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Der Ideologe und der Populist

Von Daniel Bischof

Politik

Seine Gegner stellten Kurz als Wirtschaftsliberalen in der Tradition Schüssels dar. Doch das war er nicht - im Gegenteil. Eine Analyse.


Beide waren bereit, mit der ÖVP eine Mehrheit rechts der Mitte zu suchen. Doch die Koalition mit der FPÖ endete frühzeitig. Als fulminante Sieger gingen sie aus den Neuwahlen hervor. Ihre Kanzlerschaft währte dann aber nicht so lange, wie sie sich das erwartet hatten.

Die Ähnlichkeiten der Amtszeiten von Altkanzler Wolfgang Schüssel und Sebastian Kurz (beide ÖVP) sind auf den ersten Blick frappierend. Auch inhaltlich wurden Parallelen gesehen. Vor allem SPÖ und Grüne wurden nicht müde, Kurz als Wirtschaftsliberalen in der Tradition Schüssels oder als dessen Kopie zu bezeichnen.

"Der alte Schüssel-Kurs, den die angeblich neue Kurz-ÖVP jetzt kopiert, hat Österreich bekanntlich gar nicht gut getan", beschwerte sich der damalige SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler während des Wahlkampfes 2017. Berater Tal Silberstein, der von der SPÖ engagiert wurde, stellte Kurz in seiner Kampagne gar als Marionette des Altkanzlers dar.

Spenden von Unternehmern

Auch während Kurz’ Kanzlerschaft wurde oft der Vergleich zwischen Alt- und Neukanzler gezogen. Es bot sich ja auch an. Rhetorisch gab sich Kurz stets wirtschaftsliberal. Er präsentierte sich als der Erneuerer, der den Wirtschaftsstandort Österreich wiederbeleben und reformieren würde. Unter seiner Obmannschaft erhielt die ÖVP Hunderttausende Euro an Spenden von Unternehmern. Es war Wasser auf die Mühlen der SPÖ, die Kurz ins neoliberale Eck drängen wollte.

Alleine, es gelang ihr nicht. Kurz erwies sich weder als Wirtschaftsliberaler noch als knallharter Sanierer. Keine Privatisierungswelle erfasste unter Türkis-Blau das Land, kein neoliberaler Wind zieht seit Türkis-Grün durch Österreich. Doch war es gerade sein Umgang mit Besetzungen in staatsnahen Unternehmen, der Kurz in Bedrängnis bringt.

Schüssel setzte sich bereits seit den frühen 1970er-Jahren für Privatisierungen ein, wie der Wirtschaftshistoriker Dieter Stiefel in seinem Buch "Verstaatlichung und Privatisierung in Österreich" ausführt. Von der Politik der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, die in den 1980er-Jahren mit ihrer wirtschaftsliberalen Agenda weltweit einen Privatisierungstrend lostrat, zeigte er sich angetan. Als damaliger Wirtschaftsminister sagte er im Jahr 1992: "Wir stehen auf dem Standpunkt, dass wir prinzipiell im Einzelfall nachweisen müssen, warum eine staatliche Beteiligung wirklich notwendig ist. Wenn das nicht gelingt oder nicht voll befriedigend gegeben ist, dann kann und soll man Privatisierungsüberlegungen forcieren."

Den Forderungen folgten unter Schüssels Kanzlerschaft (2000-2006) Taten. Durch die wettbewerbsfreundliche Politik der EU gestärkt, verfolgte Schüssel seine Agenda. "Der Staat muss sich konsequent von Tätigkeiten und Kosten trennen, die nicht zu seinen Kernaufgaben gehören", sagte er beim Regierungsantritt im Februar 2000. Das Motto "mehr privat, weniger Staat" wurde zum Dogma seiner Amtszeit.

