Zum Hauptinhalt springen

Was nach einer Abwahl passieren würde

Politik

Bei Koalitionsbruch könnten die bisherigen Minister vorübergehend weiterregieren. Doch die ÖVP will sich zurückziehen und Arbeitsminister Kocher würde dann auch nicht zur Verfügung stehen.


Wenn die Grünen bei ihrer sinngemäß getätigten Absicht bleiben, einem Misstrauensantrag der Opposition gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz am Dienstag zuzustimmen, benötigt Österreich eine neue Regierung. Zwingend notwendig wäre das nicht. "Wenn der Nationalrat einem Regierungsmitglied das Vertrauen entsagt, muss diese Lücke gefüllt werden", sagt Verfassungsrechtler Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck.

Kurzfristig würden die Agenden in diesem Fall zum Vizekanzler wandern, der Bundespräsident müsste einen neuen Kanzler angeloben, der im Nationalrat eine Mehrheit hinter sich weiß. Doch das ist durch die Ankündigung der ÖVP, im Fall eines erfolgreichen Misstrauensantrags ihre gesamte Regierungsmannschaft inklusive der parteifreien Minister abzuziehen, ohnehin nur Theorie.

Sollte Sebastian Kurz am Dienstag tatsächlich zum zweiten Mal vom Nationalrat mehrheitlich das Misstrauen ausgesprochen werden, würde sich die Regierungsbank weitgehend leeren, wenn die ÖVP Wort hält. Die grünen Ministerinnen und Minister würden in diesem Fall in ihrem Amt verbleiben, vorerst zumindest, realpolitisch würde das aber nicht von langer Dauer sein.

Wichtig ist, dass es immer eine Regierung geben muss. Formal entbindet der Bundespräsident Regierungsmitglieder von ihrem Amt, er gelobt sie auch an. Dabei ist es unerheblich, ob es ein freiwilliger Rückzug ist oder ein Misstrauen des Nationalrats.

Bis die neuen Minister und ein neuer Kanzler angelobt werden, müssen interimistisch Personen mit der Fortführung der Geschäfte betraut werden. Das sind, wenn eine Koalition vorzeitig zerbricht, meistens die bisherigen Ministerinnen und Minister, beim Ende von Türkis-Blau war dies anders, weil sich die FPÖ aus der Regierung gänzlich zurückgezogen hat. Es können auch Beamte in den jeweiligen Ministerien sein.

Wie dies bei den ÖVP-Ministern wäre, ist noch unsicher. Der parteifreie Arbeitsminister Kocher präzisierte am Freitag gegenüber der "Wiener Zeitung", dass er "für eine Konzentrationsregierung ohne ÖVP unter FPÖ-Duldung" nicht zur Verfügung stünde. "Was ein mögliches überparteiliches Übergangskabinett bis zu den Wahlen betrifft, ist es noch zu früh für eine Festlegung."

Eine Twitter-Nachricht von Kocher gab am Samstag zuerst Rätsel auf und befeuert Spekulationen zur Zukunft des türkisen Regierungsteams. Via Kurznachrichtendienst Twitter teilte er einen Link zum Wikipedia-Artikel über das "Chicken"-Game, also das Feiglingsspiel.

In dem Szenario fahren zwei Sportwagen mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu. Wer ausweicht, hat das Spiel verloren. Tut dies keiner, haben beide Spieler zwar die Mutprobe bestanden, verlieren bei dem Zusammenprall allerdings ihr Leben. "Umso wichtiger", twittert Kocher zu dem Link: "Staatsräson >> Parteiräson"

Eine Erklärung lieferte Kocher Stunden später nach. "Eine Regierung mit der FPÖ und Herbert Kickl hielte ich definitiv nicht im Sinne der angesprochenen Staatsräson", schrieb er und weiter: "Verstehe ehrlich gesagt nicht, warum diese Option momentan von mehreren Parteien nicht ausgeschlossen wird."

Mehrheit für Neuwahl ist unsicher

Ob es aber nach einer Abwahl des Kanzlers Neuwahlen gibt, ist nicht sicher. Dafür ist ein Mehrheitsbeschluss im Nationalrat nötig. Es könnte aber eine Mehrheit ein Interesse haben, eine andere Regierung zu stützen. Die SPÖ lotete die Möglichkeit einer Konzentrationsregierung aus, also aller Parteien, wobei die ÖVP auf eine Beteiligung verzichten dürfte.

Das würde jedenfalls wieder Alexander Van der Bellen in den Fokus rücken. Das Staatsoberhaupt müsste ausloten, welche Regierung im Nationalrat Unterstützung erhält. Ob es sich um eine Übergangsregierung bis zur Neuwahl handelt oder eine, die theoretisch bis zum Ende der Legislaturperiode 2024 im Amt bleiben könnte, ist nicht relevant.

Es muss auch nicht zwingend eine Expertenregierung sein. Eine Mehrheit im Nationalrat könnte auch ein buntes Kabinett unterstützen. Theoretisch könnte der Bundespräsident auch selbst den Nationalrat auflösen, das ist aber nur für Extremfälle gedacht. Die Abwahl eines Kanzlers ist so ein Fall nicht. (sir)