Für den deutschen Dschihadismus-Experten Guido Steinberg hat Österreich bei der Terrorbekämpfung das Gefahrenpotenzial unterschätzt. Das erklärte Steinberg am Donnerstag im Vorfeld einer Präsentation in Wien zur Situation des Dschihadismus in Österreich. In Österreich würde sich das dschihadistische Milieu aufgrund der ethnischen Zusammensetzung durch eine starke Vernetzung mit den Nachbarländern charakterisieren. Laut Steinberg gibt es derzeit 70 bis 150 Personen, von denen in Österreich eine besondere Gefährdung ausgeht.

Islamistischer Terrorismus in Österreich wäre insofern ein Spezialfall, als die Zahlen der Syrienkämpfer und Rückkehrer im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung deutlich höher sind als beispielsweise in Deutschland. "Das Problem ist ein bisschen größer, als es häufig scheint", so Steinberg.

"Große potenzielle Gefahr"

Die bei österreichischen Extremisten stark vertretene Gruppe der ethnischen Tschetschenen hätte sich insbesondere als "Elitetruppe des Dschihadismus" positioniert. "Die wurden in der Vergangenheit praktisch unkontrolliert ins Land gelassen", sagte Steinberg am Donnerstag im Vorfeld einer am SPÖ-nahen Kreisky-Forum vorgestellten Studie. "Die stellen aber eine große potenzielle Gefahr dar."

Die Kritik am Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in Folge des Attentats vom vergangenen November in Wien ist für Steinberg nur "teilweise gerechtfertigt". Der Fall des Attentäters und die dem BVT vorliegenden Informationen über den Munitionskauf im Ausland hätten "zu Maßnahmen führen müssen". "Wenn der Grund dafür fehlende Kapazitäten sind, dann ist das ein Problem der Politik", sagte Steinberg.

Steinberg spricht sich in der Studie für eine Stärkung des Verfassungsschutzes aus: "Österreich hat in die Terrorbekämpfung zu wenig investiert." Insbesondere die nachrichtendienstliche Komponente solle gegenüber der polizeilichen Arbeit in Österreich an Bedeutung gewinnen.

Für eine erfolgreiche Terrorismusbekämpfung in Österreich wären für Steinberg Bündnisse mit den gemäßigten Muslimen gefragt, die man mit der jüngsten "Islam-Landkarte" möglicherweise gefährdet haben könnte. "Viele normale Muslime haben das als Diskriminierung empfunden. Die Mehrheit der Muslime in Österreich ist aber verfassungstreu, diese Verbindungen sollte man pflegen."

Den Einsatz gegen die Gruppierung der Muslimbrüder in Österreich wie im Rahmen der Polizeioperation und Großrazzia "Luxor" ist für den Studienautor zweitrangig. "Die Muslimbruderschaft ist keine unmittelbare Gefahr", meinte der Experte.(apa)