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Rechnungshof kritisiert Reform des Maßnahmenvollzugs

Von Petra Tempfer

Politik

Die Begutachtungsfrist läuft am Dienstag aus - wesentliche Inhalte wie die strikte Trennung vom Strafvollzug und genügend forensisch-therapeutische Zentren seien nicht umgesetzt, so die Kritik.


Die Kritik des Rechnungshofes am Maßnahmenvollzug in Österreich reicht mehr als ein Jahrzehnt zurück. Immer wieder mahnte er Reformen ein. Mittlerweile ist das erste Reformpaket (Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz) seit 25. Mai in Begutachtung, die Frist endet am Dienstag - und die jüngste Kritik des Rechnungshofes (RH) betrifft nun auch das Reformpaket selbst.

Mit diesem sollen jene psychisch kranken Rechtsbrecher, von denen keine dauerhafte Gefahr ausgeht, künftig in psychiatrischen Abteilungen von Spitälern behandelt werden, um den Maßnahmenvollzug zu entlasten. In diesem sind derzeit rund 1.300 Menschen untergebracht - dreimal so viele wie vor 20 Jahren. Wesentliche Inhalte seien im Reformpaket aber nicht umgesetzt, heißt es in der Stellungnahme von RH-Präsidentin Margit Kraker. Allem voran fehle die Trennung zum Strafvollzug: Der Vollzug der strafrechtlichen Unterbringung in der Maßnahme sollte nicht mehr im Strafvollzugsgesetz, sondern in einem gesonderten Gesetz (Maßnahmenvollzugsgesetz) unter strikter Wahrung des Abstandsgebots zum Strafvollzug geregelt werden, heißt es. Ein eigenes Maßnahmenvollzugsgesetz fordert auch die Volksanwaltschaft in ihrer Stellungnahme. Es ist seit Jahren geplant.

Behandlung im Vordergrund

Der Grundgedanke dabei ist, dass selbst bei einer strafrechtlich relevanten Handlung die medizinische Behandlung im Vordergrund steht, wenn diese aufgrund einer geistigen Abnormität begangen wurde. Ganz so einfach dürfte diese Trennung aber nicht sein. Denn der Dachverband der Sozialversicherungsträger hält zum Beispiel in seiner Stellungnahme fest: "Aus Sicht der sozialen Krankenversicherung stellen gerichtlich angeordnete Maßnahmen keine Krankenbehandlung dar, und es besteht sohin keine Leistungspflicht." Und weiter: "Die Gesetzesänderung darf keinesfalls zu Mehrkosten für die gesetzliche Sozialversicherung führen."

Die Abgrenzung medizinischer Behandlungen, die im Zusammenhang mit einer Straftat vom Gericht angeordnet oder bei Gefängnisinsassen notwendig werden, habe schon in der Vergangenheit zu Diskussionen geführt. Der Zweck einer gerichtlich angeordneten Maßnahme diene aber primär der Strafprävention und nicht der Krankenbehandlung, so der Dachverband.

Psychisch kranke Straftäter sollen laut vorliegendem Reformpaket nicht mehr in "Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher" kommen, sondern in "forensisch-therapeutische Zentren". Laut RH sieht § 432 Abs. 2 des Entwurfes der Strafprozessordnung vor, dass "der Betroffene in einem dem zuständigen Gericht möglichst nahe liegenden geeigneten forensisch-therapeutischen Zentrum unterzubringen [ist]. Die Bundesministerin für Justiz kann im Einzelfall den Vollzug in einem anderen forensisch-therapeutischen Zentrum oder in einer anderen psychiatrischen Krankenanstalt anordnen" - etwa, um einen Überbelag zu vermeiden. Laut RH war aber zum Beispiel auch die Forensik der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Landeskrankenhaus Hall in Tirol bereits 2016 zu 111,5 Prozent ausgelastet.

Das Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie an der Universität Innsbruck kritisiert in ihrer Stellungnahme, dass weitgehend unklar bleibt, wie das Abstandsgebot und die Unterbringung in forensisch-therapeutischen Zentren konsequent umgesetzt werden könne. Die von Justizministerin Alma Zadic (Grüne) angekündigten 140 Millionen Euro für den Umbau und Erweiterungen der Justizsonderanstalten Göllersdorf und Asten könnten nur ein erster Schritt sein.

Ganz ähnlich formuliert es die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck. Es mangle an den im Entwurf für die Unterbringung der psychisch Kranken vorgesehenen forensisch-therapeutischen Zentren - zudem gebe es nicht genug Sachverständige der Psychiatrie, schreibt sie. Die eigentlich geplante, menschenrechtskonforme und zugleich ressourcenbewusste Modernisierung des Maßnahmenrechts werde man mit dem Entwurf nicht erreichen.

Menschenrechts-Klage droht

Um die Einhaltung der Menschenrechte geht es auch in einer drohenden Klage durch den Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Sachen Maßnahmenvollzug. Der EGMR hatte die Republik Österreich schon 2015 und 2017 unter anderem wegen zu langer Unterbringung verurteilt. Die nächste Klage drohe nun, weil ein Gericht vor einer Einweisung kein drittes Gutachten eingeholt habe, heißt es in einer aktuellen Anfragebeantwortung auf Verlangen der FPÖ durch Justizministerin Zadic. Demnach betrug der Median der Anhaltedauer aller 2019 bedingt entlassenen zurechnungsunfähigen Rechtsbrecher 2,6 Jahre und aller zurechnungsfähigen 5,1 Jahre. Zu den Kosten durch die Reform nannte Zadic keine Zahlen. Diese "werden derzeit ermittelt", heißt es.