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Der Staat handelt geheim

Von Petra Tempfer

Recht
Österreich ist die letzte europäische Demokratie, in der das Amtsgeheimnis in der Verfassung festgeschrieben ist.
© adobe.stock / stokkete

2013 trat Sebastian Kurz für ein Informationsfreiheitsgesetz ein. Bis heute gibt es dieses nicht.


Vertrauen: Darauf reduziert sich letztendlich jede Regierungskrise, die mitunter zur Staatskrise wird. Selbst wenn die ÖVP-Ermittlungen zur Inseratenaffäre rund um die strafrechtlichen Vorwürfe gegen Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) abgeschlossen sein werden, selbst nach U-Ausschüssen wie jenem zum Ibiza-Video, zur BVT-Affäre, zu den Eurofightern oder zur Telekom: Das Vertrauen bleibt zerrüttet. Dass Österreich auch noch die letzte europäische Demokratie ist, in der das Amtsgeheimnis in der Verfassung festgeschrieben ist, macht es nicht besser. Ganz im Gegenteil. Der Ruf nach einem Informationsfreiheitsgesetz, das das Amtsgeheimnis abschaffen und den Zugang zu staatlichen Dokumenten regeln soll, wird immer lauter. Ein umfassendes Transparenzpaket ist nun zwar in Begutachtung - doch die Kritik bleibt.

Viel lauter hätte der Ruf auch nicht mehr werden können: Bereits vor fast neun Jahren, Anfang 2013, wollten die damaligen Koalitionspartner SPÖ und ÖVP das Amtsgeheimnis erstmals aus dem Verfassungsrang heben und Transparenz für alle mit Steuergeld finanzierten Bereiche schaffen - es war Sebastian Kurz, damals noch in seiner Funktion als Integrationsstaatssekretär, der sich besonders stark dafür machte. "Alles, was aus Steuergeld finanziert wird, muss offen gelegt werden, bis auf den letzten Cent", sagte Kurz damals.

Amtsgeheimnis versus Auskunftspflicht

Aktuell wirft die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Kurz vor, dass dieser und dessen Vertraute mit dem Ziel, Kurz’ politischer Karriere zu helfen, mit Steuergeldern Umfragen gekauft haben. Für die Umfragen samt einer allgemein wohlwollenden Berichterstattung gegenüber Kurz soll das Finanzressort Inserate in Höhe von 800.000 Euro in der Tageszeitung "Österreich" geschaltet haben. Für alle Verdächtigen gilt die Unschuldsvermutung.

Ob das alles nicht passiert wäre, wenn es bereits ein Informationsfreiheitsgesetz gäbe, wissen wir nicht. Denn der wohl tragendste Grund dafür, warum es bis heute nicht existiert, ist, dass man sich auf die vorgesehenen, umfangreichen Ausnahmen von der Veröffentlichungspflicht noch nicht einigen konnte.

Aktuell ist es daher noch immer so, dass das Amtsgeheimnis seit 1925 in Art. 20 Abs. 3 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) verankert ist. Bereits 1987 ging man zwar einen Schritt in Richtung Transparenz und hob eine Auskunftspflicht für Behörden ebenfalls in den Verfassungsrang (Art. 20 Abs. 4 B-VG). Das Amtsgeheimnis schaffte man aber nicht ab, was zur Folge hatte, dass beide Regelungen einander bis heute entgegenstehen.

In Ausführung dieser Vorgaben haben Bund und Länder entsprechende Gesetze erlassen. Das Auskunftspflichtgesetz von 1987 verpflichtet Behörden, Bürger "ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber binnen acht Wochen" auf eine mündliche oder schriftliche Anfrage hin Auskunft zu gewähren. Allerdings nur, "soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht" - wie etwa das Amtsgeheimnis. Dazu kommen das Auskunftspflicht-Grundsatzgesetz und neun Auskunftspflichtgesetze der Bundesländer.

Hemmschuh all dieser Regelungen, die das in Paragrafen gegossene Bestreben nach einer Auskunftspflicht verdeutlichen, bleibt jedoch das Amtsgeheimnis. Aktuell ist zwar Bewegung in das Thema Transparenz gekommen, zahlreiche Fragen sind aber nach wie vor offen. Die Bundesregierung hat jedenfalls im Regierungsprogramm 2020 bis 2024 die Abschaffung des Amtsgeheimnisses verankert. Ende Februar 2021 wurde ein umfassendes Transparenzpaket in Begutachtung geschickt. Mit diesem soll unter anderem das B-VG geändert und ein Informationsfreiheitsgesetz erlassen werden.

