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Was Österreich bedroht

Von Daniel Bischof

Politik

Das Bundesheer geht im "Risikobild 2030" von einer sich verschlechternden Sicherheitslage aus. Auf die zahlreichen Bedrohungen sieht der Bericht Österreich nicht ausreichend vorbereitet.


Die Risiken steigen. Die Sicherheitslage verschlechtert sich. Doch die Mittel, um all die Bedrohungen zu bewältigen, hat Österreich nicht. Das ist die Bilanz des "Risikobildes 2030" des Bundesheeres, das der "Wiener Zeitung" vorliegt.

Der Bericht wurde von Experten des Verteidigungsministeriums erstellt. Er listet auf 63 Seiten Bedrohungen für Österreichs Sicherheit auf. Wie informierte Kreise berichten, wurde das Risikobild dem Nationalen Sicherheitsrat, dem Beratergremium des Bundeskanzleramts in außen- und sicherheitspolitischen Fragen, vorgelegt. Ursprünglich sei es zur medialen Veröffentlichung angedacht gewesen. Davon sei das Verteidigungsressort abgekommen, da man "keine Diskussionen haben wollte", heißt es. "Risikobilder werden generell nicht veröffentlicht", entgegnet ein Sprecher des Bundesheeres auf Anfrage der "Wiener Zeitung".

Der Bericht ist mit 15. Jänner 2021 datiert. In einzelnen Punkten wie dem Afghanistan-Konflikt ist er nicht mehr auf dem neuesten Stand. Die Einschätzungen und Bedrohungsszenarien für Österreichs Sicherheitslage sind aber unvermindert aktuell.

Das "Risikobild 2030" rechnet damit, dass sich die Sicherheitslage für Österreich "in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich verschlechtern" wird. Der Einsatz des Bundesheeres im Inland zur militärischen Landesverteidigung werde "im Vergleich zu den letzten beiden Jahrzehnten wahrscheinlicher". Als Beispiel wird die Cyber-Verteidigung genannt.

  • Hybride Bedrohungen als zentrales Risiko

Als zentrales Risiko für Österreichs Sicherheit werden hybride Bedrohungen gesehen. Dabei greifen Akteure zu Mitteln unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Konflikts - etwa zu Desinformationskampagnen oder Cyber-Angriffen. Solche Attacken mit hybriden Mitteln gegen Österreich und die EU finden laut dem Bericht bereits "laufend statt".

Aber auch die Migration werde als hybrides Mittel benutzt - etwa als "Instrument der Außenpolitik, Druck- oder gar Mittel zur Destabilisierung". Das zeigt etwa die militärische Präsenz der Türkei in Libyen. Die von dort ausgehende Migration werde von der Türkei genützt, um über die Anrainerstaaten Italien und Malta Druck auf die EU auszuüben.

Die Provokationen gegen europäische Interessen wird die Türkei laut "Risikobild 2030" mit hoher Wahrscheinlichkeit fortsetzen. Ernsthafte Konsequenzen habe die Türkei nämlich nicht zu befürchten. "Der daraus resultierende Ansehensverlust der EU und die nachgewiesene Unfähigkeit oder Unwilligkeit wichtiger Mitgliedstaaten, angemessen zu reagieren, wird die Türkei weiter ermutigen."

Dieser Trend zu hybriden Attacken wird aktuell auch durch Weißrussland belegt. Der dortige Diktator Alexander Lukaschenko benutzt die Migration als Waffe. Er hat tausende Migranten zur polnisch-belarussischen Grenze gebracht und provoziert einen Konflikt, um Druck auf die EU auszuüben. Am Donnerstagabend verurteilten die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Brüssel Weißrusslands Vorgehen auch als "hybriden Angriff".

  • China weitet seinen Einfluss aus

Hybride Einflussnahmen werden weiters von China erwartet. Die Rivalität zwischen China und der EU werde sich in Bereichen wie Technologie, Ressourcen und Transportrouten manifestieren. "Damit wird es auch zu hybriden Aktionen seitens Chinas, sowohl gegen Mitgliedstaaten der EU als auch für Österreich bedeutende Drittstaaten (Westbalkan) kommen", so das "Risikobild 2030".

Demnach wird China auf eine zweispurige Taktik setzen. Einerseits werden Einflussnahmen in Ländern intensiviert, "wo Teile der politischen Eliten pro-chinesisch eingestellt sind und Medienkanäle sowie Thinktanks leicht ,erkäuflich’ sind". In ökonomisch und demokratisch gefestigteren Ländern wird sich China hingegen medial zurückziehen. Auf solche Länder könnte China aber verstärkt mit finanzpolitischen Mitteln einwirken. So etwa durch Kreditvergaben und Investitionen.

Im Ringen um die Vormacht zwischen den USA und China bestehe zudem die Gefahr, dass die EU "zerrieben werde". Zumal die USA wegen ihres verstärkten Unilateralismus ihre "America-First"-Strategie fortsetzen würden.

  • Der Westbalkan als Pulverfass

Fatal wäre ein Rückzug der USA für die Balkanregion. Diese würde weiter destabilisiert werden - was "signifikante Auswirkungen auf die europäische und österreichische Sicherheit" hätte, so der Bericht. Am Westbalkan zeichne sich "nach Jahren des Stillstands eine stabilitätsgefährdende Degression" ab. Im Vergleich zu den letzten zehn Jahren bestehe ein höheres Eskalationspotenzial. Scheitere die Friedenskonsolidierung, könnten nationalistische Akteure ermutigt sein, "ethnisch-territoriale Forderungen mit Gewalt durchzusetzen".

