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Krach im Koalitionshaus, aber die Beziehung hält

Von Daniel Bischof

Politik

Türkis-grüne Reibereien nehmen zu, ein Koalitionsende ist aber unwahrscheinlich. Eine Analyse.


Nach außen hin waren sie ein glückliches Paar. Einträchtig gaben sie sich in der Öffentlichkeit, kein böses Wort sagte der eine Partner über den anderen. "Ich bin froh, dass wir keine Zeit mit Hickhack in der Öffentlichkeit verschwenden, sondern professionell zusammenarbeiten", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) über seinen Koalitionspartner. Und von Gernot Blümel hieß es: "Arbeit statt Streit" sei das Motto.

Das türkise Lob galt nicht den Grünen, sondern ging an die FPÖ. Türkis-Blau inszenierte sich als Reformregierung, die die Jahre des rot-schwarzen Dauerstreits hinter sich ließ. So harmonisch ging es tatsächlich zwar nicht zu, wie die bekannt gewordenen Chats zwischen Kurz und dem damaligen blauen Vizekanzler Heinz-Christian Strache offenlegten. Denn Türkis und Blau stritten wie auch frühere Regierungen um Posten und Reformen. Doch in die Öffentlichkeit drang damals kaum etwas. Erfolgreich vermarkteten sich ÖVP und FPÖ als einträchtige Partner, bis Ibiza die Blase der Inszenierung platzen ließ.

Ermittlungen als Dauerstreit

Unter Türkis-Grün sind die Zeiten der Eintracht vorbei. "Dieses Verhalten ist einer bürgerlichen Partei unwürdig - und ich bin mir auch sicher, dass die ÖVP-Wähler dieses Verhalten nicht goutieren." Mit diesen Worten kritisierte Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer am Wochenende die jüngsten Attacken der ÖVP auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Vertreter der Volkspartei hatten die Ermittlungen der Behörde gegen ÖVP-Politiker zuvor erneut politisch motiviert genannt.

Die WKStA und ihre Ermittlungen sind längst zum türkis-grünen Zankapfel geworden. Die scharfe Kritik Maurers, die bisher eher als Verbinderin innerhalb der Koalition auftrat, zeigt aber, wie schief der Haussegen mittlerweile hängt. In der ÖVP wurde Maurers Aufruf ignoriert, postwendend attackierte die Volkspartei die WKStA am Sonntag erneut.

Nicht nur die Korruptionsjäger sorgen für Zwist: Koalitionsintern hapert es auch bei der Kommunikation selbst grundlegender Vorhaben. Rund um die weiteren Lockerungsschritte in der Corona-Krise tauschten ÖVP und Grüne wieder einmal Unfreundlichkeiten und gegenseitige Attacken aus. Dabei lagen sie inhaltlich letztlich gar nicht auseinander.

Grüne nicht eingeweiht

Die vergangene Woche von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) vorgestellte Islam-Landkarte wurde koalitionsintern nicht einmal abgestimmt. Das ist bemerkenswert. Die Karte will alle in Österreich tätigen muslimischen Einrichtungen samt ihrer Ideologie erfassen und bewerten: Dass das bei den Grünen nicht gerade auf Begeisterung stoßen würde, war zu erwarten.

Dennoch wussten die Grünen laut eigenen Angaben nichts von dem Projekt. Man sei weder eingebunden noch vorab informiert gewesen, hieß es von der kleinen Regierungspartei, die sich von der Landkarte distanzierte. Es seien bei dem Projekt "mehrere Fragezeichen offenkundig", richtete Vizekanzler Grünen-Chef Werner Kogler der ÖVP aus.

Der Slogan der Regierung, "das Beste aus beiden Welten", geht derzeit nicht auf. Während Türkis-Blau sich ideologisch und thematisch nahestanden und eine gemeinsame Erzählung präsentieren konnten, stand Türkis-Grün stets unter einer anderen Prämisse. Die ÖVP sollte ihren harten Migrationskurs weiterziehen können, dafür durften die Grünen ihre Umweltagenda bearbeiten.