"Neue Zürcher" gegen "Kronen Zeitung"

Staatliche Beteiligungen unter anderem an der Austria Tabak AG, Postsparkasse, voestalpine, Österreichischen Post, Telekom Austria und dem Dorotheum wurden zur Gänze oder zum Teil verkauft. Auch die bundeseigenen Wohnungsgesellschaften (Buwog und andere Unternehmen) wurden privatisiert - ein Vorgang, der bis heute strafrechtlich aufgearbeitet wird. Wirtschaftsliberale Akzente setzte Schüssel aber auch mit der "Abfertigung neu" und der Pensionsreform, die Verschlechterungen für Pensionisten brachte, das Pensionssystem aber nachhaltig auf finanziell neue Beine stellte.

Schüssels Politik empörte die Opposition, die Gewerkschaft organisierte Massenproteste gegen die Pensionsreform. Das schien Schüssel aber ebenso wenig zu beeindrucken wie der Gegenwind des Boulevards, zu dem der Kanzler ein distanziertes Verhältnis pflegte. Lieber las er die liberal-bürgerliche "Neue Zürcher Zeitung", in späteren Jahren sollte der Altkanzler dort dann auch eine Kolumne schreiben.

Kurz hingegen knüpfte enge Bande mit den Boulevardmedien - was ihm nun in der Inseratenaffäre samt Korruptionsermittlungen das Kanzleramt kostete. Stets schielte er auch darauf, was die Umfragen zu seiner Politik sagten. Privatisierungen? Pensionsreformen? Das war unter Kurz kein Thema. Lag Schüssel mit seiner Politik noch im internationalen Trend, so hat sich dieser nun abgeschwächt. Gerade im Zuge der Coronakrise ist der starke Staat, der weitreichend in die Wirtschaft eingreift, wieder gefragt.

Kurz’ Projekte hatten Verbesserungen für den Mittelstand, Pensionisten und Familien zum Ziel. Der unter Türkis-Blau beschlossene Familienbonus brachte 1.500 Euro pro Kind. Pensionisten, vor allem jene mit einer Mindestpension, profitierten alljährlich von kräftigen Erhöhungen. Kurz und sein Team wollten sich bewusst von Schüssel abheben, dessen Politik in der Öffentlichkeit oft als kalt beschrieben wurde. Damit wilderte Kurz im Revier der SPÖ, die sich, abgesehen von der Debatte um den 12-Stunden-Tag und mögliche Verschärfungen für Arbeitslose, schwertat, Kurz als neoliberalen Teufel abzustempeln.

Ausgerechnet die staatsnahen Unternehmen aber sollten Kurz in Bedrängnis bringen, genauer: die dortige Besetzungspolitik. Statt den staatlichen Einfluss auf Unternehmen zurückzudrängen, soll Kurz sich diesen für seine Zwecke zunutze gemacht haben. Ermittlungen rund um einen mutmaßlichen türkis-blauen Postenschacher in den teilstaatlichen Casinos Austria führten durch Zufallsfunde zur Inseratenaffäre samt Korruptionsvorwürfen, über die Kurz als Kanzler stolperte.

Nach Kanzlerschaft ÖVP-Klubobmann

Auch beim Vorwurf der falschen Beweisaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss taucht die Besetzungspolitik prominent auf. Kurz wird vorgeworfen, seine Rolle bei der Besetzung von Thomas Schmid zum Chef der staatlichen Holdinggesellschaft Öbag wahrheitswidrig kleingeredet zu haben. Und auch bei der Besetzung von Aufsichtsräten in staatsnahen Unternehmen soll er eine Involvierung abgestritten haben, obwohl er faktisch darüber entschieden habe.

So wie Kurz nach seinem überraschenden Rücktritt nun ÖVP-Klubobmann ist, so wurde auch Schüssel nach seiner überraschenden Wahlniederlage 2006 ÖVP-Klubobmann. Für Schüssel begann das Ausklingen seiner politischen Karriere, 2011 schied er aus dem Nationalrat aus. Folgt Kurz ihm nach? Oder driften die Karriereverläufe auseinander?