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"Ich bin ein Republikaner bis ins Knochenmark"

Von Walter Hämmerle, Oliver Pink und Wolfgang Sablatnig

Politik
© Die Presse/Clemens Fabry

Bundeskanzler Alexander Schallenberg über Adel, die Regierung als Fußballteam und Sebastian Kurz.


Im Bundeskanzleramt drücken einander dieser Tage die Journalisten die Türklinken in die Hand. Seit Montag residiert mit Alexander Schallenberg (52), dem ehemaligen Außenminister, ein neuer Hausherr an der Adresse Ballhausplatz 2. Das folgende Antrittsinterview mit dem neuen Kanzler führte die "Wiener Zeitung" gemeinsam mit der "Presse" und der "Tiroler Tageszeitung."

"Wiener Zeitung": Herr Bundeskanzler, kaum ein Porträt über Sie in den vergangenen Tagen kam ohne die Attribute "Aristokrat" oder "adelig" aus. Stört Sie das? Gefällt Ihnen das?

Alexander Schallenberg: Ich bin erstaunt darüber. Es war in den über zwanzig Jahren meiner bisherigen Karriere nie ein Thema. Das ist für mich nicht gestern, sondern vorvorgestern. Ich bin ein Republikaner bis ins Knochenmark. Ich finde es wirklich erstaunlich, dass das nun zu einem Thema wird. Für mich ist es keines. Ich bin Bundeskanzler der Republik Österreich. Ich arbeite im Rahmen der Verfassung. Ich bin ein Demokrat und Republikaner. Das System, das wir aufgebaut haben, ist sicher nicht perfekt, wie Winston Churchill schon angemerkt hat, aber es ist immer noch das Beste. Es gibt eine Vielfalt an Meinungen, man ringt miteinander, am Schluss kommt man zu einem Konsens. Ich halte auch nichts von jenen Stimmen, die in der Pandemie gesagt haben, die autokratischen Regime kommen besser durch die Krise. Nein, unser System ist sehr viel nachhaltiger, weil wir ringen müssen um Entscheidungen, weil es Wahlen gibt und das Volk ein Mitspracherecht hat. Das ist mein Credo. Und meine Basis ist die europäische Aufklärung.

Wann haben Sie erstmals realisiert, dass die Kanzlerschaft von Sebastian Kurz vor dem Aus stehen könnte. Erst vergangenes Wochenende oder schon früher?

Ich haben keinen genauen Zeitpunkt im Kopf. Klar ist, dass die gesamten vergangenen Tage, insbesondere das Wochenende, enorm schwierig waren. Am Freitagabend bin ich nach Hause gegangen ohne jede Ahnung, was mich in den folgenden 48 Stunden erwartet.

Haben Sie damals noch geglaubt, Kurz könne Kanzler bleiben?

Ich bin davon ausgegangen, obwohl mir natürlich die Volatilität der ganzen Situation bewusst war.

Wo liegt jetzt das Machtzentrum Österreichs und der ÖVP?

Für die Regierung gibt die Bundesverfassung den klaren Rahmen vor: Hier gibt es mich als Bundeskanzler mit dem Kollegialorgan der Regierung. In der ÖVP ist es der Partei- und Klubobmann.

Auffallend war, wie sehr Sie sich, eigentlich ohne Not, in Ihren ersten Wortmeldungen hinter Kurz stellten. Um Basis und Funktionäre der ÖVP bei der Stange zu halten?

Nein, nicht ausschließlich. Es ist doch selbstverständlich und sogar essenziell, dass in einer repräsentativen Demokratie Kanzler und Klubchef aufs engste zusammenarbeiten. Man stelle sich nur vor, Vizekanzler Werner Kogler könnte nicht mehr mit Klubchefin Sigi Maurer und hätte nicht länger das Vertrauen des Klubs, wie lange könnte die Koalition dann noch Bestand haben? Daher empfinde ich das, was ich gesagt habe, als Selbstverständlichkeit. Mit Erstaunen nehme ich das allgemeine Erstaunen darüber zur Kenntnis.

Könnte es sein, dass Sie Ihren Satz, wonach Sie sicher seien, dass die Vorwürfe gegen Kurz falsch seien, noch bereuen, etwa, wenn neue Erkenntnisse öffentlich werden?

Es war eine persönliche Stellungnahme, kein Zuruf an die Justiz. Ich habe großes Vertrauen in die Institutionen der Republik, allen voran in die Arbeit der Justiz. Ich hoffe lediglich, dass die Vorwürfe schnell aufgeklärt werden.

