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Das Mindeste ist zu knapp bemessen

Von Martina Madner

Politik
,Familien mit vielen Kindern erhalten in Oberösterreich durchschnittlich um mehr als die Hälfte weniger Sozialhilfe als in anderen Bundesländern.
© Marcus Wallis

Der Sozialhilfebezug ging nicht zurück, weil es allen besser geht, sondern weil einige Länder Regeln verschärft haben.


Die gute Nachricht für den Staat: Mit der Wirtschaftskrise durch die Pandemie ist die Anzahl der Personen in Mindestsicherung oder Sozialhilfe im vergangenen Jahr nicht gestiegen. Laut Statistik Austria benötigten insgesamt 260.114 Personen diese Unterstützung - um 2,8 Prozent weniger als 2019. Die Ausgaben für dieses letzte sozialstaatliche Netz machen deshalb - trotz Anpassung gemäß der Ausgleichszulage und daraus folgender Steigerung von fünf Prozent - mit 959 Millionen Euro weniger als ein Prozent der Sozialausgaben aus.

Die 20 ATX-Unternehmen schütteten vergangenes Jahr Dividenden in der Höhe von 3,2 Milliarden Euro an ihre Aktionärinnen und Aktionäre aus, lässt Sozialminister Wolfgang Mückstein per Aussendung wissen. Und: Es sei "gut", dass es bei Mindestsicherung und Sozialhilfe "einen rückläufigen Trend" gibt: "Der zeigt, dass unsere Maßnahmen wie etwa die Kurzarbeit, die Erhöhung der Notstandshilfe und verschiedene Einmalzahlungen zum Abfedern der sozialen Auswirkungen der Pandemie bei Personen mit sehr geringem Einkommen gut gewirkt haben."

Die schlechte Nachricht für jene mit Sozialhilfe oder Mindestsicherung lautet allerdings: Das letzte soziale Netz ist nicht jedem Bundesland gleich viel wert. Während Vorarlberg pro Haushalt mit 807 Euro monatlich weit mehr ausbezahlt als die österreichweiten 699 Euro, erhalten Haushalte mit Sozialhilfe in Oberösterreich gerade mal 537 Euro. In Niederösterreich sind einige Menschen sogar ganz von der Sozialhilfe ausgenommen. Sie sind damit in der Statistik trotz finanzieller Not überhaupt nicht enthalten.

Soziales Schlusslicht Oberösterreich

Vergleiche der Leistungshöhe zwischen der Sozialhilfe und der Mindestsicherung davor, sind selbst in Bundesländern wie Niederösterreich und Oberösterreich, wo die Gesetze bereits seit 2020 umgesetzt sind, nicht möglich. Denn Niederösterreich lieferte der Statistik Austria nur zusammengeführte Daten. In Oberösterreich waren es zwar jeweils rund 50 Prozent, sie werden aber nicht getrennt ausgewertet.

Mit den 537 Euro pro Haushalt bezahlt Oberösterreich jedenfalls um 20 Prozent weniger Sozialhilfe als im Durchschnitt Österreichs. Mit den unterschiedlichen Lebenserhaltungskosten lässt sich das nicht erklären. Laut der nach Personen gewichteten Konsumerhebung der Statistik Austria gaben Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher nur um 1,4 Prozent weniger aus als im österreichweiten Durchschnitt. Während alle in Vorarlberg pro Person um 6,9 Prozent mehr Geld ausgaben, erhielten jene mit Mindestsicherung um 21 Prozent mehr als im österreichischen Durchschnitt.

Dass die Sozialhilfe im Vergleich zur vormaligen Mindestsicherung das schlechtere Netz ist, zeigt sich dennoch: "Und zwar bei Familien mit vielen Kindern im Vergleich zu Bundesländern, wo es noch die Mindestsicherung gibt", sagt Josef Pürmayr von der Sozialplattform Oberösterreich. Paare mit vier und mehr Kindern erhielten 2020 in seinem Bundesland mit 749 Euro sogar weniger als die Hälfte der österreichweit durchschnittlichen 1.522 Euro für Familien dieser Größe.

Das Bundesland war allerdings auch schon 2019 Schlusslicht im sozialen Bundesländerranking. Das lässt sich mit schrittweisen Verschlechterungen bei der Mindestsicherung, die jeweils mit schwarzblauer Mehrheit beschlossen wurden, im seit 2015 ÖVP-FPÖ-regierten Bundesland erklären: "Schon Mitte 2016 ist Oberösterreich ausgeschert aus den Mindestsicherungsstandards und hat Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten nur mehr zwei Drittel der Leistung bezahlt."

