Es beginnt meist mit einem Infekt. Man erkrankt mit all den typischen Symptomen wie Gliederschmerzen, Kopfweh, Erschöpfung. Das geht vorüber, denkt man, da muss man jetzt durch. Doch es geht nicht vorüber. Die Erschöpfung bleibt. Mitunter ein Leben lang.

"Ich bin 32 Jahre alt und seit 15 Jahren an ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom, Anm.) erkrankt, seit zwei Jahren nun bettlägerig - gefangen im Bett im dunklen Zimmer, tagtäglich Schmerzen, starke Muskelschwäche bis hin zur Bewegungsunfähigkeit, an Infusionen und künstliche Ernährung angeschlossen. Jeder Tag sind unendliche Qualen, ich vertrage kaum Licht, keine Geräusche, schaffe es gerade nur bis zum WC", schreibt eine Betroffene in ihrer Stellungnahme zur Petition der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS. Diese steht heute, Freitag, auf der Tagesordnung des Ausschusses für Petitionen und Bürgerinitiativen des Nationalrats. Heike Grebien, Sprecherin der Grünen für Menschen mit Behinderungen, hat diese eingebracht, 19.959 Personen haben unterschrieben. Sie fordern die Anerkennung, Versorgung und soziale Absicherung für die Betroffenen sowie Investitionen in die Forschung. Auf EU-Ebene wurde bereits 2020 eine Resolution verabschiedet, die Forschungsgelder für die Diagnose und Behandlung sichern soll.

Denn das Problem bei dieser neuroimmunologischen Erkrankung, die mit chronischer Erschöpfung, Schwäche und Belastungsintoleranz in Kombination mit Schlafstörungen einhergeht, ist, dass sie schwer greifbar ist. Sie kann nach einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus, das das Pfeiffersche Drüsenfieber auslöst, mit dem Influenza-Virus oder auch mit dem Coronavirus auftreten und betrifft ein Bündel von Organen. "Bis zur Diagnose können daher sechs bis acht Jahre vergehen", sagt Eva Untersmayr-Elsenhuber vom Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie an der MedUni Wien, "weil es keine eindeutigen Biomarker gibt und man die Diagnose nur durch das Ausschlussverfahren stellen kann." Jahre, in denen die oder der Betroffene immer wieder in Krankenstand gehen muss, auf Teilzeit reduziert oder gar nicht mehr arbeiten kann. Und das unter dem ständigen, latenten oder auch klar ausgesprochenen Vorwurf, dass ja Erschöpfung keine Krankheit sei. Dass man lamentiere.

ME/CFS ist aber eine Krankheit. Schon 1969 hat die WHO diese als neurologisch eingestuft. Der Petition zufolge sind 0,3 bis 0,9 Prozent der Gesamtbevölkerung betroffen. Für Österreich sind das zwischen 26.000 und mehr als 80.000 Menschen - etwa ein Viertel von diesen erkranke so schwer, dass das Haus oder Bett nicht mehr verlassen werden könne, so die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS. Bis zu 75 Prozent seien in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt oder können gar nicht mehr arbeiten, ergänzt Untersmayr-Elsenhuber.

Hohe sozioökonomische Kosten

Die sozioökonomischen Kosten, vor allem aufgrund der verminderten Produktivität, werden von der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS europaweit auf 40 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Selbst nach der Diagnose sei die Versorgungslage schlecht, heißt es. In Österreich fehlten öffentlich finanzierte Anlaufstellen zur Betreuung und Behandlung genauso wie spezialisierte Rehabilitations- und Pflegeplätze.

Und der Bedarf steigt. 50 Prozent der Long-Covid-Patienten leiden laut Untersmayr-Elsenhuber an einer massiv eingeschränkten Leistungsfähigkeit, Konzentrationsschwächen, Muskelschmerzen und Schlafstörungen. "Ein Teil von diesen entwickelt ME/CFS", so die Medizinerin zur "Wiener Zeitung". In der Petition wird deren Anzahl auf mehr auf 70.000 Menschen geschätzt, die in Österreich "durch die chronifizierten Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung mit ME/CFS" zurückbleiben könnten. Also mehr als oder etwa noch einmal so viele wie bereits an ME/CFS erkrankt sind.

Auch leicht Erkrankte betroffen

Die Rechnung ist freilich nicht ganz einfach, weil auch noch die Höhe der Wahrscheinlichkeit, ein Long-Covid-Patient zu werden, unklar ist. Laut dem deutschen Robert Koch Institut ist es zu früh für verlässliche Schätzungen. Das Austrian Institute for Health Technology Assessment veröffentlichte jedoch im Sommer eine Überblicksauswertung, wonach zwischen 39 und 72 Prozent der stationär aufgenommen Covid-19-Patienten Langzeitfolgen zeigten, unter den ambulant Behandelten waren es fünf bis 36 Prozent.

Bald zwei Jahre nach Beginn der Pandemie in Österreich kristallisiere sich nun jedoch heraus, dass auch immer mehr junge, nur leicht Erkrankte davon betroffen sein können, sagt der Wiener Lungenfacharzt Ralf Harun Zwick. Dem Robert Koch Institut zufolge sind das laut einer deutschen Studie zehn Prozent.

Mittlerweile sind mehr als 200 Long-Covid-Symptome vom Haarausfall über Gedächtnisstörungen, Herz- und Lungenbeschwerden eben bis hin zu chronischer Müdigkeit bekannt. Insgesamt gab es laut Ages-Dashboard bis Donnerstag 1,2 Millionen bestätigte Covid-19-Fälle.

Was das durch Long Covid langfristig für Österreichs Versicherungssystem bedeutet, kann Peter Lehner, Co-Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger, noch nicht abschätzen. Die verschiedenen Wellen hätten sich jedoch auch im Nachhinein mit deutlichen Arbeitsausfällen niedergeschlagen, sagt er zur "Wiener Zeitung". Im Moment habe sich die Situation beruhigt. Doch die Folgen der vierten Welle werden sich zeigen.

Nur begrenzte Energie pro Tag

Die Long-Covid-Rehabilitation wirke grundsätzlich gut, sagt dazu Zwick. "Aber etwa fünf Prozent der Betroffenen bleiben nach den ersten sechs Wochen Rehabilitation so krank, dass sie nicht arbeiten gehen können." Für diese fünf Prozent könne es mitunter gar keine Heilung geben - was auch für ME/CFS typisch ist.

"Dadurch, dass man nicht weiß, wo konkret die Ursachen für die Erkrankung liegen, ist die Behandlung sehr schwierig", sagt Untersmayr-Elsenhuber. Studien zufolge könnten auch Autoimmunreaktionen verantwortlich dafür sein. Ihren Patientinnen und Patienten rate sie, sich durch sogenanntes Pacing die begrenzte Energie, die pro Tag zur Verfügung steht, einzuteilen.

Für die meisten sei der Umgang mit ihrer Krankheit extrem fordernd - auch bei dieser seien zahlreiche Jüngere darunter. "Wir sehen zwei Altersgipfel: Der eine betrifft Jugendliche zwischen 10 und 19 Jahren und der zweite 30- und 39-Jährige", sagt Untersmayr-Elsenhuber. "Es sind viele Menschen darunter, die vorher aktiv und sportlich waren. Sie werden durch die Erkrankung aus dem Leben gerissen."