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Schutz vor dem Coronavirus wird zur Privatsache

Politik

Bundeskanzler Kurz: "Die Entscheidung, die jeder für sich zu treffen hat, ist: Impfung oder Ansteckung."


Die Delta-Welle ist zwar im Anmarsch, die Bundesregierung wird aber an ihren Öffnungsschritten festhalten. Die nächste Etappe steht ab 22. Juli an, da fällt die Registrierungspflicht und teilweise auch die Maskenpflicht. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unterstrich am Freitag nach einer Sitzung der Corona-Taskforce mit der Regierungsspitze, Ländervertretern und Experten klar, dass auch bei einer größeren Welle kaum staatliche Maßnahmen zu erwarten sind: "Wir werden keine massiven Einschränkungen vornehmen, wenn es gelindere Mittel gibt." Kurz meint damit FFP2-Masken, Tests, vor allem aber: die Corona-Schutzimpfung. Man könnte es so deuten: Jetzt ist es der Regierung ernst mit der Eigenverantwortung.

Es gab nach der Sitzung zwar keine Festlegung darauf, dass unter keinen Umständen mehr ein Lockdown kommen wird, doch die Hürden dafür werden andere sein. Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) wiederholte, was Kurz am Abend davor sinngemäß auch auf einer Veranstaltung des Tourismusministeriums erklärt hatte: "Die Inzidenz ist nicht ausschlaggebend, sondern nur die Belegung in Krankenhäusern und auf Intensivstationen ist entscheidend", sagte der derzeitige Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz. Am Freitag nannte Kurz noch eine weitere Situation, die die Regierung veranlassen könnte, wieder zu harten Maßnahmen zu greifen: "Wenn es eine Mutation gibt, die von der Impfung nicht abgedeckt ist."

Vor der nun auch in Österreich grassierenden Delta-Variante schützen die Impfungen zwar etwas schlechter, aber immer noch ausreichend bei einer Vollimmunisierung. Auch wenn noch keine Gewissheit besteht, wie lange dieser Schutz anhält, will man ab Herbst dann Alte und chronisch Kranke ein drittes Mal impfen, um sie noch besser im Winter schützen zu können.

Aktuelle und ausführliche Daten zur Wirksamkeit der Impfungen gegen Delta gibt es aus Großbritannien. Von den 123.000 bestätigten Fällen mit dieser neuen Variante waren rund 10.000 vollimmunisiert, 72.000 dagegen gar nicht geimpft. 257 Personen sind bisher nach einer Delta-Infektion gestorben, 118 jedoch nach zwei Impfdosen. Fast alle waren laut Statistik älter als 50 Jahre, aus den USA ist bekannt, dass vor allem sehr betagte Personen nach Vollimmunisierung nach einer Infektion sterben. Das wird in Richtung Herbst noch eine bedeutende Frage werden: Wie gut ist der Impfschutz für die besonders vulnerablen Personen, etwa in den Pflegeheimen?

Dass sich durch die Impfung das Infektions- vom Erkrankungsgeschehen aber abkoppeln wird, ist sicher. Noch ist aber nicht klar, wie stark dieser Effekt durch die fortgeschrittene Immunisierung in der Bevölkerung ausgeprägt sein wird und ob andererseits die Delta-Variante bei Ungeimpften zu schwereren Krankheitsverläufen führt.

Nächsten Öffnungsschritte ab 22. Juli

Das Prognose-Konsortium hat auf Basis unterschiedlicher Annahmen versucht, den Verlauf der anstehenden Welle zu modellieren. "Ein systemkritischer Belag in den Krankenanstalten ist im Sommer 2021 unwahrscheinlich", heißt es in der Arbeit. Doch was ist danach? Je weiter in die Zukunft gerechnet wird, desto schwerwiegender wirken auch nur kleine Unterschiede zwischen den einzelnen Annahmen und der Realität. Im besten Szenario kommt es auch bis Ende September zu keiner systemkritischen Belegung der Spitäler mit Covid-Patienten. Auch im berechneten Worst-Case-Szenario ist eine Überlastung der Intensivstationen eher unwahrscheinlich, aber doch im Bereich des Möglichen.

"Die Sache ist eindeutig", sagte Kurz. "Das Virus wird nicht verschwinden. Wer sich nicht impft, hat eine hohe Chance, sich anzustecken, wenn nicht im August, dann im Herbst, wenn nicht im Herbst, dann im Winter. Die Entscheidung, die jeder für sich zu treffen hat, ist: Impfung oder Ansteckung", sagte Kurz. Auf Dauer könne man aber nicht Maßnahmen setzen, wenn es andere, niederschwellige Möglichkeiten gibt, sich zu schützen.

Ab 22. Juli muss im Handel keine Maske mehr getragen werden, allerdings gibt es Ausnahmen. In Geschäften des täglichen Bedarfs, also Apotheken, Banken und Supermärkten, muss weiterhin ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden, ebenso in öffentlichen Verkehrsmitteln und Pflegeheimen.

Die Regierung erwartet einen weiteren Anstieg der Fallzahlen, der bereits begonnen hat. Am Freitag meldeten die Bundesländer insgesamt 163 Infektionen, doch deutlich mehr als durchschnittlich in den vergangenen Tagen. "Die Pandemie kommt in Wellen, das haben wir oft erlebt, und das wird auch in Österreich so stattfinden. Es wird auch massiv ansteigen, wenn die kalte Jahreszeit kommt", sagte Kurz.

Auch Oswald Wagner, Vize-Rektor der MedUni Wien, sieht durch die Impfung nun eine andere Phase in der Virusbekämpfung. Mit dieser Impfung, so Wagner, entstünde eine Situation, bei der sich die "Politik aus der Pandemie zurückziehen kann", so der Mediziner. Sollten neue Varianten kommen, die dem Impfschutz noch besser ausweichen, könnten die Impfstoffe in wenigen Wochen entsprechend angepasst werden. "Lassen Sie sich impfen, haben sie keine Angst", sagte Oswald.

Eine große Herausforderung bleiben aber für September die Schulen, wie auch Günther Platter erklärte. "Homeschooling müssen wir vermeiden, es darf nicht passieren, dass wir die Schulen sperren müssen", sagte Tirols Landeshauptmann. Bis zum Schulstart können zwar theoretisch noch viele 12-Jährige geimpft werden, aber wie groß die Bereitschaft hier am Ende sein wird, ist ebenfalls noch unsicher. Für Jüngere gibt es bisher noch gar keine Zulassung. Ist die allgemeine Corona-Inzidenz beim Schulstart aber sehr hoch, sind in den Klassen viele Infektionen zu erwarten. Auch dafür gibt es schon Daten aus Großbritannien. Bevor dort die Ferien begannen, waren immerhin 6,3 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in Quarantäne. (sir)