Mit 2017 führte Oberösterreich eine Deckelung für Haushalte und eine Staffelungen für Kinder ein: "Je kinderreicher desto schlechter wurden die Familien gestellt. Die oberösterreichische Gesetzgebung war quasi Vorbild für die türkis-blaue Bundesgesetzgebung später", sagt Pürmayr. Und: "Es ist einfach ein schlechtes Gesetz, das die Menschen, die auf Sozialhilfeleistungen angewiesen sind, unzureichend unterstützt."

Niederösterreich "produziert soziale Härtefälle"

Im der ÖVP-geführten Proporzregierung Niederösterreichs mit der SPÖ und der FPÖ sowie Gottfried Waldhäusl als für die Sozialhilfe Zuständigem, war man zwar Vorreiter bei der Umsetzung des türkis-blauen Sozialehilfe-Gesetzes.

Anders als bei der Mindestsicherung davor nahm die Landesregierung in Niederösterreich Menschen mit humanitärem Schutz gänzlich aus der Sozialhilfe aus. Argument dafür war das Bundesgesetz, wo diese Gruppe nicht dezidiert erwähnt ist, die "Wiener Zeitung" berichtete bereits, dass das verfassungswidrig sein könnte. Die Folge davon: Die Betroffenen erhalten weder Geld noch eine Krankenversicherung.

Bei der Diakonie West haben sich circa 180 Betroffene gemeldet, weshalb Claudia Lui, Sozialberaterin der Diakonie in St. Pölten, von rund 350 bis 400 Personen in ganz Niederösterreich ausgeht, die um Hilfe baten: "Was bezeichnend ist, dass es acht von neun Bundesländern geschafft haben, diese Lücke zu schließen, nur Niederösterreich produziert damit soziale Härtefälle".

In anderen Bundesländern erhielten Menschen mit humanitärem Bleiberecht Grundversorgung: "365 Euro für eine alleinstehende Person und 100 Euro pro Kind sind zwar eine schlechtere Lösung als die doch höhere Sozialhilfe, aber immerhin erhalten die Menschen in anderen Bundesländern Geld für den elementarsten Lebensunterhalt", sagt Lui. Unter den Betroffenen befänden sich auch schwerkranke und nicht arbeitsfähige Personen, etwa eine heute 73-jährige Frau, die seit 2008 in Niederösterreich lebt, "und nun ausschließlich von privaten Almosen leben muss", sagt die Sozialberaterin. "Das ist kein Dauerzustand. Und einer Person in so einem Alter eine Krankenversicherung zu verwehren, ist in Zeiten einer Pandemie grob fahrlässig und ein Armutszeugnis für ein Bundesland."

Eine alleinerziehende Mutter mit vier Kindern im Alter zwischen sechs und 12 Jahren aus dem Bundesland mit humanitärem Bleiberecht wandte sich Anfang August in ihrer Verzweiflung an den Verfassungsgerichtshof und ersuchte diesen, das niederösterreichische Grundversorgungsgesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, um zumindest diese zu erhalten. Der VfGH verlangte eine Stellungnahme des Landes bis zum 14. September.

In der von der ÖVP, SPÖ und FPÖ beschlossen Replik an den VfGH, die der "Wiener Zeitung" exklusiv vorliegt, heißt es nun, dass die Situation der Frau mit jener von Asylsuchenden, die Grundversorgung erhalten, "nicht vergleichbar" sei. Es gebe keine Verlängerung eines humanitären Aufenthalts. Nach einem Jahr aber könne die Niederlassungsbehörde einen neuen Aufenthaltstitel verleihen. Für diesen Umstieg seien keine weiteren Voraussetzungen erforderlich. Wird ihnen ein Daueraufenthaltsrecht erteilt, werde ein unmittelbar vorangehender rechtmäßiger Aufenthaltes im Bundesgebiet zur Gänze angerechnet. Der Antrag auf eine Abänderung der Wortfolge "ohne Aufenthaltsrecht" im Grundversorgungsgesetz als verfassungswidrig aufzuheben, sei nach niederösterreichischer Sicht "zurückzuweisen".

Das Problem für die Betroffenen ändert sich damit allerdings nur zum Teil. Der Grund hierfür ist das niederösterreichische Sozialhilfeausführungsgesetz. Dieses sieht für Menschen mit einem Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz vor, dass sie "seit 5 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig" sein müssen - ihnen also ebenfalls jahrelang keine Sozialhilfe zusteht.