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Das Wohnzimmer als Gerichtssaal

Von Petra Tempfer

Recht
© adobe.stock / neirfy

Das Justizministerium streicht die Verhandlungen per Video als Dauerrecht: Zu viele Fragen sind offen.


Der Richter bei der Verhandlung im Wohnzimmer statt im Gerichtssaal. Der Zeuge mit Aussetzern - und zwar technischer Natur. Was während der Corona-Lockdowns als Notlösung kurzfristig eingeführt wurde, wäre schon fast ins Dauerrecht übergegangen: Videoverhandlungen, die Teil des Entwurfs für eine Zivilverfahrensnovelle waren, und die Justizministerin Alma Zadic (Grüne) Ende Juli in Begutachtung schickte.

Die Begutachtungsfrist war bereits abgelaufen, es gab 45 Stellungnahmen. Am Dienstag wurde jedoch bekannt, dass das Justizministerium diese Bestimmung aus dem Entwurf herausgestrichen hat und eine Arbeitsgruppe mit Interessengruppen und Experten einrichten will. Denn es habe sich gezeigt, dass es noch "Gesprächs- und Diskussionsbedarf" gebe, hieß es.

Erst Montagabend hatten die Rechtsanwälte bei einem Webinar der Kammer (Örak) gefordert, den Entwurf zurückzustellen und zuerst im Zuge eines Pilotprojekts zu evaluieren, wie die Übernahme der Videoverhandlungen ins Dauerrecht in der Praxis aussehen könnte. Auch Elisabeth Lovrek, Präsidentin des Obersten Gerichtshofes (OGH), plädierte dafür, um Detailfragen zu klären, von denen noch viele offen seien. Videoverhandlungen seien jedenfalls nicht für alle Verfahren geeignet, sagte sie schon jetzt. Sie sollten die Ausnahme bleiben, und deren Rahmen müsse "behutsam abgesteckt werden".

Am größten ist die Skepsis sowohl der OGH-Präsidentin als auch der Rechtsanwälte dagegen, dass der Richter den Gerichtssaal gegen sein Wohnzimmer tauschen könnte. Denn der Entwurf regelte dessen Aufenthaltsort bei Videoverhandlungen nicht. In der Änderung des § 132a Zivilprozessordnung war lediglich ganz allgemein zu lesen: "Das Gericht kann mit Einverständnis der Parteien mündliche Verhandlungen und Anhörungen ohne persönliche Anwesenheit der Parteien oder ihrer Vertreter unter Verwendung geeigneter technischer Kommunikationsmittel zur Wort- und Bildübertragung durchführen [. . .]." Zudem wurde geklärt, dass die Zustimmung aller Verfahrensparteien Voraussetzung bleiben sollte, nicht aber, wo das Verfahren selbst geführt wird.

"Keine Online-Yogastunde"

Dass dieses außerhalb des Gerichtssaals sein könnte, hält Lovrek für unvorstellbar - allein schon aus rechtlichen Gründen. "Der Richter hat im Gericht zu verhandeln, um die verfassungsrechtliche Vorgabe der Öffentlichkeit der Verhandlung zu erfüllen", sagte sie. Dass Zuseher anwesend sein können, sei ein "hart erkämpftes Privileg", das die "Geheimjustiz" verhindern soll. Eine Hybridform hält Lovrek indes für verfassungsrechtlich unbedenklich. So könnte der Richter physisch im Gerichtssaal anwesend sein, während die Parteien per Video zugeschaltet werden.

Der - echte und auch nicht als Computerbild suggerierte - Gerichtssaal im Hintergrund des Richters bewirke aber noch etwas anderes, Tiefgreifendes. "Die Gerichtsbarkeit und -verhandlung ist ein Hoheitsakt", sagte Lovrek, "und keine Online-Yogastunde." Diese Autorität des Gerichts und die Ernsthaftigkeit der Sache müssten in jedem Fall vermittelt werden. Und zwar nicht zuletzt deshalb, "um Aussagen mit einem hohen Wahrheitsgehalt zu bekommen", ergänzte die Rechtsanwältin Alma Steger, die Vorsitzende des Örak-Arbeitskreises IT und Digitalisierung ist. "Die Wirkung des Gebäudes, das Setting im Gerichtssaal, man muss es sehen und fühlen." Örak-Vizepräsident Bernhard Fink forderte daher, im Gesetz zu verankern, "dass der Richter im Gerichtssaal sein muss".

Körpersprache fällt weg

Auf der anderen Seite sei es auch für den Richter schwierig, Aussagen zu beurteilen, wenn er sein Gegenüber nur via Bildschirm sieht, so Steger weiter. Und selbst davon meist nur den Kopf - "die Körpersprache gibt es dadurch nicht mehr", sagte sie.

Als Anwältin per Video verändere sich für sie die Inszenierung der gesamten Verhandlung an sich, denn die Interaktion mit der vertretenen Partei, "die Blicke ohne Worte fallen weg". Und: "Werde ich als Parteienvertreterin vielleicht plötzlich stumm geschaltet? Muss ich die Methodik verändern?"

Ob auch die Parteien- und Zeugeneinvernahme - also die Beweisaufnahme - per Video möglich sein soll, war den Rechtsanwälten zufolge im Entwurf nicht ausgeschlossen. Laut OGH-Präsidentin Lovrek war indes das Gegenteil der Fall, ihrer Ansicht nach war das sehr wohl ausgeschlossen, und zwar "begrüßenswerter Weise". Martin Spitzer vom Institut für Zivil- und Zivilverfahrensrecht an der WU Wien sieht das ähnlich, das sei allerdings nicht aus dem Normtext, sondern aus den Gesetzesmaterialien hervorgegangen, präzisierte er.

Frage des Datenschutzes

Hier brauche es also noch eine explizite Klarstellung, und auch, ob Videoverhandlungen nur für vertretene Parteien zulässig sein sollten, war unklar, resümierte Örak-Vizepräsident Fink. Wie man vorgeht, falls die Internetverbindung abbricht, und ob das Versäumnisfolgen hat, war ebenfalls offen.

Nicht zuletzt steht und fällt die Realität der Videoverhandlung also mit der technischen Ausrüstung der Parteien, und zwar der gleichwertigen. Und freilich ist auch der Datenschutz Thema. Sollten sich künftig irgendwelche Aufzeichnungen von Verhandlungen jemals im Internet finden, "gehört das streng bestraft", sagte Fink.

Die Videovariante eigne sich also am ehesten - und da waren sich Anwälte und OGH-Präsidentin wieder einig - zum Beispiel für Gutachtenserörterungen, für einvernehmliche Scheidungen oder Vergleiche. Bei komplexeren Verfahren mit vielen Beteiligten, so Lovrek, bestehe hingegen "Chaosgefahr".