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Licht und Schatten der Ibiza-Polarisierung

Von Daniel Bischof

Politik

Die Polarisierung der Innenpolitik wurde durch den U-Ausschuss vorangetrieben, mit allen Vor- und Nachteilen. Eine Analyse.


Warum er denn so in die Ecke grinse, ärgert sich Grünen-Politikerin Nina Tomaselli über Wolfgang Sobotka (ÖVP), den Vorsitzenden des Ibiza-U-Ausschusses. Ob Sobotka "Kontakt mit jemandem aufnehmen" wolle, wirft sie in den Raum. Er habe nicht gegrinst, das sei eine Unterstellung, empört sich Sobotka lautstark. "Irgendwann ist der Punkt erreicht, wo Sie sich zurücknehmen müssen!", fährt er die Grünen-Politikerin an.

Szenen wie diese gab es diese Woche im Ibiza-U-Ausschuss zuhauf. Die Stimmung zwischen den Parteien ist seit Wochen eisig, nun scheint der Tiefpunkt erreicht. Als "Giftmischer des politischen Klimas in Österreich" und "Schande des Parlamentarismus" bezeichnete ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger seinen SPÖ-Amtskollegen Jan Krainer. Die Befragungen verliefen sich in stundenlangen Disputen um die Geschäftsordnung, begleitet von aggressiven und empörten Zwischenrufen.

Wie tief die Abneigung zwischen manchen Abgeordneten sitzt, zeigt sich auch bei den allmorgendlichen Medienstatements der Politiker vor den Befragungen. Nicht nur vor der Kamera zeigen sich die Differenzen zwischen Hanger und Neos-Fraktionsführerin Stephanie Krisper. Auch am Gang vor den Medienräumen kann beobachtet werden, wie die beiden Politiker sich vorwerfen, Unwahrheiten zu verbreiten.

Möglichkeit für die Opposition

Die Polarisierung der österreichischen Innenpolitik, sie wurde durch den Ibiza-U-Ausschuss innerhalb eines Jahres kräftig vorangetrieben. Das liegt zu einem guten Teil in der Natur des U-Ausschusses selbst. Das parlamentarische Kontrollgremium beschäftigt sich nun einmal meist mit Affären und Vorwürfen, die Zündstoff in sich bergen. Der Ibiza-U-Ausschuss ist auch keineswegs der erste Ausschuss, in dem die Parteien im Dauerclinch liegen: Man denke nur an die diversen U-Ausschüsse zum Eurofighter-Kauf.

Zudem ist das Kontrollgremium eine der wenigen großen Bühnen, welche die Opposition bespielen kann. Das gilt besonders für den Ibiza-U-Ausschuss. Nach Beginn der Pandemie im Frühling 2020 kratzte Bundeskanzler Kurz mit der Volkspartei in Umfragen an der absoluten Mehrheit. Es gab kaum einen Tag, an dem die türkis-grüne Koalition keine Pressekonferenz abhielt. Während die Regierung omnipräsent war, blieb die Opposition im Schatten. Durch den Ibiza-U-Ausschuss, der im Juni 2020 startete, konnte sie wieder ins mediale Rampenlicht treten. Das ist im Sinne der Ausgewogenheit und eines lebendigen Parlamentarismus auch zu begrüßen.

Neben einer Bühne gab der Ausschuss der Opposition die von ihr lang ersehnte Angriffsmöglichkeit auf die Türkisen, die noch im Frühsommer im Corona-Umfragehoch schwebten. Der Fokus der Untersuchungen verschob sich rasch von der FPÖ zur ÖVP - zur Freude der Blauen. Sie hatten mit Kurz nach dem Koalitionsbruch ohnehin noch eine Rechnung offen. Die Neos schossen sich wiederum auf die "türkise Familie" und das "System Kurz" ein: Verhandelten Neos-Gründer Matthias Strolz und Kurz 2016 noch über eine gemeinsame Wahlplattform, ist es nun vorbei mit den Gemeinsamkeiten. Und die Abgrenzung zur SPÖ, die ist sowieso Teil der türkisen DNA.

