahl 2017 erstmals auf Platz eins gewählt wurde, war der Wunsch nach Erneuerung ein zentrales Motiv seiner Wähler. Der gute alte Postenschacher, bei dem Günstlinge protegiert werden, die vielleicht doch nicht so qualifiziert sind, passt da nicht in die Erzählung vom "neuen Stil". Daher ist es strategisch nachvollziehbar, dass sich der Kanzler im U-Ausschuss als mehr oder weniger nur am Rande involvierter Politiker beschrieb. Sidlo? "Ich habe dem, um ehrlich zu sein, relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt."

Bei einigen Themen, zu denen Kurz im U-Ausschuss befragt wurde, ist es plausibel, dass er kaum eingebunden war. So sagte Kurz zum "Projekt Edelstein", dass er als Bundeskanzler andere Aufgaben habe, "als mir Gedanken darüber zu machen, ob jetzt das Bundesrechenzentrum mit der Post kooperiert oder nicht." Bei einem so zentralen Thema wie der Staatsholding Öbag und deren Führung ist es nicht plausibel. Und es wäre tatsächlich eher befremdlich, wenn ein Kanzler in einer solch wesentlichen Frage nicht eingebunden wäre, auch wenn die formale Kompetenz beim Finanzminister liegt. Verboten wäre eine Einmischung von Kurz nicht gewesen. Sie passte nur nicht in die Erzählung.

Postenbesetzungenals Wesen der Politik

Die Veröffentlichung diverser Chats seither haben das Naheliegende offenkundig gemacht: Dass Kurz mehr als nur peripher tangiert war und die Besetzung von Schmid ein klassischer Postenschacher war. "Schmid AG fertig", schrieb Blümel dem werdenden Vorstand, als die gesetzlichen Grundlagen für die Öbag ausgehandelt waren. Wie andere Chats nahelegen, konnte Schmid auch auf die Ausschreibung Einfluss nehmen, die er dann gewann, und er suchte, zumindest teilweise, auch die Aufsichtsräte, die ihn dann wählten, selbst aus.

Kurz setzt seither auf eine andere Taktik. Postenbesetzungen seien Tagesgeschäft der Politik und ihre ureigenste Aufgabe. Aus Sicht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sind die Chats aber Indiz, dass Kurz vor dem U-Ausschuss Falschaussagen getätigt haben könnte. Weil er doch mit Schmid über die Öbag gesprochen und über die Aufsichtsräte mitentschieden haben soll. Kurz dementiert dies nicht mehr inhaltlich, sehr wohl aber einen Vorsatz zur Falschaussage. Dass eine Anklage erfolgt, gilt als wahrscheinlich, eine Verurteilung aber als unsicher. Ein Vorsatz zur Falschaussage ist - trotz Chats - nicht einfach zu beweisen.

Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Volte des Kanzlers zu sehen, nun das Primat der Politik zu betonen, wie er es unter anderem im Bundesrat tat. Dass die Umstände der Bestellung Schmids nicht ganz normal waren, wurde von Kurz nicht weiter erörtert. Die wohlbekannten Chats sprechen für sich, dass hier Postenschacher für einen Vertrauten vorliegt. Und genau das widerspricht dem "neuen Stil", den Kurz einst propagiert hat.

Angriffe auf Oppositionund Justiz

Freilich, der Begriff war nie ausformuliert. Es findet sich kein "Kampf dem Postenschacher" oder Ähnliches in den Wahlprogrammen der ÖVP von damals. Der "neue Stil" war eine zum Slogan gewordene Projektionsfläche, in die alles Mögliche hineingedeutet werden konnte und auch wurde. Im einem Interview mit der "Presse" erklärte Gernot Blümel kürzlich: "Der neue Stil bezieht sich ja vor allem auf die Art und Weise, wie wir mit politischen Mitbewerbern umgehen." In diesem Punkt sind die Chats und auch jüngste Aussagen des Kanzlers aufschlussreich.

Kurz schießt sich nun auf die Opposition ein, die ihn "mit allen Mitteln aus dem Amt befördern" wolle. Anzeigen seien eine "Unkultur", führt er jetzt aus. "Ich bin von den Wählerinnen und Wählern gewählt und werde meiner Arbeit unbeirrt nachkommen", sagt er der Zeitung "Heute".

Ob das zur Stoßrichtung des Kanzlers in den kommenden Wochen wird? Durch etliche sichergestellte Handys und Laptops offenbart sich vor den Ermittlern eine noch nie dagewesene Dokumentation politischen Handels einer Bundesregierung mit der sie umgebenden Sphäre. Es ist anzunehmen, dass weitere Chats publik werden, die dann, wie bisher, von unterschiedlichen Interpretationen begleitet werden. Der Inhalt einer SMS kann oft verschieden gedeutet werden.

Sollte sich Kurz nun fortgesetzt als Opfer oppositioneller Machenschaften inszenieren, würde dies an die Phase nach seiner Abwahl durch den Nationalrat im Nachhall der Ibiza-Affäre erinnern. Damals war Kurz aber eben nicht mehr Bundeskanzler. Die Außenwirkung wäre ungleich problematischer. Als gegen Kanzler Werner Faymann in der Inseraten-Affäre ermittelt wurde, blieb dieser schweigsam. Er dementierte Fehlverhalten, verwies aber sonst nur auf sein Vertrauen in die "unabhängige Justiz". Kurz ging mit den Vorwürfen anders um, auch wenn die Attacken der ÖVP gegen die WKStA zuletzt abgeflaut sind. Vielleicht auch, weil sie in der Öffentlichkeit zunehmend Verstörung hervorriefen.

Mahnend hat sich nun auch Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner in der "Süddeutschen" zu Wort gemeldet. Die Staatsanwaltschaft sei nicht die Opposition. Kurz habe "den Spieß in bewährter Form umgekehrt, sieht sich in der Opferrolle und behauptet, alle wollten ihn weghaben", befand Mitterlehner. "Die Wahrheit ist eine andere: Noch ist die Justiz unabhängig, und sie ermittelt."