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Bunt wie die Grazer ÖVP

Von Tobias Kurakin

Politik
© Foto Fischer

Siegfried Nagl lässt in Graz neu wählen. Der wandlungsfähige Langzeit-Bürgermeister geht damit wieder auf Partnersuche.


Koalitionen mit der KPÖ, der SPÖ, den Grünen und zuletzt den Freiheitlichen. Kein anderer ÖVP-Politiker der Geschichte griff derart oft in den politischen Farbtopf, wie der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl.

Politisch war Graz stets ein Boden für Überraschungen, der Bürgermeister blieb aber die Konstante. 2014 eroberten die Grünen bei der Europa-Wahl die Stadt, ein Jahr danach war die SPÖ bei den Landtagswahlen stimmenstärkste Partei, die ÖVP triumphierte 2017 bei den Nationalratswahlen - und die FPÖ war dem Wahlsieger nie mehr als acht Prozentpunkte fern.

So bunt gemischt die Wählerinnen und Wähler bei den unterschiedlichen Urnengängen votierten, so anpassungsfähig agierte Nagl während seiner Amtszeit. Seit 18 Jahren sitzt der 58-Jährige im Bürgermeistersessel im Grazer Rathaus - so lange wie keiner seiner Vorgänger. Koalitionen mit allen mehrheitsgebenden Parteien sicherten seinen Sitz als Stadtoberhaupt. Die verschiedenen Bündnisse sind aber auch dafür verantwortlich, dass die Handschrift des Bürgermeisters eher bunt und mit wenig Wiedererkennungswert versehen ist - und einigen Widersprüchlichkeiten: Zugangsbeschränkungen für Ausländer zum Gemeindebau, aber auch die Einführung eines Veggie-Tages in städtischen Einrichtungen; Ausbau des Flughafens, aber auch eine 30 Millionen Euro schwere Investition in den Grazer Klimaschutzfonds.

Nun hat Nagl mit seinem Prestigeprojekt, dem geplanten Bau einer U-Bahn in Graz, die Themenführerschaft auf den Verkehr gelegt. Die Volkspartei ist auf Schiene, denn dass die Ära Nagls mit dem Wahltag am 26. September endet, glauben die wenigsten. Entscheidend bleibt die Frage, welche Partei dieses Mal das absehbare Koalitionspapier der ÖVP in Österreichs zweitgrößter Stadt bunter machen wird.

Umfragen, die eine drohende Patt-Situation oder eine abstürzende ÖVP prognostizieren, hält der Politikforscher der FH Joanneum Graz, Heinz Peter Wassermann, für bewusstes Kalkül der Volkspartei. Wie für langdienende Parteien üblich, habe auch die ÖVP in Graz ein Mobilisierungsproblem. "Die Schwarzen versuchen, mit Umfragen Politik zu machen und möchten Wähler mit Schreckensszenarien vor Grazer Kolchosen an das Dogma ,wer Nagl will, muss Nagl wählen’ zu binden", sagt Wassermann.

Kannibalisierende Linke

Das dunkelrote Schreckensgespenst als Mobilisierungsmotor ist altbekannt. Die KPÖ, die auf bundespolitischer Ebene das Parlament nur mehr aus dem Geschichtsunterricht kennt, ist in Graz die zweitstärkste Kraft. Mit konsequenter Themenführerschaft im Bereich Wohnen, stabilisierten sich die Kommunisten auf einem stolzen Niveau von 20 Prozent - zum Leidwesen von anderen linken Kräften. Wassermann spricht von einer "Kannibalisierung des linken Lagers".

Die starke KPÖ hat der einstigen Bürgermeisterpartei SPÖ in der steirischen Landeshauptstadt seit Jahren den Rang abgelaufen und hatte auch dafür gesorgt, dass die Sozialdemokraten 2017 um 165 Stimmen den Einzug in die Stadtregierung verpasst hatten. Die Kommunisten stellen hingegen eine Stadträtin im Proporzsystem, die Gestaltungsfähigkeiten waren für die Oppositionspartei aber in den letzten Jahren bescheiden.

Schwächelnde Mitte

Die SPÖ, die hinter vorgehaltener Hand als Nagls liebster Bündnispartner genannt wird, dürfte aus arithmetischen Gründen als Koalitionspartner ausscheiden. Schon vor vier Jahren kamen die Sozialdemokraten in Graz nur auf zehn Prozent. Ein Bündnis mit den Kommunisten ist für Nagl, der von rund 38 Prozent wegstartet, seit 2017 ein (dunkel-) rotes Tuch. Damals kündigte der Bürgermeister die Koalition aufgrund einer Auseinandersetzung um das Wasserkraftwerk an der Mur im Zorn auf. Das Kraftwerk, das beide Ufer der Mur verbindet, trennt ÖVP und KPÖ nach wie vor. Die Stimmung zwischen Nagl und der KPÖ-Vorsitzenden Elke Kahr ist noch immer angespannt. Eine Koalition zwischen den Bündnispartnern von 2013 bis 2017 gilt daher als ausgeschlossen.

Beobachter der Stadtpolitik rechnen indessen mit einem Bündnis aus ÖVP und den Grünen. Frei nach Sebastian Kurz könnte Nagl von den Freiheitlichen zur Öko-Partei wechseln. FPÖ-Vizebürgermeister Mario Eustacchio ortet ob des vorgezogenen Wahltermins und der Kampfeslust der Grünen "eine Order aus Wien, um hier auch die steirische Landeshauptstadt gleichzuschalten". Ein derartiges Bündnis hatte es bereits von 2008 bis 2012 gegeben, damals hatte Nagl aufgrund eines Streits um eine Bürgerbefragung zu einem Wohnbauprojekt die Koalition aufgekündigt. Die Grünen, auf die bei der vergangenen Gemeinderatswahl 10,5 Prozent der Stimmen fielen, verfolgen nun auch selbst die Ambitionen die Stadt zu führen. "Ich will Bürgermeisterin werden", sagt Judith Schwentner, die aber auch eine Koalition mit der Volkspartei nicht ausschließt. Für eine solche stellen die Grünen aber eine "Klima- und Verkehrswende" als Bedingung. Nagls Plänen einer U-Bahn kontern die Grünen mit einem S-Bahn-Ring, um nachhaltig den Autoverkehr in der Stadt zu reduzieren. Schwentner setzt sich demnach als klares Ziel: "Diese Autofahrpolitik muss beendet werden."

Ratlose Rechte

Anders sehen das die Freiheitlichen, die ein Wahlergebnis von 16 Prozent zu verteidigen haben. FPÖ-Vizebürgermeister Eustacchio sieht sich demnach als "Stimme für die Autofahrer". Bei den Blauen ist man ob des Koalitionsendes zwar noch enttäuscht, steht aber weiterhin für eine Zusammenarbeit zur Verfügung. Konkrete Projekte oder Ziele, was in dieser erreicht werden sollte, hat die FPÖ indes noch nicht formuliert. "Sicherzustellen, dass an uns kein Weg vorbeiführt", ist seit Wahlkampfbeginn der oberste Schlachtruf von Eustacchio und seinen Kollegen. An der U-Bahn werde eine Neuauflage von Türkis-Blau mit Sicherheit nicht scheitern. Auch die FPÖ hat sich demnach positiv gegenüber den Plänen des Bürgermeisters geäußert und erklärte bereits ihre Unterstützung.

Die Koalitionsfrage ist für Nagl wieder einmal eine Richtungsentscheidung zwischen links und rechts. Mögliche Abzweigungen inbegriffen, denn in Graz waren seit jeher politische Weichenstellungen schwer vorauszusagen.