In Schönwetterzeiten mag sich das mithilfe eines sorgfältig abgestimmten Plans verwirklichen lassen. Doch geht die Feinabstimmung, die bei inhaltlich solch verschiedenen Parteien besonders notwendig wäre, zunehmend verloren. Neben der Corona-Krise zerrt der Ibiza-U-Ausschuss seit mehr als einem Jahr an den Nerven der Regierung. Dort hat sich der Fokus längst auf die ÖVP verlagert - und auch die strafrechtlichen Ermittlungen erfassen immer mehr ÖVP-Politiker.

Dagegen verteidigt sich die ÖVP mit Dauerattacken auf die WKStA. Mit Projekten wie der Islam-Landkarte und Reformen wie dem Anti-Terror-Paket soll thematisch der Befreiungsschlag gelingen. Die Grünen, die sich stets als Sauberpartei präsentierten, sind in der Zwickmühle: Einerseits dürfen sie die ÖVP nicht allzu sehr verärgern, andererseits aber auch nicht zu lasch wirken.

Im Ernstfall loyal

Trotz der Reibereien sind Neuwahlen derzeit aber unwahrscheinlich. Wenn es hart auf hart ging, stellten sich die Grünen bisher stets auf die Seite der ÖVP. Sie verhinderten die Verlängerung des U-Ausschusses, wehrten die Misstrauensanträge gegen Kurz sowie Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) ab und akzeptierten, wenn auch verärgert, die harte Gangart der ÖVP bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem griechischen Lager Moria.

Ein Bruch innerhalb der Regierungsspitze zeichnet sich auch nicht ab. Zwar ging Vizekanzler Kogler nach dem Bekanntwerden der Ermittlungen gegen Blümel auf Distanz zum Finanzminister. Ansonsten aber ist kein Zerwürfnis bekannt, vielmehr gilt das Verhältnis gerade zwischen Kurz und Kogler als gut. Ob die grüne Basis anders denkt, wird sich am 13. Juni beim Bundeskongress der Partei in Linz beweisen.

Für den Härtefall stellt sich aber die Frage: Was würden Grüne und ÖVP bei einem Koalitionsende gewinnen? Wahlkämpfe sind teuer und bergen für die finanziell schwächelnden Parteien ein Risiko. Fliegen die Grünen aus der Regierung, werden sie auch auf längere Zeit in der Opposition bleiben. Eine linke Mehrheit ist in Österreich nicht in Sicht. Eine Allparteien-Kooperation gegen Kurz, so wie sie FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl am Wochenende vorschlug, ist zwar rechnerisch machbar. Für SPÖ, Neos und Grünen würde sie aber innerparteilich eine Zerreißprobe darstellen.

Keine Alternative offen

Auch die Aussichten für die ÖVP sind schlecht. Mit einer gemäßigteren FPÖ unter Norbert Hofer würde sie wohl wieder eine Koalition formen können. Derzeit steht der FPÖ-Klub aber hinter Kickls radikalerem Kurs. Türkis-Pink hat derzeit keine Mehrheit. Auch ist fraglich, was die ÖVP dadurch für einen Vorteil hätte: Wirtschaftspolitisch stehen die Pinken der ÖVP näher, gesellschaftspolitisch aber haben sie sich weitgehend den Grünen angeglichen. Bleibt nur die SPÖ, die thematisch weit mit der ÖVP auseinander liegt. Zudem hat Kurz die Türkisen stets als Antithese zu der von ihm ungeliebten rot-schwarzen Koalition positioniert.

Einen leichtfertigen Koalitionsbruch wird vorerst keine der beiden Parteien wagen. Einen möglichen Wendepunkt stellen aber die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Kurz dar. Mit einer Anklageerhebung wird in den Reihen der Grünen zwar gerechnet. Wie sie sich aber bei einer rechtskräftigen Verurteilung des Kanzlers verhalten würden: Dazu haben sie sich noch nicht geäußert.