In der Nacht auf den 9. November, eine Woche nach den Terrormorden in Wien, fanden in ganz Österreich mehr als 60 Hausdurchsuchungen statt, fast 1.000 Polizistinnen und Polizisten waren bei der Operation "Luxor" getauften Aktion beteiligt. Das Ziel war das mutmaßlich weitverzweigte Netz von Muslimbrüdern in Österreich. Ein Schlag gegen den islamistischen Terror? Oder gegen den politischen Islam?
Die Grenzen verschwammen bereits damals, als Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) die Öffentlichkeit am Vormittag über die Razzia informierte. Einerseits sprach er vom Verdacht der Terrorfinanzierung und der Bildung einer Terrororganisation, andererseits aber auch über den "politischen Islam", der "zutiefst gefährlich" sei, weil er sich gegen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die Trennung von Religion und Staat stelle.
Die Grenzen zwischen Terror und islamischen Hardlinern verschwimmen auch bei den Muslimbrüdern selbst, wie Expertinnen und Experten nach der Razzia berichteten. Für das Oberlandesgericht Graz aber jedenfalls in neun Fällen nicht weit genug, um aus einer möglichen Mitgliedschaft bei Muslimbrüdern einen Verdacht der Terrorfinanzierung zu zimmern. Die Hausdurchsuchungen seien, so das OLG Graz, in diesen Fällen rechtswidrig sowie die Sicherstellungen im Zuge der Razzia zum Teil überschießend gewesen. So wurden in einem Fall nicht nur Geld, sondern auch Damenschmuck und sogar Montblanc-Kugelschreiber und Armbanduhren beschlagnahmt.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts greift die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen durchaus grundsätzlich an. Die Muslimbruderschaft könne als Gesamtheit nicht als terroristische Vereinigung gewertet werden, auch wenn einzelne Terrororganisationen, die in dem Beschluss auch erwähnt werden, eine Verbindung zur Muslimbruderschaft aufweisen. Letzteres bedeute aber nicht, so das Gericht, dass "jeder Muslimbruder weltweit gleichzeitig auch ein Mitglied oder Förderer einer terroristischen Vereinigung" sei.
Mutmaßungen und indirekte Verbindungen
Aus den Prüfungen der einzelnen Fälle geht auch hervor, dass die Hinweislage zur Mitgliedschaft bei der Muslimbruderschaft selbst, zumindest in diesen Fällen, mitunter auch recht dünn gewesen ist. In einem Fall ist von einer bloßen "Mutmaßung" der Behörden die Rede. In einem anderen Fall wird aus der Leitung und Beteiligung an einem Hotel, in dem, erstens, einmal ein später verurteilter Hamas-Terrorist nächtigte sowie, zweitens, das Hotel auf einem Grundstück steht, dessen Eigentümer wiederum der Mitgliedschaft der Muslimbruderschaft verdächtigt wird, der Verdacht konstruiert, dass auch der Geschäftsführer ein Muslimbruder sei. Das erscheint dem Gericht in seiner Entscheidung, gegen die übrigens kein Rechtsmittel zulässig ist, als nicht nachvollziehbar.
"Nicht der politische Wille, sondern die Rechtsstaatlichkeit hat die Oberhand behalten", sagt der Anwalt Andreas Schweitzer. Er vertritt einige Beschuldigte in dem Verfahren, aber niemanden von jenen, die nun vor dem OLG Graz recht bekamen. "Es gibt noch viel Ermittlungsbedarf. Bisher hat man wenig bis gar nichts", sagt Schweitzer. Erkenntnisse, die die Staatsanwaltschaft aus dem nun als rechtswidrig erkannten Zwangsmittel gewinnen konnte, dürfen vor Gericht verwendet werden. Es gibt kein Beweismittelverbot, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Graz.
Dies deshalb, weil der Haft- und Rechtsschutzrichter, der die Hausdurchsuchungen genehmigte, Mitte Oktober ursprünglich anders entschieden habe. Dieser habe aber, so berichten es Anwälte, die 187-seitige Anordnung der Staatsanwaltschaft binnen eines Tages genehmigt. Die einzelnen Fälle könne man da gar nicht prüfen, sagt Schweitzer. Andererseits wäre bei so vielen Verdächtigen eine Einzel-Prüfung kaum durchführbar. Das ist gewissermaßen eine Rechtsschutzlücke.
Die Ermittlungen in der Operation "Luxor" reichen bis 2019 zurück, mit dem Terrorangriff vom 2. November in Wien hatten sie nichts zu tun. Allerdings war die Aktion, eine Woche nach dem Anschlag, durchaus von politischer Inszenierung begleitet.