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"Es sind noch nicht alle Kinderrechte in der Verfassung"

Von Mathias Ziegler

Politik

Vorstandsmitglied Sabir Ansari zieht am Weltkindertag Bilanz zu 20 Jahren Bundesjugendvertretung.


Im Jahr 2001 ist das Bundesjugendvertretungsgesetz in Kraft getreten. 20 Jahre später zieht Sabir Ansari, Mitglied des vierköpfigen Vorsitzteams der Bundesjugendvertretung (www.bjv.at), der gesetzlich verankerten Interessenvertretung der österreichischen Kinder und Jugendlichen, am Weltkindertag (20. November) eine Bilanz - und offenbart offene Baustellen, deren Existenz durchaus überrascht: So sind zum Beispiel noch längst nicht alle Kinderrechte in der Verfassung. Was die Corona-Pandemie betrifft, die viele bestehende Probleme verschärft hat, so will er nicht von eineinhalb verlorenen Jahren sprechen, sondern den Blick auf Verbesserungen in der Zukunft lenken.

"Wiener Zeitung": Was tut die Bundesjugendvertretung eigentlich genau?Sabir Ansari: Wir sind die gesetzlich verankerte Lobby für Kinder und Jugendliche. Wir haben einen sozialpartnerschaftlichen Status, bei Kinder- und Jugendthemen sind wir also die offizielle Ansprechperson. Dementsprechend vertreten wir per Gesetz die Bevölkerung von 0 bis 30 Jahren in Österreich, auch gegenüber den verschiedenen Ministerien.

Können Sie da ein konkretes Beispiel geben?

Mit der Pandemie hat sich die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen drastisch verschlechtert. Dazu haben wir eine Kampagne gestartet, in der wir für mehr Budget im Bereich der Kindergesundheit eintreten. Da sah es schon vor Corona kritisch aus, und die Pandemie ist nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Es ist also in erster Linie Lobbying. Rechtliche Handhabe haben Sie aber nicht.

Ja, wir zeigen auf und sind das laute Sprachrohr für Kinder und Jugendliche, das Änderungen fordert.

Welche Rolle spielt die Parteipolitik innerhalb der Bundesjugendvertretung?

Alle parteipolitischen Jugendorganisationen sind bei uns Mitglied, aber auch viele aus der verbandlichen und der offenen Jugendarbeit. Insgesamt sind das 59 Kinder- und Jugendorganisationen. Da hat natürlich jede ihre eigene Meinung, und dementsprechend gibt es eine gewisse Buntheit, auch in Bezug auf die Themen. Den Vorstand, der die Schwerpunkte vorgibt, wählen alle zwei Jahre die Vertreter aller Mitgliedsorganisationen. Da sind alle möglichen Gruppen vertreten.

Was hat die Bundesjugendvertretung in den vergangenen 20 Jahren erreicht?

Ein wichtiger Meilenstein war zum Beispiel die Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung - nicht aller, aber einiger. Auch die wichtige Vereinheitlichung des Jugendschutzes zählen wir zu unseren Leistungen. In der Pandemie haben wir uns vor allem im ersten Corona-Jahr stark für die Öffnung der Jugendarbeit eingesetzt.

Kinderrechte in die Verfassung aufnehmen - da würde man ja eigentlich meinen, dass die längst alle drinnen wären im Jahr 2021.

Die UN-Kinderrechtskonvention wurde 1992 von Österreich ratifiziert. Ein Teil der Rechte sind seit 2011 im Verfassungsrang. Aber das heißt noch nicht, dass sie dann auch wirklich durchgesetzt werden beziehungsweise tatsächlich bei Kindern und Jugendlichen ankommen und spürbar sind. Dafür werden wir uns weiterhin einsetzen. Denn es bringt ja nichts, wenn Kinderrechte auf dem Papier stehen, aber sonst keine Rolle spielen.

Welche Rechte sind das konkret?

Beim Recht auf Bildung etwa ist Österreich ein Nachzügler. Bei uns wird Bildung sehr stark immer noch weitervererbt. Gerade in der Pandemie hat sich das verstärkt, weil Distance Learning ein gewisses technisches Equipment voraussetzt. In Österreich ist jedes fünfte Kind von Armut betroffen oder gefährdet, da ist das dann schwierig, vor allem bei Familien mit mehreren Kindern. Da kann dann plötzlich nicht jeder adäquat an der Bildung teilnehmen, die eigentlich gesetzlich verankert ist.

Was fehlt noch ganz eklatant?

Das schon erwähnte Recht auf Bildung ist leider genauso wenig im Verfassungsgesetz wie das Recht auf Gesundheit. Beide Bereiche sind gerade sehr brisant aufgrund der Coronavirus-Pandemie, weil sich besonders die psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen enorm verschlechtert hat. Gleichzeitig gibt es viel zu wenig Therapieplätze. Darauf machen wir mit unserer Kampagne "Die Krise im Kopf" aufmerksam. Unser Fokus liegt bei allen Kinderrechten, egal ob im Verfassungsrang oder nicht, und dass sie auch bei Kindern und Jugendlichen ankommen.

