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Im Poker der Parteien setzen alle auf den Trumpf "Staatsräson"

Von Simon Rosner

Politik

Was in der Regierungskrise im Interesse von Parteien und was im Interesse der Republik ist, wird unterschiedlich bewertet.


"Parteiinteressen hintanstellen". Diesen Auftrag hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen den um eine Lösung in der aktuellen Regierungskrise suchenden Parteien für das Wochenende mitgegeben. Das Staatsinteresse müsse in dieser Situation überwiegen, so Van der Bellen sinngemäß. Was aber im Interesse des Republik ist, darüber gibt es Auffassungsunterschiede zwischen den Parteien.

Dass sich das Land derzeit wieder einer veritablen Regierungskrise ausgesetzt sieht, ist eine indirekte Folge dieses Spannungsverhältnisses von Partei- und Staatsinteressen. Es sind vor allem die Chats von Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid, die dokumentieren, wie eine Gruppe um Sebastian Kurz erst auf die ÖVP-Obmannschaft abzielte und letztlich erfolgreich am Stuhl des damaligen Parteichefs Reinhold Mitterlehner sägte, um dann das Kanzleramt für die Volkspartei zurückzuerobern.

Für Türkis nur mit Kurz

Doch schon in der Bewertung dieses "Projekt Ballhausplatzes" offenbaren sich zwischen den Parteien fundamental andere Sichtweisen. Inhaltlich ist die ÖVP auf die nun auch in vielen Details öffentlich gewordene Intrige aus den Jahren 2016 und 2017 nicht eingegangen, durch die zwei Wahlerfolge seither sei Sebastian Kurz aber nun der "demokratisch legitimierte Bundeskanzler unserer Republik". Das müsse auch so bleiben. "Nur durch die Führung und den unermüdlichen Einsatz von Bundeskanzler Sebastian Kurz war es möglich, eine derart nahtlose und bestens koordinierte Zusammenarbeit über die Ressortgrenzen hinweg zu pflegen", hieß es bereits am Donnerstag in einer Presseaussendung der türkisen Regierungsmitglieder. Die Argumentation der ÖVP hat sich seither nicht geändert: Staatsinteresse sei die weitere Kanzlerschaft von Kurz und eine Zusammenarbeit mit den Grünen.

Der Koalitionspartner bewertet die bekanntgewordenen Vorgänge aus den Jahren 2016 und 2017 anders,  Durch die Korruptionsermittluvor allem aber ihre Auswirkungen auf die Gegenwart.ngen gegen Kurz und einige seiner engsten Mitarbeiter sei er als Kanzler nicht mehr handlungsfähig, daher sei eine andere "untadelige" Person an der Spitze der Regierung nötig. Dass sich die Grünen bis zum Misstrauensantrag der Opposition gegen Kurz am Dienstag von ihrer Position abrücken, schien am Samstag weniger realistisch als ein Umschwenken der ÖVP.

Risiko einer Abwahl ohne Neuwahl-Beschluss

Die Volkspartei, und in diesem Fall wirklich als gesamte Partei zu verstehen, hat aktuell mehr zu verlieren. Anders als 2019, als Kurz schon einmal vom Parlament abgewählt wurde, gibt es keinen Neuwahlbeschluss. Theoretisch könnte also eine andere Regierung, ohne die ÖVP, bis 2024 wirken. Sieht man von dem kurzen Intermezzo unter Brigitte Bierlein 2019 ab, war die Volkspartei das letzte Mal am 20. Jänner 1987 nicht in einer Bundesregierung vertreten. Sebastian Kurz war damals vier Monate und 29 Tage alt. Das birgt für die Bünde und Landesorganisationen der ÖVP Unsicherheiten, wobei dies wiederum ganz klar als Parteiinteressen zu identifizieren wäre. 

Erste Stimmen aus der Volkspartei gehen schon in die Richtung Kehrtwende, gleich ob aus Staats- oder Parteiräson. Die Tiroler Bildungs- und Kulturlandesrätin Beate Palfrader von der ÖVP nannte das derzeitige Szenario eine "veritablen Krise", und sie forderte, "dass sich jene, die mit Vorwürfen konfrontiert sind, zurückziehen, bis eine vollständige Aufklärung passiert ist. Und wenn ich das richtig gelesen habe, zählt auch der Bundeskanzler dazu."

Kickl als türkise Drohkulisse

Die Kanzlerpartei bediente am Samstag aber jedenfalls auch die von Van der Bellen angesprochene Staatsräson. Die Argumentation der Türkisen: Jede Art einer Zusammenarbeit mit der FPÖ unter Herbert Kickl stehe im Widerspruch dazu."Grüne und SPÖ steuern mit ihren Volten geradewegs ins Chaos und verkaufen ihre eigene Seele und das Land für einen Pakt mit Herbert Kickl", sagte etwa Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP).

Klar ist: Eine parlamentarische Mehrheit abseits von Türkis und Blau gibt es nicht. Daher rückt auch FPÖ-Chef Herbert Kickl ins Zentrum jeglicher Überlegungen. Und dieser hat bereits klargemacht, dass es aus seiner Sicht ohne die Freiheitlichen nicht gehen wird. Das ist für SPÖ, Grüne und Neos schwierig, nicht nur inhaltlich. Aber auch hier käme das Staatsinteresse ins Spiel. Eine Zusammenarbeit mit dem Gottseibeiuns der Grünen könnte man öffentlich etwa damit argumentieren, dass man in schwierigen Zeiten über die Parteigrenzen hinweg Verantwortung für das Land übernehme, hieß es hinter vorgehaltener Hand bei den Grünen.

Der Staatsräson als Argument bediente sich Vizekanzler Werner Kogler (Grünen) auch bei seiner Forderung, den Budgetbeschluss bei einem Sonderministerrat auf den Montag vorzuverlegen. "Wir tragen Verantwortung, also bringen wir das in trockene Tücher", appellierte er an Kurz. Die Budgetrede von Finanzminister Gernot Blümel wäre eigentlich für Mittwoch geplant. Vom Regierungspartner gab es dafür aber am Samstag einen Korb. Der Budgetfahrplan sei "seit Monaten fixiert" und der Fahrplan festgelegt. Dann spielte ein Sprecher des Finanzministers den staatspolitischen Ball wieder retour. "Ob dieser Fahrplan so hält, hängt von den Grünen ab und ob sie in der Sondersitzung am Dienstag staatspolitische Verantwortung übernehmen", hieß es.