Wie tief die Gräben sind, zeigte sich gleich bei den ersten Befragungen. Ob diese und jene Frage an die Auskunftsperson nun zulässig sei, beschäftigte den Ausschuss zuhauf. Einzelne Wörter in einer Frage konnten sogar semantische Debatten auslösen. Diese Dispute um die Geschäftsordnung wurden vor allem von der ÖVP losgetreten. Allerdings gaben ihr oft Abgeordnete aller Parteien mit Suggestivfragen und Fragen mit unterstellendem Unterton die Gelegenheit dazu.

Böse Behörde, gute Behörde

Inhaltliche Durchbrüche blieben bei den Befragungen zumeist aus: Die Coups des Ausschusses kamen vielmehr über veröffentlichte Akten aus Strafverfahren oder Chatprotokolle zustande. Rücktritte von Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter, Öbag-Chef Thomas Schmid und die vorläufige Suspendierung Pilnaceks folgten. Zugleich geriet die ÖVP durch Ermittlungen gegen Finanzminister Gernot Blümel und Bundeskanzler Kurz unter Druck.

Je mehr Akten veröffentlicht und je mehr Vorwürfe bekannt wurden, desto mehr verschärfte die ÖVP ihre Tonalität, vor allem ihr Fraktionsführer Hanger. Er holte zum verbalen Rundumschlag aus: Im Wochentakt nahm er die Ermittler, die Opposition und den grünen Koalitionspartner ins Visier. Am Donnerstag kam eine Fernsehjournalistin dazu: Dieser warf er vor, "nicht ausgewogen" über den Ausschuss zu berichten.

So wichtig die Polarisierung zwischen den Parteien für einen lebhaften Parlamentarismus ist, so sehr zeigt sie im Ausschuss auch ihre Schattenseiten. Schwarz-Weißmalerei ersetzt Differenzierungen, Behörden werden in Gut und Böse eingeteilt, verunglimpft oder bedingungslos verteidigt. Hier die gute Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), da die böse Oberstaatsanwaltschaft Wien - oder eben umgekehrt. Während die ÖVP ihre pauschalen Angriffe auf die WKStA fortsetzt, verurteilt die Opposition jede Kritik als "Angriff auf den Rechtsstaat". Ein nüchterner Blick, ein Abwägen von Pro und Contra, ist in der aufgeheizten Lage kaum möglich.

Schwierige Kompromisse

Rupert Wolff, Präsident der Österreichischen Rechtsanwaltskammer, befürchtete am Donnerstag, "dass vieles von dem, was derzeit politisch als Justizkritik verkauft wird, der berechtigten und notwendigen Kritik an der Justiz schweren Schaden zufügen wird". "Wer die Kritik an der Justiz ad absurdum führt, der nimmt diesem Staat einen wesentlichen Teil seiner Zukunft", sagte er und rief alle Akteure in Justiz und Politik zu "Besonnenheit und Demut" auf.

Die angespannte Stimmung und Abneigung der Mandatare könnte es auch erschweren, Kompromisse für künftige Reformen zu finden. Diese werden wohl gerade bei einer Reform des U-Ausschusses gebraucht werden. Alle Parteien sind sich zwar einig, dass Änderungen erforderlich sind, wie diese ausschauen sollen, darüber wird aber gestritten. Während die Opposition die Rechte des Gremiums ausweiten will, pocht die ÖVP auf strengere Regeln für die Abgeordneten, etwa beim Fragenstellen.

Dass sich die Wogen glätten, ist kaum zu erwarten. Nächste Woche steuert der U-Ausschuss auf seinen nächsten Höhepunkt zu: Am Donnerstag soll Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) befragt werden. Auch bei den angepeilten Auskunftspersonen Justizministerin Alma Zadic (Grüne) und dem vorläufig suspendierten Straflegistik-Sektionsschef Christian Pilnacek könnte es hitzig zugehen.