Zum Hauptinhalt springen

Der rote Konflikt schlummert nur

Von Martin Tschiderer

Politik

Auf dem Bundesparteitag am Samstag dürfte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner mit solider Mehrheit wiedergewählt werden. Die Skepsis gegenüber der Vorsitzenden ist allerdings nicht verschwunden.


Die Kritik ist leise geworden. In vielen Phasen der bisherigen Amtszeit von Pamela Rendi-Wagner als SPÖ-Chefin war das kaum vorstellbar. "Parteifreunde" richteten ihr ihren Unmut, mitunter wenig subtil, via Medien aus. Die Medien selbst waren in Kommentarspalten oft kaum gnädiger. Und als die Vorsitzende ihren Genossinnen und Genossen nach der Niederlage bei der Nationalratswahl zurief "Der Kurs stimmt", da gaben nur wenige der Quereinsteigerin noch eine allzu lange Halbwertszeit an der Parteispitze.

Aber die Lage hat sich geändert. Vor dem SPÖ-Parteitag am Samstag in der Wiener Messe, an dem sich Rendi-Wagner der Wiederwahl als Bundesvorsitzende stellt, sind die Kritiker - jedenfalls in der Öffentlichkeit - de facto verstummt. An das Ergebnis ihrer erstmaligen Wahl im November 2018 (97,8 Prozent) dürfte die erste Frau an der Spitze der heimischen Sozialdemokratie zwar kaum herankommen. Ein ähnlich gutes Ergebnis wie Werner Faymann, der bei seiner ersten Wiederwahl immerhin noch auf knapp 94 Prozent kam, wird Rendi-Wagner aber zugetraut.

Wer sich in der Partei umhört, der ortet Disziplin und das Bemühen um einen Parteitag ohne Wellen. "Wir haben in den Leitanträgen alle wichtigen Herausforderungen der Zeit angesprochen", sagt ein langjähriger roter Parlamentarier zur "Wiener Zeitung". "Und die werden wir ordnungsgemäß beschließen." Tatsächlich hat man sich mit zehn Leitanträgen so etwas wie ein "Best of Sozialdemokratie" vorgenommen. Die Forderung nach einer Arbeitszeit-Verkürzung findet sich da ebenso, wie eine Erbschafts- und Vermögenssteuer oder die Deckelung von Managergehältern.

Rückkehr in die Wohlfühl-Rolle

Dass schon in den Monaten vor dem Parteitag eine für die SPÖ der vergangenen Jahre ungewohnte Ruhe eingekehrt ist, hat mehrere Gründe. Der erste hat mit einem Schachzug der Parteichefin zu tun. Anfang vergangenen Jahres stellte Rendi-Wagner per Mitgliederbefragung die Vertrauensfrage. Die Operation glückte, mehr als 70 Prozent stimmten für den Verbleib der Vorsitzenden.

Die Kritiker agierten fortan zurückhaltender, überzeugt waren sie allerdings nicht. Dann kam Corona. Und im Zuge der Pandemie konnte die Ärztin plötzlich wieder in eine Rolle schlüpfen, in der sie sich seit ihrer Zeit als Sektionschefin im Ministerium und später Gesundheitsministerin sichtlich wohler fühlte als in jener der lautstark auftretenden Oppositionschefin: Medien befragten die Infektiologin in der Rolle der Expertin zur Pandemie.

Die für die Partei zwischenzeitlich miserablen Umfragewerte stabilisierten sich zusehends. Inzwischen hält die SPÖ bei rund 23 bis 25 Prozent und machte im Laufe der vergangenen Monate immer mehr Boden auf die ÖVP gut. Wermutstropfen für die Genossen: Von Platz eins ist man dennoch um die zehn Prozent entfernt. Und: Der schrumpfende Abstand zur ÖVP speist sich vor allem aus der aktuellen Krise der Volkspartei, die in zahlreichen Ermittlungssträngen ins Visier der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geriet - und weniger aus der eigenen Themensetzung der Sozialdemokratie.

Dennoch: Selbst der letzte verbliebene öffentliche Kritiker der Parteichefin trat zum Rückzugsgefecht an - und geriet seinerseits in gewisse Isolation innerhalb der Partei: Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil wurde zunehmend leiser, wenn es um öffentliche Aussagen in Richtung der Parteichefin ging. Bereits Ende April hat er erklärt, am Parteitag nicht mehr als stellvertretender Parteiobmann zu kandidieren. Damit kam er auch einer wahrscheinlichen Abwahl zuvor. Denn die Zahl der Stellvertreter wird am Samstag von stattlichen 17 auf elf reduziert.

"Doskozil wird Anspruch auf Spitze wieder stellen"

Die prominenten SPÖ-Namen werden sich mit Ausnahme Doskozils trotz der Verkleinerung im Präsidium finden: der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser und sein Wiener Amtskollege Michael Ludwig ebenso wie die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures. Auch die SPÖ-Chefs aus Niederösterreich, Franz Schnabl, und Tirol, Georg Dornauer, die beide als Kritiker Rendi-Wagners gelten, werden mit von der Partie sein. Die SPÖ-Frauen entsenden die am Freitag gewählte Eva-Maria Holzleitner als Nachfolgerin Gabriele Heinisch-Hoseks.

In der nach außen zelebrierten Einheit sollte aber nicht übersehen werden: Die parteiinternen Kritiker Rendi-Wagners sind leise geworden - aber nicht verschwunden. Nicht wenige in der Partei werten den Rückzug Doskozils zudem als einen so strategischen wie vorübergehenden. "Er wird seinen Anspruch auf die Bundesspitze sicher wieder stellen, nachdem Rendi-Wagner noch eine Wahl verloren hat", sagt ein Wiener Roter zu dieser Zeitung.

Und auch die Frage, wie nachhaltig der Umfragen-Zugewinn der Genossen sein wird, sollte die ÖVP den Krisenmodus in absehbarer Zeit wieder verlassen, wird sich weiter aufdrängen. Denn manch parteiinterner Kritiker würde auch unmittelbar vor dem Parteitag nicht unterschreiben, dass "der Kurs stimmt".

"Bei großen Streitfragen uneinig"

"In praktisch allen großen Streitfragen unserer Zeit ist sich die Sozialdemokratie uneinig", sagt Nikolaus Kowall, einst Vorsitzender der parteikritischen "Sektion 8", zur "Wiener Zeitung". "Das gilt für den Klimawandel, die Migrationsfrage, die Verkehrspolitik, teils auch für Freihandel und Globalisierung." Konsens bliebe da nur noch bei Sozialpolitik und der Verteilungsfrage. Dass es in den anderen Fragen keine Einigkeit gäbe, liege auch daran, dass man "in den 1980ern praktisch aufgehört hat, inhaltliche Fragen auszudiskutieren", sagt Kowall.