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Die Republik als ewige Baustelle

Von Walter Hämmerle

Politik

Seit bald vier Jahrzehnten befindet sich die Politik im Modus des instabilen Übergangs. Ein Ende ist nicht in Sicht.


Sieben Kanzler seit 2016: Werner Faymann, Christian Kern, Sebastian Kurz, Brigitte Bierlein, wieder Kurz, noch Alexander Schallenberg und demnächst also Karl Nehammer; und wenn man Hartwig Löger mitzählt, sind es sogar acht. In dieser Kategorie ist Österreich tatsächlich Europameister, vielleicht sogar Weltspitze. Dabei verleitet der Fokus auf die instabilen Verhältnisse der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit zur Selbsttäuschung. Österreich befindet sich seit bald vier Jahrzehnten im Stadium des fortgesetzten Übergangs. Die alte, rot-schwarze Republik ist definitiv zu Ende, doch was auf sie folgt, lässt sich noch immer nicht verlässlich sagen.

Am Anfang, Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er, fanden viele Wähler Gefallen an einem Hecht im Karpfenteich, der dafür sorgen sollte, dass SPÖ und ÖVP nicht zu viel Fett ansetzten. Der Hecht, das war damals der junge Jörg Haider, der neben seinem unsäglichen Spiel mit NS-Versatzstücken und offener Xenophobie eben auch den Finger in schwärende Wunden der Zweiten Republik legte: ein fast hermetisch abgeriegeltes rot-schwarzes Machtkartell, das um sich selbst kreiste. Den Hecht zu wählen, war damals taktisches Wählen in Reinkultur: Man wollte Rot-Schwarz Beine machen, aber nicht unbedingt die Haider-FPÖ in der Regierung.

Erneuerung - oft versprochen, nie gelungen

Es ist dann bekanntlich anders gekommen, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Die Erneuerung von ÖVP und SPÖ, obwohl vielfach angegangen und noch öfter angekündigt, ist immer irgendwo stecken geblieben, meistens selbst verschuldet. Am relativ erfolgreichsten fuhren ausgerechnet diejenigen, die sich wie Faymann, der acht Jahre im Kanzleramt regierte, mit dem bloßen Management der Macht begnügten, das aber gnadenlos professionell. Von großen Neuerungen hatte eine relative Mehrheit nach der ereignisreichen Ära Wolfgang Schüssels fürs Erste genug.

Doch nur die Macht zu verwalten, hat ein Ablaufdatum. Vor Faymann versuchte bereits Alfred Gusenbauer, die SPÖ programmatisch und organisatorisch neu aufzustellen, doch er scheiterte an seinem übergroßen Ego und der Skepsis der Gewerkschafter, die um ihren angestammten Einfluss bangten. Die ÖVP versuchte es währenddessen mit einem groß inszenierten Erneuerungsprozess namens "Perspektivengruppe 2010" und dem Hoffnungsträger Josef Pröll als jugendlichem Gesicht. Das verlief aber spätestens mit dessen glückloser Obmannschaft im Sand.

Der gefühlte Stillstand inmitten eines globalen Sturms - immerhin wirbelte erst die Finanz-, dann die Migrationskrise Europa durcheinander - führte in der SPÖ ab 2015 zum Aufstand, der am Ende - und erstaunlicherweise gegen den Willen der mächtigen Wiener SPÖ - 2016 den roten Manager Christian Kern an die Spitze brachte.

Das Scheitern vermeintlicher Hoffnungsträger

Sein Plan A sah vor, über das Land auch seine Partei zu erneuern, doch noch bevor sich in der SPÖ der Widerstand gegen etliche in dem Vorhaben versteckte Zumutungen formieren konnte, kam Kern der Koalitionspartner abhanden. In der ÖVP war längst der damalige Außenminister Sebastian Kurz die Trumpfkarte der Altvorderen im Kampf gegen SPÖ und FPÖ um Platz eins. Dass Kurz nicht nur wegen seiner jugendlichen Dynamik und einnehmenden Rhetorik den internen Machtkampf gegen Reinhold Mitterlehner gewann, sondern auch wegen mutmaßlich getürkter Umfragen, sollte später wesentlich zu seinem Sturz beitragen.

Es ist nicht so, dass es keine Anläufe zur politischen Erneuerung der Republik und ihrer tragenden Säulen ÖVP und SPÖ gegeben hätte. Im Gegenteil, versucht wurde es etliche Male und noch viel öfter darüber geredet. Vorgebliche Veränderung wurde öffentlich inszeniert. An fehlerhaften Analysen lag es nicht. Seit den 1980er Jahren weisen Köpfe in den Parteien und von außerhalb auf die wesentlichen Mängel hin: Überhang an älteren Wählern, Verlust der Jungen und Aktiven; Dominanz institutionalisierter Interessen, fehlende Durchlässigkeit von neuen Themen und Gruppen sowie einiges andere mehr wie die wechselseitige Blockade der Koalitionspartner.

In die Lücken, die ÖVP und SPÖ durch eigene Versäumnisse zulassen, stoßen neue und sich ständig verpuppende Bewegungen vor. Derzeit sind fünf Parteien im Nationalrat vertreten - ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne und Neos -, eine sechste steht im Fall von schnellen Neuwahlen mit den Impfgegnern von "MFG" schon bereit. Mehrheitsfähige Koalitionen dürften dann nicht einfacher werden.

Kurz’ Defizit-Analyseder ÖVP trifft den Punkt

Auch der nunmehr gescheiterte türkise Erneuerungsversuch identifizierte die zentralen Schwachstellen der schwarzen ÖVP: Ein brustschwacher Bundesparteiobmann, der an der kurzen Leine von den starken Ländern und Bünden hängt; ein rein auf klientilistische Interessenpolitik ausgerichtetes Verständnis konservativer, christdemokratischer Politik. Sebastian Kurz hat diese Defizite erkannt und machtpolitisch wie inhaltlich ein Gegenkonzept entworfen. Allein, der ersehnte Erneuerer scheiterte trotz zuvor ungeahnter Machtfülle aus den vielfach analysierten Gründen.

Offen ist nun, ob die ÖVP zu ihren Schwächen der vergangenen Jahrzehnte zurückkehrt. Bei der Zusammenstellung des neuen Regierungsteams des designierten neuen ÖVP-Obmanns und Bundeskanzlers Nehammer führten unübersehbar die Landesparteien und Bünde Regie. Das ist zunächst wenig verwunderlich, weil sie allein nach dem Abgang von Kurz als tragende Machtsäulen übrig bleiben. Ändern könnten das allein Neuwahlen und ein Erfolg Nehammers als Spitzenkandidat. Doch genau die will die ÖVP unbedingt vermeiden. Aus gutem Grund, muss sie doch den Zorn und die Enttäuschung ihrer einstigen Wähler fürchten. Was zu bleiben scheint, ist die inhaltliche Ausrichtung der türkisen ÖVP.

Weil auch in der SPÖ eine Grundsatzentscheidung über ihre inhaltliche und personelle Aufstellung weiter aussteht - das letzte Wort zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans-Peter Doskozil hat Wiens Bürgermeister Michael Ludwig -, wird die Politik der Republik nicht so schnell zu berechenbarer Stabilität zurückfinden. Wenn nur den Wählern nicht irgendwann der Geduldsfaden mit ihren beiden Traditionsparteien reißt.