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Von der Maskenpflicht bis zu den Asylwerbern

Von Petra Tempfer

Politik

In der aktuellen Juni-Session wird der Verfassungsgerichtshof über mehr als 400 Fälle beraten - ohne Wolfgang Brandstetter.


Wolfgang Brandstetter, ehemaliger Justizminister, ist nun auch ehemaliger Verfassungsrichter: Nach einem Gespräch im Kollegium des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) Anfang der Woche erklärte er seinen Rücktritt "mit sofortiger Wirkung" - und nicht erst, wie in der Vorwoche angekündigt, mit 1. Juli, so der VfGH. Weitere Überlegungen, ob interne Schritte im Gerichtshof notwendig seien, erübrigten sich dadurch. Gegen Brandstetter wird schon länger aufgrund seiner, dem Ibiza-U-Ausschuss übermittelten Handy-Chats mit dem suspendierten Sektionschef Christian Pilnacek wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses ermittelt.

Ursprünglich stand der Verrat einer Hausdurchsuchung beim Unternehmer und Heumarkt-Investor Michael Tojner im Raum, dessen Anwalt Brandstetter war. In der Vorwoche wurden allerdings auch spöttische Nachrichten zu Erkenntnissen des VfGH bekannt, unter anderem zu jenen der Beihilfe zum Suizid und zum Kopftuchverbot, woraufhin Brandstetter bekanntgab, sich als Verfassungsrichter zurückziehen zu wollen. Im Dezember 2020 hatte der VfGH die Beihilfe zum Suizid erlaubt und das Kopftuchverbot an den Volksschulen für verfassungswidrig erklärt.

In der Juni-Session des VfGH ist Brandstetter also nicht mehr dabei. Diese hat am Montag begonnen, und die Richter werden innerhalb von drei Wochen über mehr als 400 Fälle beraten. Viele von diesen haben erneut einen Bezug zur Corona-Pandemie.

Kulturstopp unverhältnismäßig

So steht zum Beispiel das Betretungsverbot für Kultureinrichtungen auf der Tagesordnung: Die 4. Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung vom 5. Februar 2021 sah vor, dass man zum Beispiel Museen nicht betreten durfte, und auch kulturelle Veranstaltungen waren untersagt. Gegen diese Regelungen richtet sich nun ein von mehreren Kulturschaffenden eingebrachter Antrag, die sogenannte "Florestan"-Initiative. Darin wird vor allem geltend gemacht, dass der Zweck, Gesundheit und Leben besonders verletzlicher Gruppen zu schützen, nicht dauerhaft mit Maßnahmen einhergehen dürfe, die eine Vielzahl anderer Personen unverhältnismäßig belasten, wenn es andere geeignete Maßnahmen gibt.

Die Maskenpflicht im Geschäft ist ebenfalls Thema, und zwar im Zusammenhang mit einer Geldstrafe. Eine Kundin eines Supermarktes hatte diese erhalten, weil sie im September des Vorjahres entgegen der entsprechenden Verordnung beim Betreten keinen Mund-Nasen-Schutz gertragen hatte. Nach ihrer Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich stellte dieses beim VfGH den Antrag auf Feststellung, dass die Maskenpflicht gesetzeswidrig war. Denn: Der Gesundheitsminister habe die für die angefochtene Vorschrift maßgeblichen, tatsächlichen Umstände nicht aktenmäßig dokumentiert. Das bedeute einen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip.

Glock zum Ibiza-U-Ausschuss

Aber auch der Ibiza-U-Ausschuss beschäftigt diesmal das Höchstgericht: Die Unternehmerin Katrin Glock hat Beschwerde wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte erhoben. Sie sieht sich durch Äußerungen eines Ausschussmitglieds während der Sitzungen vor allem im Recht auf Ehre und Schutz des wirtschaftlichen Rufs verletzt.

Außerdem wird der VfGH zur Eintragung der Elternschaft bei gleichgeschlechtlichen Paaren beraten. Einer Frau, die in einer eingetragenen Partnerschaft lebt, wurde vom Magistrat der Stadt Wien die Eintragung als anderer Elternteil des Babys ihrer Partnerin verwehrt. Diese sei nur möglich, wenn an der Mutter eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung durchgeführt worden sei. Das Verwaltungsgericht Wien hat die ablehnende Entscheidung des Magistrats bestätigt. Die Beschwerdeführerin sieht darin einen Verstoß gegen das Gleichheitsgesetz, weil bei Eheleuten der Mann stets als der Vater gilt, unabhängig von der Art der Zeugung.

Nach ersten Beratungen im März wird sich der VfGH zudem erneut mit zwei Erlässen beschäftigen, wonach für Asylwerber Beschäftigungsbewilligungen nur bei befristeten Jobs als Saisonarbeiter oder Erntehelfer erteilt werden dürfen.

Damals, im März, war Brandstetter noch Teil des Plenums. Nun werden an seiner Stelle, "wie im Fall von Vakanzen üblich, Ersatzmitglieder einberufen", heißt es dazu vom VfGH. Das ist nicht ungewöhnlich. Neben den 14 VfGH-Mitgliedern gibt es sechs Ersatzmitglieder, die einspringen, wenn ein Verfassungsrichter verhindert ist - auch längerfristig. Zuletzt war das zwischen dem Wechsel Brigitte Bierleins von der VfGH-Präsidentin zur Bundeskanzlerin im Juni 2019 und der Ernennung des aktuellen VfGH-Präsidenten Christoph Grabenwarter im Jänner 2020 der Fall. Also rund acht Monate lang.

Die Tickets an den VfGH

Zur nächsten regulären Neubesetzung wäre es erst 2025 gekommen, wenn Verfassungsrichterin Claudia Kahr die Altersgrenze von 70 erreicht. Formal muss die Regierung die Nachfolger dem Bundespräsidenten vorschlagen. Die Grünen haben mit VfGH-Vizepräsidentin Verena Madner erst einmal ein Mitglied vorgeschlagen. Zudem saßen bisher Grabenwarter und fünf Weitere auf ÖVP-Tickets, fünf auf SPÖ-, und zwei auf FPÖ-Tickets.

Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler wollte sich in der Frage, wer nun Brandstetters Nachfolger nominieren soll, aber noch nicht festlegen. "Ich glaube, wir sind gerade in Zeiten, wo man sich ein bisschen zurückhalten muss, was alleinige politische Einflussnahmen betrifft. Und vielleicht muss man ja auch breiter sondieren", sagte er zu Ö1. Klubchefin Sigrid Maurer pochte auf die dreijährige Cooling-off-Phase für Politiker im geplanten Informationsfreiheitsgesetz: Dass mit Brandstetter ein Ex-Politiker VfGH-Mitglied wurde, habe sich nicht bewährt.