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Wenn man Patienten aussortiert

Von Petra Tempfer

Politik

Salzburger Landeskliniken droht völlige Überlastung, Corona-Patienten blockieren Intensivbetten.


Aus Schutz vor einer Infektion würden Virologen Menschen am liebsten einsperren, hatte Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) noch in der Vorwoche gesagt. Kurz danach ruderte er zwar zurück, dass er keineswegs wissenschaftsfeindlich sei, wie er sagte, sondern nur eine pointierte Aussage getroffen habe - diese wiegt angesichts der aktuellen Entwicklung in Salzburg allerdings umso schwerer: Den Salzburger Landeskliniken (Salk) droht die völlige Überlastung, wurde am Dienstag bekannt.

Deren Geschäftsführung hat sich bereits an das Land Salzburg als Spitalserhalter gewandt. Die Behandlung weiterer Patienten in den Kliniken nach geltenden medizinischen Standards und Sorgfaltsmaßstäben könne bald nicht mehr garantiert werden, heißt es dazu auf Nachfrage von den Salk. Derzeit liegen 80 Nicht-Covid-19-Patienten und 31 Covid-19-Patienten auf der Intensivstation. Noch gebe es 24 freie Betten, es drohe aber eine Notstandssituation, in der intensivmedizinische Triagierungen vorgenommen werden müssen.

Kritische Entscheidungen

Das bedeutet: Übersteigt der außertourliche Bedarf durch Covid-19-Patienten die 50 Prozent-Marke, komme es zu einer kritischen Entscheidung, wer das Intensivbett bekommt, präzisiert der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin, Walter Hasibeder, gegenüber der "Wiener Zeitung". Es kommt also zur "Triage": Der Begriff leitet sich vom französischen Wort "trier" ab, das "aussortieren" bedeutet. Schon vorher, bei 15 bis 30 Prozent zusätzlicher Belegung durch Covid-19-Patienten, habe man Maßnahmen gegen die Personalengpässe gesetzt. Das sei mit Überstunden verbunden. Denn schon im Normalbetrieb seien 75 bis 90 Prozent aller Intensivbetten belegt.

Hasibeder fordert daher für die Hochinzidenz-Bundesländer Oberösterreich und Salzburg einen "generellen Lockdown". In Oberösterreich muss laut Gesundheitsholding jede dritte geplante Operation verschoben werden. In Salzburg wurde bereits ein sechsköpfiges Triagierungsteam nominiert, das aus fünf Medizinern verschiedener Fachbereiche und einer Juristin bestehe. Dieses Team müsse dann entscheiden, welche Patienten noch intensivmedizinisch behandelt werden können, so die Salk.

Drittstich ab viertem Monat

Aufgrund der derzeitigen Lage sei zu befürchten, dass die gesetzliche Verpflichtung, "Patienten nur nach den Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft ärztlich zu behandeln, trotz aller gesetzten Maßnahmen nicht mehr durchgängig und vollinhaltlich erfüllt werden kann", schreibt Salk-Geschäftsführer Paul Sungler in der "Überlastungsanzeige". Diese ist eine Art Handlungsanleitung, die 15 Eskalationsstufen beschreibt. Man habe Eskalationsstufe 12 erreicht, heißt es von den Salk: Jene Stufe, die vorsieht, dass die Eigentümer, der Aufsichtsrat und die Politik kontaktiert werden.

Salzburgs Gesundheitsreferent Christian Stöckl (ÖVP) und Landeshauptmann Haslauer wurden daher informiert. Im Zuge einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz sagte Haslauer am Dienstag, dass man die dritte Auffrischungsimpfung nun bereits ab dem vierten Monat erhalten könne. Weiters sollen Reha-Einrichtungen geschlossen und vor allem mit Patienten aus Nicht-Covid-Bereichen belegt werden, die nicht mehr im Spital versorgt werden müssten, für die aber Pflegebetten und vor allem Personal fehlten. Die "Wiener Zeitung" berichtete bereits, dass Reha-Einrichtungen wieder Betten für diese Patienten zur Verfügung stellen.

Auch mit den Privatspitälern werde verhandelt, dass diese Operationen übernehmen, ergänzte Stöckl. Zusätzliche Entlastung soll eine sogenannte Covid-Transferstation für Corona-Patienten im Bereich der Christian-Doppler-Klinik bringen, die noch positiv seien, aber nicht mehr so umfassend gepflegt werden müssten. Was die PCR-Tests betrifft, müssen die Laborkapazitäten laut Haslauer ebenfalls ausgebaut werden. Für eine engmaschigere Nachverfolgung der Kontakte werde man 50 weitere Personen einschulen. "Die Krankenanstalten müssen jedenfalls handlungs- und behandlungsfähig bleiben." Einen Lockdown für alle lehnt Haslauer nach wie vor ab.

In Wien sei die Lage auf den Covid-(Intensiv)Stationen zwar angespannt, aber es gebe noch genügend Kapazitäten, heißt es vom Wiener Gesundheitsverbund. Ähnlich ist es in den anderen Bundesländern. Österreichweit lagen am Dienstag 2.568 Covid-19-Patienten im Spital und 458 auf der Intensivstation. Insgesamt gibt es rund 2.100 Intensivbetten.

An oder mit Covid-19 sind seit Beginn der Pandemie im März 2020 bisher 11.807 Menschen in Österreich gestorben, so die Zahlen der Ages. Am Dienstag gab es 61 weitere Todesfälle innerhalb von 24 Stunden - der höchste Wert seit neun Monaten.

Betrachtet man die Anzahl aller Sterbefälle in Österreich, also nicht nur die Corona-Toten, so steigt diese laut Statistik Austria seit Mitte Oktober in sämtlichen Altersgruppen stetig an. Bei den über 65-Jährigen zeigt die Kurve steil nach oben. Zum Vergleich: Sind 2019, als die Pandemie noch nicht in Österreich angekommen war, in einer Woche rund 1.300 über 65-Jährige verstorben, so waren es im Vorjahr 1.530. Heuer sind es 1.600 Personen.

Gegensätzliche Forderungen

Die Politik in Zeiten der Pandemie wird währenddessen immer hektischer. Es ist ein Hin und Her gegensätzlicher Forderungen, ein Gezerre um Schuldzuweisungen - in einer Situation, deren Entwicklung so ungewiss ist wie selten zuvor. Zuletzt hatte sich Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) für nächtliche Ausgangsbeschränkungen auch für Geimpfte ausgesprochen und eine Entscheidung für Mittwoch gefordert. Die ÖVP lehnte das ab. Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) konterte, dass es keinen Gipfel dazu geben werde.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kritisierte wiederum am Dienstag den Streit der Regierung am Höhepunkt der Corona-Krise. "Reißen Sie sich zusammen", sagte sie, "und arbeiten Sie gemeinsam an der Bewältigung dieser großen Krise".