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Abrechnung mit Anstand und Anpatzen

Von Karl Ettinger

Politik

In der Sondersitzung des Nationalrats gingen die Wogen wegen der Justizermittlungen gegen Bundeskanzler Kurz hoch.


Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) saß auf der einen Seite des Rednerpults auf der Regierungsbank. In der Sondersitzung des Nationalrats am Montag stand letztlich aber Bundeskanzler Sebastian Kurz auf der anderen Seite der Regierungsbank ganz im Mittelpunkt des Geschehens. Das zeigte sich auch darin, dass der Bundeskanzler von Vizekanzler Grünen-Chef Werner Kogler, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Staatssekretär Magnus Brunner (beide ÖVP) flankiert war. Nach den Ermittlungen der Wirtschaft- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen des Verdachts der Falschaussage im parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss gegen Kurz sorgte eine Dringliche Anfrage der SPÖ an den Bundeskanzler für einen schonungslosen Schlagabtausch. Für Misstrauensanträge gegen Kurz und Blümel gab es letztlich keine Mehrheit.

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Mit den Freundlichkeiten noch vor Sitzungsbeginn zwischen ÖVP-Klubobmann August Wöginger und dem Gegenüber des Koalitionspartners, der grünen Klubchefin Sigrid Maurer, in die sich auch noch der Finanzminister einmischte, war es schnell vorbei. Spätestens als der SPÖ-Fraktionsführer im U-Ausschuss, Kai Jan Krainer, direkt an Kurz gewandt sagte: "Warum haben Sie so einen schlampigen Umgang mit der Wahrheit?", hagelte es Zwischenrufe aus den ÖVP-Reihen. Was den Vorwurf und die Ermittlungen durch die Justiz betrifft, so sah Krainer durch die Chatprotokolle des Chefs der Verstaatlichten-Holding Öbag, Thomas Schmid, belegt, dass die Öbag-Bestellung Chefsache gewesen sei. Es sei daher "objektiv unwahr", was der Kanzler dazu im U-Ausschuss gesagt habe. Ob er das absichtlich gemacht habe, werde die Justiz klären.

Der Bundeskanzler notierte fleißig mit, als Krainer ihm ruhig, aber messerscharf vorhielt, dass der Verfassungsgerichtshof erst die Nachlieferung von Akten erzwingen musste und die ÖVP die WKStA "zerschlagen" wollte. Kurz zeige zwei Gesichter. Wenn die Kameras ausgeschaltet seien, sei das "ein Bild ohne Anstand, ohne Respekt und ohne Moral, das ist ihr Charakter".

Das wollte der Regierungschef keinesfalls so auf sich sitzen lassen. Das Fordern einer Regierung durch die Opposition sei wichtig in einer Demokratie, aber hier gehe es nicht nur um Kritik, sondern "nur mehr darum, andere zu diffamieren, zu beschädigen und zu vernichten", donnerte Kurz ins Nationalratsplenum und drehte den Spieß in Richtung Krainer und der SPÖ um: "Ohne Anstand, ohne Moral, das ist ihr Stil." Später setzte er nochmals nach, es gehe dieser nicht um Sachpolitik, "sondern nur um Anpatzen und Skandalisieren", was in den SPÖ-Reihen nur Kopfschütteln auslöste.

"Die Macht liegt bei den Wählerinnen und Wählern"

Einmal mehr bekräftigte der Bundeskanzler, er habe im U-Ausschuss "nach bestem Wissen und Gewissen" geantwortet. Wie schon in den vergangenen Tagen kam sogar ein Hauch von Wahlkampfstimmung auf, als Kurz betonte: "Die Macht in Österreich liegt bei den Wählerinnen und Wählern." Bei diesen genüge es nicht, andere "herabzuwürdigen": "Wir werden diese Methoden als Volkspartei nicht übernehmen."

Während Kurz SPÖ-Redner Krainer noch vorgehalten hatte, SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner würde Aussagen wie dieser nicht vorbringen, meldete sich diese prompt zu Wort, um dem Regierungschef die "systematische Missachtung von demokratischen Institutionen" vorzuhalten: "Niemand steht über dem Recht, auch Sie nicht Herr Bundeskanzler!" Mangelnder Respekt gegenüber Parlament und Justiz, das war der Tenor der Angriffe der drei Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und Neos.

Unterschiede waren dennoch offensichtlich. Als FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl dem Regierungschef vorhielt, dass dieser bei seinem Hinauswurf aus der Regierung nach dem Auffliegen der Ibiza-Affäre viel strengere Maßstäbe angelegt habe, galt das Interesse von Kurz demonstrativ seinem Handy und seinen Unterlagen. "Schämen Sie sich nicht angesichts dieser Wendehalsigkeit?", sprach der FPÖ-Fraktionschef unbeirrt weiter. "Niemand hat Ihnen eine Falle gestellt", meinte Kickl mit einem Seitenhieb darauf, dass dem Kanzler bei den Ermittlungen wegen Falschaussage die Chatprotokolle aus Schmids Handy zum Verhängnis geworden seien: "Diese Suppe haben Sie sich selbst eingebrockt."

"Geheim": Blümel stufte Klassifizierung herunter

Die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer erinnerte daran, dass Abgeordnete und Regierungsmitglieder auf die Verfassung vereidigt werden. Sie kritisierte vor allem, dass Parlament und Verfassungsgerichtshof mit der späten Aktenlieferung des Finanzministeriums "an der Nase herumgeführt worden" seien. Es sei nicht legitim, "das Parlament zu papierln", der Finanzminister habe gerade noch die Kurve gekratzt.

Wie nach der Sitzung bekannt wurde, stufte das Finanzministerium nun auch die Klassifizierung der E-Mails herunter von "geheim" zu "eingeschränkt". Damit können die Daten aber elektronisch durchsucht und in der Regel auch in öffentlicher Sitzung thematisiert werden. Die Opposition hatte dies vehement gefordert. Ein USB-Stick mit den Daten sei eingelangt, teilte das Parlament in einer Aussendung mit.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger verwahrte sich angesichts der Vorwürfe der Justiz gegen die ÖVP und deren Angriffe auf U-Ausschuss und Opposition gegen eine "Täter-Opfer-Umkehr" - begleitend von erbosten ÖVP-Zwischenrufen. Für sie ist aus einer FPÖ-Krise nach dem Ibiza-Video eine "veritable ÖVP-Krise" geworden. Dass Kurz nicht ausgeschlossen hat, auch im Falle einer Verurteilung im Amt bleiben zu wollen, ist für die Neos-Chefin "hochgradig irritierend": "Es war guter Konsens in der Zweiten Republik, dass Anklagebank und Regierungsbank nicht zusammenpassen." ÖVP-Klubobmann August Wöginger rief schließlich dazu auf, zur Sachpolitik zurückzukehren. Denn der Opposition gehe es nur darum, "dass Kurz weg muss".