Wie ist die Stimmung in der ÖVP: Fühlt man sich als Opfer einer Verschwörung oder sind die Funktionäre enttäuscht von Kurz?

Ich sehe aktuell ein ganzes Konglomerat verschiedenster Emotionen, vor allem ein großes Gefühl des Zusammenrückens in der Krise. Das geht vom Klub, der Kurz mit 100 Prozent zum Klubchef gewählt, über die Länder bis zu den Bünden . . .

Unter den Landeshauptleuten hat es allerdings schnell sehr klare Absetzbewegungen von Kurz gegeben.

Das sehe ich so nicht. Ich habe mit einigen Landeshauptleuten auch persönlich gesprochen, die mir gesagt haben, was da in den Medien berichtet wurde, hätten sie so nicht formuliert. Ich sehe meinen Auftrag jetzt vorrangig darin, diese Emotionalität wieder herunterzuschrauben und Ruhe hineinzubringen. Hier sind Wunden geschlagen worden, wir haben eine veritable politische Krise erlebt, in der unsicher war, ob die Regierung überleben würde. Das braucht Zeit und wird nicht über Nacht geschehen. Deshalb werde ich dem Vizekanzler vorschlagen, dass wir nach dem Nationalfeiertag ein Get-Together mit einer Aussprache mit dem gesamten Team haben. Ohne Öffentlichkeit, nur mit den Menschen, die in dieser Regierung zusammenarbeiten.

Mit oder ohne Klubchefs?

Ich hätte jetzt einmal nur an das Kollegialorgan der Regierung gedacht.

Wer hat jetzt das letzte Wort, der Kanzler oder der Partei- und Klubchef?

Ich bin angelobt als Kanzler, und diese Aufgabe werde ich auch ausfüllen.

Wer hat Sie eigentlich als Kanzler vorgeschlagen, war das Kurz allein oder eine Teamentscheidung aus Landeshauptleuten und Bünde?

Das müssen Sie andere fragen. Ich habe in der Nacht auf Samstag ein SMS von Kurz erhalten habe mit dem Inhalt "wir müssen reden" und er mich am Vormittag dann gefragt hat, ob ich bereit wäre, das Amt zu übernehmen.

Aber Sie werden Entscheidungen treffen müssen, bei denen auch der Klub mitgehen muss, die Länder mitgehen müssen.

Daher habe ich auch öffentliche gesagt, dass hier selbstverständlich eine enge Abstimmung stattfinden wird zwischen Partei, Klub und Regierungsmannschaft. Das ist ja selbstverständlich. Es ist ja nicht so, dass die Bundesregierung ein frei schwebendes Radikal ist, das ohne Verbindung zum Parlament arbeitet. Oder zur Partei.

Bisher war das in Personalunion zusammen.

Jetzt nicht mehr. Es ist eine Ausnahmesituation. Wobei: Das war schon einmal. Bei Vranitzky und Sinowatz. Vranitzky ist Kanzler geworden, Sinowatz Parteichef geblieben.

Vranitzky wurde dann auch Parteichef. Wollen Sie auch ÖVP-Chef werden?

Das ist nicht mein Ziel. Ich glaube, man sollte die Parallelitäten nicht überstrapazieren.

Wird der nächste Spitzenkandidat Sebastian Kurz heißen?

Ich gehe davon aus.

Wie wollen Sie die ÖVP denn jetzt im Zaum halten - angesichts der durchaus vorhandenen Revanchegelüste gegenüber den Grünen?

Es soll, wie gesagt, ein Get-together mit Aussprache geben. Das soll auch keine Klausur werden, ich möchte das informell halten, ohne Medien. Es geht hier immer um Menschen. Wir brauchen ein Grundvertrauen, sonst wird das nicht funktionieren. Da hilft mir sicher auch meine jahrelange Erfahrung als Diplomat, sozusagen als Mediator. Wie müssen zeigen, dass wir ein Team sind. Was bringt das politische Tiki-taka, wenn wir keine Tore schießen?

Was in der Aufstellung auch nicht ganz unerheblich ist, ist die Opposition. Wie können Sie eigentlich mit Herbert Kickl?

Ich kenne ihn kaum. In der nächsten Woche möchte ich die Klubobleute der Opposition treffen. Auch die Sozialpartner.

Haben Sie schon einmal etwas anderes gewählt als die ÖVP?

Nein. Vielleicht einmal bei Studentenwahlen.

Wie steht es um Ihre digitalen Fähigkeiten? Sind Sie fähig, Ihr Handy zu löschen?

Beim Wechsel ins Bundeskanzleramt bekomme ich natürlich ein neues Handy. Also ja.

