Neben dem naturhistorischen Museum stehen die Einsatzkräfte in Spalier. FFP2-Masken im Gesicht, Barette am Kopf, die Helme tragen sie nur in der Hand oder am Gürtel. Teil polizeilicher Deeskalationsstrategie. Dort, wo die Lautsprecher-Ansagen herkommen, hinter den geschlossenen Hütten des Weihnachtsmarkts am Maria-Theresien-Platz, sieht man umringt von Österreich- und Deutschland-Flaggen bunte Transparente. "Mein Körper, meine Entscheidung", steht auf manchen, "Hände weg von unseren Kindern" oder "Pinocchio Regierung Lügenstein".

"Friede, Freiheit, Demokratie" und "Widerstand" werden abwechselnd skandiert, begleitet von selbst gebastelten Trommeln und Rasseln. Masken tragen hier nur wenige, und wenn, dann häufig unter dem Kinn. Viele der Maskenträger haben sich dafür ein rotes X auf den FFP2-Stoff geklebt. "Das Zeichen des Widerstands", wie Alexander Ehrlich schon am Vormittag auf seinem Telegram-Kanal gepostet hat.

Ehrlich, Filzhut, langer Vollbart, Anfang 40, ist Busunternehmer aus Niederösterreich. Und einer der Köpfe hinter dem "Warnstreik", wie die Demo gegen die Impfpflicht an diesem Mittwochnachmittag betitelt wurde. Als sich der Protestzug Richtung Ring in Bewegung setzt, steht Ehrlich auf der Ladefläche eines Pritschenwagens und ruft über Lautsprecher Parolen wie: "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht" - ein Zitat von Bert Brecht.

Es ist eine vergleichsweise kleine Kundgebung, rund 1.500 Demonstrantinnen und Demonstranten sind laut Polizei gekommen. Am Samstag dürften es wieder deutlich mehr werden. Mehrere Demos gegen die Corona-Maßnahmen und die Impfpflicht sind bereits angekündigt, unter anderen eine der Impfskeptiker-Partei MFG. Für das Wochenende darauf rief auch FPÖ-Chef Herbert Kickl wieder zu Protesten auf.

Trotz Lockdowns und allgemeiner Ausgangsbeschränkungen ist wieder Demo-Zeit - oder gerade deshalb. Auch bei der kleinen Kundgebung am Mittwochnachmittag waren wieder bekannte Gesichter der rechtsextremen Szene wie Martin Sellner und andere Mitglieder des "Identitären"-Ablegers "Die Österreicher" zu sehen. Bei der Großdemo in Wien mit rund 40.000 Teilnehmern vor zwei Wochen hatten sich Rechtsextreme gar an die Spitze des Protestzuges gesetzt. Auch abseits der bekannten Rechtsausleger sind in einschlägigen Telegram-Gruppen aber zunehmend radikalere Statements und immer wieder auch extremistische Drohungen zu lesen.

FPÖ profitierte von radikalem Corona-Kurs

Die Proteste, wie auch die Reichweite der Kanäle, reichen zudem - schon lange - in breite Schichten der Gesellschaft. Und mit ihnen: Impfgegnerschaft, Mythen und Verschwörungsideologien. Dass diffuse "Eliten"-Feindlichkeit und verschwörerisches Denken durch die Pandemie in so weite Teile der Bevölkerung vorgedrungen sind, rief auch jene auf den Plan, die wussten, dass sie von dieser Entwicklung profitieren können. In Österreich war das vor allem die FPÖ.

Kickl erkannte bereits vor seinem Antritt als neuer blauer Parteichef im Juni das Mobilisierungspotenzial der Corona-Proteste für seine Partei und schwenkte auf einen gnadenlosen Anti-Maßnahmen-Kurs ein. Inklusive öffentlicher Kritik an der Impfung und der Propagierung des Pferde-Entwurmungsmittels Ivermectin zur Corona-Behandlung - entgegen wissenschaftlicher Erkenntnisse. Und Kickls radikale Strategie ging durchaus auf, wie die Entwicklung der FPÖ-Umfragewerte zeigte: Nach dem Ibiza-Skandal noch bei Tiefstwerten, lagen die Freiheitlichen zuletzt wieder bei rund 18 Prozent.

Während Rechtspopulisten in der Regierung - so wie in Polen und Ungarn - darauf bedacht seien, das Thema Corona zu entpolitisieren, nutzten rechtspopulistische Oppositionsparteien wie die FPÖ die Pandemie "zur Schärfung ihres populistischen Profils", sagt der Politologe Hans Vorländer vom Mercator Forum Migration und Demokratie an der TU Dresden. Sein Institut hat die Facebook-Statements solcher Parteien in zwölf Ländern untersucht.

Österreich war zwar nicht dabei, der Blick auf die AfD in Deutschland und ähnliche Parteien in Europa zeigte aber, dass diese fast im Gleichritt mit der FPÖ zu Pandemiebeginn "einen radikalen Kurswechsel" vollzogen. Aus anfänglicher Befürwortung der Maßnahmen wurde radikale Ablehnung. Und eine Inszenierung als Bewahrer der individuellen Freiheiten. Der populistische Stil dieser Parteien ist laut Vorländer dafür ausschlaggebend, dass sie es "schaffen, aus dem Protestlager, in dem populistische Einstellungen und Gefühle der Deprivation stark vertreten sind, für sich absahnen zu können".

