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Krisenjahr ohne Folgen

Von Simon Rosner

Politik

Corona hatte auf die Migration in Österreich überraschend wenig Einfluss. Die Bevölkerung wuchs erneut.


Es gibt die journalistische Grundregel, dass eine Geschichte, deren Essenz "Alles bleibt beim Alten" ist, keine Geschichte ist. Die Leserin und der Leser wollen berechtigterweise Neues erfahren. "Eh wie immer" ist das Gegenteil davon. Es gibt allerdings rare Ausnahmen, und die Bevölkerungsstatistik des Vorjahres ist eine solche. Denn dass das Jahrhundertereignis der Corona-Pandemie im Wanderungsverhalten der Menschen kaum etwas verändert hat, ist doch erwähnenswert.

Zunächst: Im Vorjahr ist Österreichs Bevölkerung erneut etwas gewachsen. Am 1. Jänner 2021 waren um 31.600 Personen mehr im Land gemeldet als ein Jahr davor. Im Durchschnitt der drei vorangegangenen Jahre gab es ein jährliches Plus von 42.733 Personen, das Wachstum war also geringer, aber eben nicht sehr.

Das ist insofern bemerkenswert, da die Pandemie doch zu Übersterblichkeit geführt hat. Vor allem aber hat sie eine massive Störung der Wirtschaft bedingt, die ganz besonders den Tourismus und die Gastronomie betraf, also eine Branche, in denen es mehr ausländische als inländische Beschäftigte gibt, darunter auch viele Saisonkräfte.

"Es hat uns auch überrascht", sagt Alexander Wisbauer von der Abteilung Bevölkerung der Statistik Austria. Insgesamt hätte sich durch die Krise schon eine geringere Fluktuation gezeigt, also weniger Menschen kamen nach Österreich, weniger verließen das Land. "Wir waren aber auch überrascht, dass es bei der Binnenwanderung, also innerhalb Österreichs, kaum Veränderungen gab", so Wisbauer.

Im Wintersemester 2020/21 gab es zwar mehr Studienanfänger als im Jahr davor, andererseits haben die Hochschulen Corona-bedingt fast zur Gänze auf Fernlehre umgestellt. Das dürfte aber dennoch nicht dazu geführt haben, dass sehr viel mehr Studenten als sonst in ihren Heimatgemeinden gemeldet blieben.

Auffallend ist, dass die Zahl der Österreicherinnen und Österreicher im Jahresvergleich doch deutlich stärker gesunken ist als sonst, nämlich um mehr als 13.000 Personen. Auch in den Jahren davor gab es stets ein Minus, aber der Rückgang war viel geringer, eher bei 5.000.

Mehr als 200.000 Deutsche in Österreich

Ein Grund dafür ist, dass es im Vorjahr um 15 Prozent weniger Einbürgerungen gab. Auch das war eine Folge der Pandemie. Die Amtsstuben blieben mitunter geschlossen. Das erklärt aber nur einen kleinen Teil. Dass sich in diesem doch deutlichen Rückgang auch das Corona-bedingte Sterbegeschehen des Vorjahres widerspiegelt, ist naheliegend.

Anfang des Jahres waren erstmals auch mehr als 200.000 deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Österreich gemeldet. Es ist die größte Gruppe ausländischer Staatsangehöriger, und sie wuchs im Corona-Jahr wieder deutlich um insgesamt 8.739 Personen. Das betrifft aber nicht nur direkten Zuzug, sondern auch hier geborene und aufgewachsene Kinder. Hier offenbart sich auch das sehr restriktive Einbürgerungsrecht in Österreich, das Doppelstaatsbürgerschaften, wie es sie in zahlreichen anderen Ländern mittlerweile gibt, sehr erschwert.

Auffällig ist, dass der Zuwachs aus den "alten" EU-Staaten, inklusive Deutschland, im Vorjahr über dem Durchschnitt der letzten Jahre lag, jener aus dem Osten Europas (Beitritt nach 2004) unterhalb. Die Vermutung liegt nahe, dass die spezielle Situation auf dem Arbeitsmarkt im Vorjahr hier eine Rolle gespielt hat.

Der Produktionssektor in Österreich hat nämlich vergleichsweise wenig unter der Pandemie gelitten. Die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer ist hier im Vorjahr sogar gestiegen, und Deutsche sind in der Industrie die mit Abstand größte Gruppe mit 19.013 Beschäftigten. Das ist in etwa so viel wie Ungarn und Slowaken zusammen. Anders im Tourismus und der Gastronomie. In diesem von der Krise besonders hart getroffenen Sektor arbeiten dreimal so viele Ungarn und Slowaken als Deutsche. Deshalb zogen im Vorjahr weniger Menschen als sonst aus diesen beiden Nachbarländern nach Österreich. Eine Abwanderung gab es aber nicht.

Wien bleibt Magnet für Zuzügler

Nicht nur das Land, auch die Hauptstadt ist im Vorjahr gewachsen. Ein bisschen weniger als im Jahr davor, etwas mehr als 2018. Das Einwohner-Plus in Wien betrug 9.758 Personen. "Auch das hat uns absolut überrascht", sagt Wisbauer. Auch, weil der Produktionssektor in Wien eine geringere Rolle spielt. Mehr Beschäftigung gab es in Wien aber im Gesundheitssektor, so weit so logisch, aber auch im Handel sowie im stark wachsenden Bereich der Informationstechnologie.

Zuwanderung aus Drittstaaten spielt in Österreich seit Jahren eine untergeordnete Rolle, im Jahr 2020 sogar eine noch geringere. Von den 44.849 ausländischen Staatsbürgern, die am ersten Tag 2021 mehr in Österreich lebten als ein Jahr davor, kamen nur 8.582 nicht aus der EU. Rund 6.000 kommen aus Drittstaaten außerhalb Europas, wobei die Hälfte davon aus Syrien stammt. Auch hier galt: Die Corona-Krise hat kaum etwas verändert. Auch die Zahl der Asylanträge in Österreich ist stabil und stieg 2020 sogar leicht.