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Die lange Bremsspur in den Lockdown

Von Karl Ettinger und Martin Tschiderer

Politik

Oberösterreich und Salzburg sperren zu, ein österreichweiter Lockdown könnte folgen. Die Zahlen in Wien sind aber deutlich besser. Simulationsforscher Popper hält "strukturiertes" regionales Vorgehen für sinnvoll.


Die bundesweite Entscheidung soll erst am Freitag fallen. Eine andere gab es schon am Donnerstag: Salzburg und Oberösterreich gehen ab Montag in einen harten Lockdown. Im Alleingang, wenn die Bundesregierung die Maßnahme nicht über ganz Österreich verhängt. Darüber wird spätestens am Freitag bei den Gesprächen zwischen Bund und Ländern bei der Landeshauptleute-Konferenz in Tirol entschieden.

Den Lockdown für alle in den beiden Bundesländern "für mehrere Wochen" verkündete am Donnerstag zunächst Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP). Sein Salzburger Partei- und Amtskollege Wilfried Haslauer kündigte am Nachmittag schließlich auch an, Schulen und Kindergärten zu schließen. Eine Betreuung werde aber ermöglicht. "Ich sehe keine andere Möglichkeit", so Haslauer mit Blick auf die "aggressive" Zahlenentwicklung. Er hoffe, den Lockdown "zu Weihnachten" wieder beenden zu können.

Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) will die Schulen dagegen offen halten. In einem Schreiben an die Schulleitungen der beiden Bundesländer wird betont, dass der Stundenplan trotz Lockdown aufrecht bleibe. Die Verordnung bzw. der Erlass des Ministeriums dazu sollen "so schnell wie möglich nachgereicht werden".

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Bemerkenswert ist der Vorstoß aus Oberösterreich und Salzburg auch, weil Haslauer wie Stelzer sich Anfang bis Mitte vergangener Woche noch gegen Lockdown-Forderungen gewehrt hatten. Das zu einem Zeitpunkt, als die Intensivkapazitäten sich längst nahe an die systemkritische Überlastung heranbewegt hatten und die Spitäler entsprechend laute Hilferufe aussandten. Beide Landeshauptleute legten binnen weniger Tage - und für Fachleute deutlich zu spät - eine Kehrtwende ein.

Oberösterreich hält Krisenstab geheim

Wie sehr Stelzers Agieren von der bremsenden Haltung seines Koalitionspartners in der Landesregierung, der FPÖ, beeinflusst war, zeigte sich ebenfalls am Donnerstag. Während sich Stelzer auch vom Bund ein einheitliches "hartes" Eingreifen wünschte, gab es im Landtag gleichzeitig einen gemeinsamen Initiativantrag seiner ÖVP mit den Freiheitlichen, um zwar "alle Möglichkeiten zur Eindämmung der Virusausbreitung" zu nützen, aber um einen "generellen Lockdown" zu verhindern.

Welche Fachleute im Krisenstab des Landes arbeiten, will man in Oberösterreich offenbar geheim halten, wie eine Anfrage der "Wiener Zeitung" ergab: Man arbeite "mit verschiedenen renommierten Expertinnen und Experten" zusammen. Darunter seien Mediziner mehrerer Spitalsträger, niedergelassene Ärzte und solche aus dem Landesdienst, hieß es. Und: "Wir ersuchen um Verständnis, dass wir die Namen dieser Personen nicht veröffentlichen."

Der Komplexitätsforscher Peter Klimek bezeichnete am Donnerstag die zumindest regionalen Lockdowns für alle als das bittere Ende einer "unfassbaren Entwicklung, die man zugelassen hat". Schon bei der dritten Welle im Frühjahr habe die Politik viel zu langsam auf die rasant steigenden Zahlen reagiert. Nun sei die "Bremsspur" so lang, "dass sie in der Wand geendet hat". Ob es einen bundesweiten Lockdown brauche, wollte Klimek nicht explizit beantworten. Er verwies allerdings auf die deutlich weniger dramatische Infektionslage in Wien und im Burgenland, wobei längerfristig kein Bundesland "aus dem Schneider" sei.

Die bundesweiten Infektionszahlen erreichten am Donnerstag mit 15.145 ein weiteres Mal einen neuen Höchststand. Regional sind Zahlen wie Entwicklung aber nach wie vor sehr unterschiedlich. Während es in Oberösterreich mit 3.518 erneut die mit Abstand meisten Neuansteckungen gab, waren es in Wien mit fast einem Drittel mehr Einwohnern und einer ungleich höheren Bevölkerungsdichte, die eine Ansteckung an sich erleichtert, 1.980.

Popper: "Man sieht, dass Wien einiges richtig gemacht hat"

Noch deutlicher werden die Unterschiede zwischen den Bundesländern aber bei anderen Werten: Zwar steigen die Fallzahlen überall. Die Reproduktionszahl, die angibt, wie viele Menschen eine infizierte Person im Schnitt ansteckt, sank in Wien, das aktuell mit Abstand am besten durch die Pandemie kommt, zuletzt aber sogar. Und während die Positivrate seit dem Sommer konstant um oder gar unter einem Prozent lag, stieg sie etwa in Oberösterreich seither stark an. In Vorarlberg liegt sie aktuell sogar bei 33 Prozent.

"Man sieht, dass Wien einiges richtig gemacht hat", sagt der Simulationsexperte Niki Popper zur "Wiener Zeitung". Bundesländer wie Salzburg und Oberösterreich hätten dagegen im Vorfeld entscheidende Maßnahmen bei Hygiene und Maskenpflicht sowie entsprechende Kontrollen nicht umgesetzt. Zweitens hätten sie "entgegen besseren Wissens" verabsäumt, die nötige Infrastruktur für PCR-Tests aufzubauen. Und drittens habe etwa das Burgenland um 20 Prozent mehr geimpft als das nun so gebeutelte Oberösterreich.

Weil Wien mit mehr Weitblick als die anderen Bundesländer präventiv Maßnahmen gegen die vierte Welle getroffen habe, stehe es jetzt entsprechend besser da, sagt Popper. Einen harten Lockdown für alle in der Hauptstadt hält er deshalb aufgrund der epidemiologischen Situation nicht unbedingt für nötig. Neben dem harten Lockdown in Salzburg und Oberösterreich werde es für die restlichen sieben Bundesländer aber "angezeigt sein, solidarisch härtere Maßnahmen zu treffen", erläutert der Wissenschafter. Diese müssten nicht zwingend in einen vollen Lockdown münden. "Wenn es strukturiert und abgestimmt ist", sagt Popper, "halte ich regionalisiertes Vorgehen für sinnvoll".

Indes sehen die beiden SPÖ-Landeshauptleute Hans Peter Doskozil (Burgenland) und Peter Kaiser (Kärnten) die Tendenz in Richtung vierten Gesamt-Lockdown - für Geimpfte und Ungeimpfte in allen Bundesländern - gehen, wie sie Donnerstagabend im Vorfeld der Bund-Länder-Runde am Freitag sagten. Unter den ÖVP-Landeschefs bestand dem Vernehmen nach aber Uneinigkeit.