Der Mechanismus wirkt aber nicht nur in die eine, sondern auch in die andere Richtung: Dass die FPÖ die Stimmung der Maßnahmengegner inklusive verschwörungstheoretischen Denkens für ihre eigenen politischen Interessen nutzt, wirkt wiederum als Verstärker für diese Sichtweisen in der Öffentlichkeit.

"Pharma-Vasallen" und "ferngesteuerte Polit-Roboter"

Von diesem wechselseitigen Hochschaukeln profitieren indes nicht nur politische Parteien, sondern auch manche Medien. Der Privatsender "Servus TV" etwa wurde in der Pandemie mit seiner Berichterstattung, die Impf- und Maßnahmengegnern breiten Raum gab, zu einem medialen Sammelbecken für verschwörungsaffine Menschen. Seherinnen und Seher des Senders neigen eher zur Verharmlosung des Coronavirus, sind empfänglicher für Verschwörungsmythen und impfskeptischer als jene, die den Sender nicht konsumieren, ergab kürzlich eine Studie des "Austrian Corona Panel Project" der Uni Wien.

Eine besondere Rolle spielt dabei der Intendant des Senders Ferdinand Wegscheider mit seinem wöchentlichen Kommentarformat "Der Wegscheider". Ende November sprach er etwa wörtlich von der europäischen Arzneimittelbehörde als "Pharma-Vasallen", "ferngesteuerten Polit-Robotern" in der Bundesregierung und fragte: "Wer hat die Macht, weltweit Regierungen, Ärzte und Medien zu dirigieren und anzuweisen, gemäß seinen Planspielen Lockdowns und Zwangsimpfungen zu verfügen?"

Wegscheider knüpft damit an in der Szene einschlägig bekannte antisemitische Verschwörungstheorien an, wonach in Wahrheit "geheime Eliten" die Geschicke der Welt steuerten und Politiker nur als deren "Marionetten" oder "Vasallen" dienten. Eine erstaunliche Grenzüberschreitung, die man vor nicht allzu langer Zeit zwar in kruden Verschwörungs-Foren im Netz gefunden hätte - nicht aber auf einem sich als Publikumsmedium begreifenden TV-Sender.

Viele andere Medien werden von der "Querdenker"-Szene unterdessen als Feindbilder auserkoren. Der jährliche Bericht der Bundesstelle für Sektenfragen spricht in diesem Zusammenhang von "Beschimpfungen und Drohungen bis hin zu tätlichen Angriffen" auf Journalistinnen und Journalisten auf den Anti-Maßnahmen-Demos. Diese Entwicklung sei "besorgniserregend", die "anwachsende feindliche Stimmung" gegen sogenannte "Mainstreammedien" eine Folge der "Diffamierungen als Lügenpresse" durch jene, die Verschwörungserzählungen verbreiten.

Die Sektenstelle weist zwar "explizit" darauf hin, dass sich an den Demos und Protesten auch Menschen ohne Bezug zu Verschwörungsideologie beteiligen. "Sie wurden jedoch häufig von jenen übertönt, die durch den Bezug auf Verschwörungstheorien mehr Aufmerksamkeit erlangten", so der Bericht.

"Es gibt eine neue Eskalationsstufe"

Das bewusste Abspalten der Verschwörungsaffinen sorgte auch "für massive Konflikte in Familien, Freundeskreisen und dem beruflichen Umfeld", was zu einem "hohen Leidensdruck von Angehörigen" geführt habe. Der Bedarf nach Beratung sei dementsprechend hoch.

In den Sommermonaten, als es weniger Einschränkungen durch die Pandemie gab, sei diese Dynamik zwar kurzzeitig ein wenig zurückgegangen, sagt die Psychologin Ulrike Schiesser von der Bundesstelle zur "Wiener Zeitung". Radikalisierung und Verschwörungsglaube seien aber zu einer ungebrochenen Konstante der Corona-Krise geworden. "Mit den steigenden Infektionszahlen und der Ankündigung des Lockdowns sind die Anfragen bei uns wieder stark gestiegen", so Schiesser. "Es gibt eine neue Eskalationsstufe." Hoffnungen auf große Abwendung von Verschwörungsideologien in entspannteren Pandemiephasen haben sich laut Schiesser zudem nicht erfüllt: "Die, die da reingerutscht sind, bleiben drin."

Wie wird sich in dieser erhitzten Atmosphäre die Einführung der Impfpflicht auswirken? Werden überzeugte Impfgegner auf den Druck mit Gegendruck reagieren und sich im großen Stil weiter radikalisieren? Nicht unbedingt, sagt die Psychologin. "Ich glaube, dass nur ein sehr kleiner Teil radikaler werden wird." Ein weitaus größerer Teil könnte sich dagegen "mit Grummeln aber doch" impfen lassen, glaubt Schiesser. "Die hohen Strafen werden viele letztlich nicht zahlen wollen."