In der Pandemie hat die Jugend ja mit am meisten gelitten.

Wir haben aus Solidarität mit den anderen Bevölkerungsgruppen, die es zu schützen galt, die Maßnahmen in Kauf genommen. Aber das hat natürlich negative Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche gehabt. Man ist einfach fertig nach fünf Stunden Online-Unterricht. Und man konnte ja auch die Freunde nicht treffen - dabei ist gerade für die Entwicklung junger Menschen der Austausch mit Gleichaltrigen extrem wichtig. Sportliche Aktivitäten mussten auf ein Minimum reduziert werden. Gar nicht zu reden vom nichtexistenten Verreisen und die Welt sehen.

Waren es eineinhalb verlorene Jahre?

Ich will jetzt nicht von einem verlorenen Jahr sprechen. Uns als Bundesjugendvertretung geht es eher darum zu schauen, wie die Jugendlichen, die es in den vergangenen Monaten schwer gehabt haben, jetzt wieder aufholen können, im Bildungsbereich, aber auch im Gesundheitsbereich, wo manche Probleme noch viel stärker geworden sind. Es geht darum, ein paar Schritte nach vorne zu machen, statt stillzustehen. Mit der Kampagne "Die Krise im Kopf" wollen wir ein Bewusstsein für das Thema psychische Gesundheit schaffen.

Was braucht es am dringendsten seitens der Politik?

Wichtig ist, dass die Bundesjugendvertretung in ihrem sozialpartnerschaftlichen Status anerkannt und auch als Lobby der Kinder und Jugendlichen gesehen wird. Oft ist es nämlich so, dass wir gar nicht mit am Tisch sitzen und immer wieder daran erinnern müssen, dass bei jedem Thema, das junge Menschen angeht - und das sind sehr viele Themen oder eigentlich fast jedes -, diese auch vertreten sein müssen. Wir sprechen hier von immerhin rund drei Millionen Menschen in Österreich. Aber da von denen nur etwa die Hälfte wahlberechtigt ist, also etwa eineinhalb Millionen potenzielle Wähler, ist das Interesse der Politik wohl überschaubar. Ansonsten braucht es grundsätzlich viel mehr Investitionen in Jugendbereiche - da zähle ich neben der Bildung auch das Klima dazu. Da muss viel mehr geschehen, und zwar nachhaltig und mit Weitsicht. Gerade beim Klima brennt der Hut eh schon, da muss man aufpassen, dass nicht auch noch die Haare zu brennen beginnen.

Geht für Sie die ökosoziale Steuerreform weit genug?

Nein. Beim Heizen zum Beispiel ist in erster Linie von den Mietern die Rede, aber die Vermieter werden komplett außen vor gelassen. Und es braucht viel drastischere Maßnahmen, um der Klimakatastrophe noch zu entgehen. Auch bei den Pensionen, wo ja die Erwerbstätigen die Nichterwerbstätigen finanzieren, muss die Politik stärker ansetzen und etwa für eine höhere Erwerbsquote bei Frauen sorgen. Dafür braucht es aber mehr und bessere Angebote bei der Kinderbetreuung. Und es braucht besser geregelte Arbeitsverhältnisse und höhere Einstiegsgehälter für junge Menschen, da ja oft ältere, teurere Arbeitnehmer durch jüngere, billigere ersetzt werden.

Gibt es einen internationalen Austausch mit anderen Jugendvertretern?

Auf europäischer Ebene gibt es das European Youth Forum, wo die Bundesjugendvertretung Mitglied und in diversen Projekten aktiv ist. Demnächst findet ja die "Konferenz zur Zukunft Europas" statt, und den Auftakt macht die "Junge Konferenz zur Zukunft Europas", wo wir auch junge Menschen einladen, ihre Vorstellungen für ein besseres Europa zu teilen, die dann von den österreichischen EU-Abgeordneten zur Konferenz mitgenommen werden.

Hört die EU mehr auf die Jugend als die nationalen Regierungen?

Ich würde sagen, in beiden Fällen gibt es gute Ansätze, aber auch noch vieles zu verbessern. Mehr geht immer.

Generell ist ja Österreich eines der reichsten Länder der Welt. Geht es der österreichischen Jugend grundsätzlich gut?

Es ist nicht unser Ansatz, uns darauf auszuruhen, dass Kinder und Jugendliche bei uns nicht so arm dran sind wie in anderen Ländern. Auch in Österreich gibt es große Probleme und genug Baustellen, als dass wir uns auf die Schulter klopfen könnten und nichts mehr tun müssten.