Wir haben in den Chats viel Abwertendes gelesen. Wie würde ein Diplomat in einem offiziellen Dokument die schlimmstmögliche Beleidigung formulieren?

Es gibt einen schönen Spruch: "Ein Diplomat schickt dich zur Hölle in so einer Art Weise, dass du dich auf die Reise freust."

Haben die Chats und die Berichte darüber Ihre Meinung über Sebastian Kurz geändert?

Ich kenne ihn seit vielen Jahren. Ich habe viele Gespräche mit ihm gehabt und eine persönliche Beziehung mit ihm aufbauen können. Das Bild, das ich da sehe, entspricht nicht dem Menschen, den ich kenne.

Wie war eigentlich Ihr Verhältnis zu Thomas Schmid. Sie waren beide zur gleichen Zeit Pressesprecher des damaligen Außenministers Michael Spindelegger.

Professionell. Ich hatte seit der damaligen Zeit sehr lose bis zu kaum mehr Kontakt zu ihm. Er ist damals mit Spindelegger ins Finanzministerium gewechselt, ich bin im Außenministerium geblieben.

Welche Lehren sollen Regierung und Parlament aus der Korruptionsaffäre ziehen? Ein Ansatz wäre eine Reform der Presseförderung und des Medientransparenzgesetzes, um für Klarheit bei der Vergabe von Regierungsinseraten zu sorgen. Wie weit oben steht das auf der Agenda Ihrer Regierung?

Für mich ganz oben steht die Bekämpfung der Pandemie. Es geht darum, die Impfquote nach oben zu bringen, den Wirtschaftsaufschwung zu unterstützen, die ökosoziale Steuerreform umzusetzen. Ich werde mich jetzt nicht festlegen. Ich muss mir über viele Themen erst ein Bild machen.

Wegen der Ermittlungen der Justiz hat die ÖVP bereits im Frühjahr ihre Meinung zur Einrichtung eines Bundesstaatsanwalts geändert. Werden Sie Druck machen, dass dabei etwas weitergeht?

Wir müssen uns zusammensetzen, eine Basis schaffen und festlegen, was unsere großen Themen sind. Ich möchte das aber gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Bundesregierung erarbeiten. Ich bin ein Teamplayer und werde auch dieses Amt so anlegen.

Sie haben schon gesagt, Sie haben volles Vertrauen in die Justiz. Haben Sie darüber auch mit dem neuen ÖVP-Klubobmann Kurz schon gesprochen?

Nein. Aber ich habe volles Vertrauen. Und vielleicht ist das mein Blick als ehemaliger Außenminister: Wir haben ein tolles Land. Wir haben Institutionen, denen wir vertrauen können. Wir haben eine stabile Rechtsstaatlichkeit. Wir haben ein Justizsystem, das funktioniert. Was aufgeklärt werden muss, soll aufgeklärt werden. Und ich hoffe, dass es rasch aufgeklärt wird.

War die bisherige Strategie der ÖVP in dieser Frage geschickt, mit Gegenoffensive und massiver Kritik?

Ich halte es hier mit Sir Karl Popper: Alles ist falsifikationsbedürftig. Daher ist alles in einer pluralistischen offenen Gesellschaft auch kritikfähig. Man kann Politiker kritisieren. Man kann Medien kritisieren. Man kann andere Bereiche kritisieren. Kein Bereich darf je darüber erhaben sein. Es ist die Frage des Diskurses, der Tonalität. So zu tun, als dürfte man keine Kritik üben, ist aber falsch.

Aber war diese Kritik an der Justiz effizient?

Jetzt geht es darum, dass die Justiz ihre Arbeit tut. Was aufgeklärt werden muss, ist aufzuklären. Ich will mich nicht die ganze Zeit mit Vergangenheit beschäftigen. Ich bin in einer Notsituation ins Kanzleramt gekommen. Mein Zugang ist Pflichtbewusstsein, Umsichtigkeit, Partnerschaftlichkeit. Und mein Ziel ist, wieder Stabilität reinzubringen. Ich will in die Zukunft schauen.

Dann ein Blick in die Zukunft: Wenn Sie sagen, der nächste Spitzenkandidat der ÖVP wird Sebastian Kurz sein: Gibt es eine Abmachung, dass Sie weichen, wenn die Justiz ihre Arbeit abgeschlossen hat?

Nein. Keinerlei Abmachung. Es gilt die Bundesverfassung. Ich wurde vom Bundespräsidenten am Montag als Bundeskanzler angelobt worden. Und ich werde dieses Amt ausüben bis zur nächsten Nationalratswahl.•