Zwei Monate bis zur gewünschten Information

Unter dem 3. Abschnitt ("Verfahren") ist hier unter § 8 ("Frist") etwa zu lesen: "Der Zugang zur Information ist ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber binnen vier Wochen nach Einlangen des Antrages beim zuständigen Organ zu gewähren. Soweit die Information der Geheimhaltung unterliegt (§ 6), ist dem Antragsteller binnen derselben Frist die Nichterteilung des Zugangs mitzuteilen. Kann der Zugang zur Information aus besonderen Gründen [. . .] nicht innerhalb der Frist gemäß Abs. 1 gewährt werden, so kann die Frist um weitere vier Wochen verlängert werden. Dies ist dem Antragsteller unter Angabe der Gründe innerhalb der Frist gemäß Abs. 1 mitzuteilen."

Das heißt, bis man gewünschte Informationen bekommt, können zwei Monate verstreichen. Falls man sie bekommt. Denn jegliche Information steht und fällt nach wie vor mit der Frage, ob diese nicht vielleicht doch der Geheimhaltung unterliegt. "Nicht zur Veröffentlichung bestimmt und nicht zugänglich zu machen" sind gemäß 2. Abschnitt ("Informationspflicht") § 6 ("Geheimhaltung") Informationen "im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit", "im Interesse der unbeeinträchtigten Vorbereitung einer Entscheidung" oder "zur Abwehr eines erheblichen wirtschaftlichen oder finanziellen Schadens der Organe".

Eine Schiedsstelle, die bei strittigen Geheimhaltungsfragen entscheidet, ist allerdings nicht vorgesehen. Mathias Huter, Obmann des Forums Informationsfreiheit, forderte daher im Rahmen der Herbsttagung der Österreichischen Verwaltungswissenschaftlichen Gesellschaft (ÖVG) in diesem Monat einen Informationsfreiheitsbeauftragten. Dieser soll verhindern, dass das Recht auf Information zu eng ausgelegt wird. Dabei könnte man sich etwa an Deutschland, Slowenien oder Großbritannien orientieren, wo es einen solchen bereits gibt, sagte er.

Das Forum Informationsfreiheit findet sich auch unter den rund 200 Stellungnahmen, die zum Begutachtungsentwurf eingegangen sind. Ebenfalls darunter: Eine Stellungnahme der Datenschutzbehörde, die kritisiert, nicht ausreichend in den Gesetzwerdungsprozess miteinbezogen worden zu sein - obwohl ihr beim Vollzug des Informationsfreiheitsgesetzes eine zentrale Rolle eingeräumt werden soll. Ihr Vorschlag: Bei der Datenschutzbehörde könnten die Agenden Datenschutz und Informationsfreiheit zusammenlaufen. Und zwar nicht nur als beratende Stelle, wie sie ausdrücklich betont, sondern als entscheidende Behörde, um den Datenschutz zu gewährleisten. Das wäre allerdings mit mehr Personal und damit höheren Kosten verbunden.

Freiheit der Meinungsäußerung gefährdet

Höhere Kosten - diese werden auch von den Verwaltungsbehörden befürchtet. Hier bräuchte es daher ebenfalls eine klare gesetzliche Regelung, fordern diese.

Tut sich weiterhin nichts oder zu wenig in Richtung mehr Transparenz, sieht Georg Miernicki, der als Jurist beim Amt der niederösterreichischen Landesregierung beschäftigt ist, sogar die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 10 Europäische Menschenrechtskonvention) gefährdet. Denn ohne Information sei diese nicht mehr möglich, meinte er bei der ÖVG-Tagung. Dem gegenüber würde der Staat enorm davon profitieren, nicht mehr hinter verschlossenen Türen, sondern transparenter zu agieren.

Die "Kontrolle" durch Qualitätsmedien als vierte Gewalt einer Demokratie würde funktionieren, die durch Misstrauen geschürte Gerüchteküche nicht mehr brodeln. Das Vertrauen in den Staat würde diesen stärken.