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Kinderärztin (erfolglos) gesucht

Von Martina Madner

Politik
Für 29 von 300 Kassenstellen wurde keine Kinderärztin oder kein Kinderarzt gefunden. Insbesondere in Niederösterreich ist die Versorgung kritisch.
© stock.adobe.com / Maria Sbytova

In der Pädiatrie bleiben viele Kassen-Planstellen unbesetzt - auch wegen des ärztlichen Vergütungssystems.


Als ich 2017 mit meinem Sohn schwanger war, haben wir keinen Kassen-Kinderarzt gefunden. Alle Kinderärzte im Umkreis von zehn Kilometern haben mir gesagt, sie sind voll und nehmen keine neuen Patienten mehr", erzählt eine Mutter im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Vor der Geburt ihrer Tochter zwei Jahre später suchten die Eltern nochmals - wieder erfolglos. "Deshalb zahlen wir privat, was uns Gott sei Dank nicht ruiniert, aber es ist trotzdem teuer, viel und unnötig."

Tatsächlich handelt es sich nicht um einen subjektiven Eindruck dieser Mutter. Denn die Österreichische Gesundheitskasse bewertet laut der "Wiener Zeitung" exklusiv vorliegenden Daten von den österreichweit 300 Kassenstellen in der Kinderheilkunde die Nachbesetzung von 29, also 10 Prozent, als kritisch. Besonders schwierig ist die Situation für Eltern in Niederösterreich: Hier sind acht von insgesamt 43 Planstellen, also 19 Prozent, nicht besetzt. Laut der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) ist darüber hinaus die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte in der niedergelassenen Pädiatrie im Alter zwischen 55 und 60 Jahren - in zehn Jahren wird der Mangel ohne Nachwuchs nochmals spürbarer.

"Es ist nicht nur so, dass zu wenige Kassenstellen vorhanden sind, Eltern bekommen auch bei Wahlärzten oft keinen Platz mehr. Es ist eine katastrophale Versorgungssituation", sagt Niederösterreichs Patientenanwalt Gerald Bachinger. Die Situation sei bereits seit Jahren prekär: "Eigentlich müsste es einen Volksaufstand der Eltern geben, die scheinen mittlerweile aber resigniert zu haben."

Besonders in Randzeiten nur Ambulanzversorgung

"Gerade bei den Kinderärzten ist nicht nur die Quantität, sondern auch die räumliche und zeitliche Verteilung ein Problem", stellt Thomas Czypionka fest, der sich am Institut für Höhere Studien seit Jahren mit gesundheitsökonomischen und -politischen Fragen auseinandersetzt.

Praxen der Kinder- und Jugendheilkunde, die auch am Wochenende geöffnet haben, gebe es ohnehin nur in manchen Städten wie Wien; kleinere Akutfälle kommen bei Kindern dagegen häufiger vor als bei Erwachsenen. Der Weg zum Arzt mit Kind bedeutet einen größeren Aufwand. "Am Freitagnachmittag haben zum Beispiel viele gar nicht geöffnet", sagt Czypionka. "Die Randzeitenversorgung ist also ein Problem. Das hat sich mit der telefonischen Gesundheitsberatung 1450 ein bisschen gebessert." Davor stand den Eltern nur der Weg in die Ambulanzen von Spitälern offen. Bei 1450 rauschen im Moment allerdings auch alle Fragen rund um Sars-CoV-2 ein.

Eine von Czypionkas Studien zeigt, dass der personelle Mangel in der Pädiatrie auch für längere Spitalsaufenthalte nach Geburten sorgt. "Da stehen viele Untersuchungen an, die sich Eltern bei ambulanten Geburten selbst organisieren müssten. Aktuell gibt es also Anreize, im Spital zu bleiben."

Problematik des ärztlichen Vergütungssystems

"Ich kann sie aber auch verstehen, sie gehören zu den Ärztinnen und Ärzten, die am wenigsten verdienen. Untersuchungen dauern länger, und Zeit ist nach wie vor nicht gut honoriert", sagt der Gesundheitsökonom. Eine seiner Studien zu den Einkommen von Ärztinnen und Ärzten mit Kassenstellen zeigt zudem, dass diese 2017 im Median (50 Prozent haben mehr, 50 Prozent weniger Einkommen) 178.000 Euro an Einkünften generierten. In der Kinderheilkunde aber waren es 135.000 Euro, am anderen Ende der Skala, bei Laborärztinnen und -ärzten, 687.000 Euro im Median.

"Mit Beratung und Gesprächen wird man nicht reich und berühmt", sagt dazu Daniela Karall, Fachärztin am Universitätsklinikum Innsbruck und Präsidentin der ÖGKJ. Für die reine Beratung gebe es höchstens 20 Euro pro Quartal, "egal wie oft das Kind in der Ordination war". Während Erwachsene häufig mit konkreten Beschwerden in die Praxen kämen, diese nach Blutabnahme, EKG und Rezept rascher wieder verlassen, sei das in der Pädiatrie selten so: "Wir sind nicht nur mit dem Kind, sondern auch mit den Eltern befasst. Es geht um Ernährungs-, Bewegungs- und Impfberatung, also darum, für die gesundheitliche Zukunft des Kindes vorzusorgen", sagt Karall. Sie kann deshalb dem ÖGKJ-Vorschlag nach mehr pauschaler Vergütung statt von Einzelleistungen viel abgewinnen. Am Donnerstag präsentiert die Österreichische Ärztekammer nun den modernisierten Leistungskatalog, womit die Quantität zugunsten des Nutzens in den Hintergrund rücken soll.

Zeitlich flexibler in Teams arbeiten

Weil es auch um seltene Erkrankungen geht, bräuchten sie als Hausärzte und -ärztinnen für Null- bis 18-Jährige breites Wissen und viele Spezialisierungen, etwa um seltene Nierenerkrankungen oder angeborene Herzfehler zu entdecken. Und: "Junge Kollegen wollen zeitflexibel und im Team arbeiten. Die Idee des Hausarztes, der 24/7 verfügbar ist, ist nicht mehr zeitgemäß", sagt Karall.

Patientenanwalt Bachinger schlägt vor, vermehrt auf Primärversorgungszentren zu setzen, wo Ärzte, Sozialarbeiter und Pflegekräfte multiprofessionell in Teams zusammenarbeiten. 2017 wurde gesetzlich festgelegt, dass bis zum Ende des heurigen Jahres 75 derartige Zentren entstehen sollen - aktuell sind es 23. "Sie haben auch einen Konstruktionsfehler: Die Leitung muss immer ein Allgemeinmediziner innehaben, Pädiater können nur Angestellte sein", so Karall. Für Ballungsräume wären sie dennoch eine gute Lösung, meint die Ärztin: "Für ländliche Gebiete wären virtuelle Zentren etwa von fünf Kinderärzten, wo jeweils einer auch am Wochenende und in den Nachtzeiten erreichbar ist, sinnvoller." Für mehr Praxen in mangelversorgten Gebieten schlägt sie außerdem einen Starterbonus für Neugründungen vor.