Besorgnis lösen derzeit die Vorgänge in Bosnien-Herzegowina aus. Das Parlament des serbischen Landesteils Republika Srpska hat vergangene Woche beschlossen, dem Zentralstaat in den Bereichen Steuern, Justiz sowie Sicherheit und Verteidigung Kompetenzen zu entziehen. Betrieben hat das Milorad Dodik, Chef der Partei SNDS. Er droht, die Republika Srpska aus dem bosnischen Staat herauszulösen.

Der Westbalkan stelle sich weiter "als nur halbkonsolidierte Region mit teilweise sehr hoher innerstaatlicher Fragilität" dar, so der Bericht. Die Region leidet unter der innenpolitischen Polarisierung, autoritären Tendenzen, Spannungen zwischen den Volksgruppen und bilateralen Problemen. Um diese Probleme zu überwinden, werden drei Faktoren als entscheidend bewertet.

Erstens muss sich die EU als glaubwürdiger Schlüsselakteur für den Westbalkan konsolidieren. Zweitens ist die Erneuerung der strategischen Allianz der EU und der USA am Westbalkan notwendig. Dies vor allem, um ein strategisches Gegengewicht zu russischen und chinesischen Einflussnahmen zu entwickeln. Drittens muss verhindert werden, "dass sich das regionale Ankerland Serbien in Bezug auf seine innen- und außenpolitische Entwicklung (wieder) zu einem negativen regionalen Sonderfall (zurück)entwickelt".

Ansonsten könnten mit der EU konkurrierende geopolitische Akteure wie Russland den Westbalkan für hybride Angriffe instrumentalisieren. Im Fall gewaltsamer Konflikte würde Österreich wohl zum Zufluchtsort von Flüchtlingen werden. Zudem könnte der steigende Einfluss arabischer Staaten und salafistischer Strömungen am Westbalkan Konsequenzen haben. Vor allem, wenn eine tolerante Interpretation des Islams rigiden Auslegungen weicht. Wegen der intensiven Kontakte österreichischer Muslime mit Westbalkan-Wurzeln zu Verwandten in den Herkunftsländern würde sich das "auf die hiesige Situation negativ auswirken".

  • Keine Beruhigung im Ukraine-Konflikt

Ein für die österreichische und europäische Sicherheit maßgeblicher Akteur ist Russland. Der Lagebericht geht für dieses Jahrzehnt in Russland von einem Konflikt zwischen EU-affinen, nationalliberalen Kräften und Westen-feindlichen, nationalkonservativen Kräften aus. Letztere würden kurz- bis mittelfristig die "Schlüsselpositionen innerhalb der Staatsführung einnehmen und auch die Außenpolitik stärker bestimmen".

Russland werde sich weiter "als wertekonservatives Gegenprojekt zum dekadent-liberalen Westen" darstellen. Eine Zunahme hybrider Aktivitäten Russlands innerhalb der EU wird prognostiziert. Darunter vermehrte Cyber-Angriffe und Einflussnahmen auf "demokratische Willensbildungsprozesse im Westen". Ein direkter Angriff auf einen EU-Mitgliedstaat wie eine Invasion des Baltikums sei "unter gewissen Umständen denkbar". Als Anlassfall wird eine massive Schwächung oder die Desintegration der EU oder Nato genannt. Allerdings sei das Russland-EU-Verhältnis von "wechselseitigen (geo)ökonomischen Abhängigkeiten geprägt, vor allem im Energiebereich".

Mit einer Entschärfung des Ukraine-Konflikts wird nicht gerechnet. In den vergangenen Wochen haben russische Truppenaufmärsche an der Grenze zur Ukraine für Beunruhigung gesorgt. Der Bericht geht davon aus, dass der Konflikt voraussichtlich mit hybriden Maßnahmen weitergeführt wird. Doch gebe es bis 2030 auch "viele nicht vorhersehbare Risiken für eine spontane Eskalation".

  • Blackout kommt "sehr wahrscheinlich"

Mit "sehr hoher Wahrscheinlichkeit" rechnet das "Risikobild 2030" mit dem Eintritt eines Blackouts binnen fünf Jahren. Selbst bei einem "limitierten Szenario" sei mit einem mehrtägigen Stromausfall zu rechnen. "In Österreich mit zumindest 24 Stunden, auf europäischer Ebene mit rund einer Woche, bis die Stromversorgung wieder annähernd stabil funktioniert." Im schlimmsten Fall ist ein Stromausfall von bis zu zwei Wochen nicht auszuschließen.

Destabilisierende Folgen auf die Staaten wird laut dem Bericht die globale Erwärmung haben. Sie werde nicht nur ein Armutsverstärker und Entwicklungshemmnis sein. Kriege um lebenswichtige Ressourcen würden zum globalen Phänomen werden. Weiters werde der Klimawandel auch die Migration anfachen. Schätzungen gehen weltweit bis 2050 von 150 bis 200 Millionen Klimaflüchtlingen aus.

  • Terrorgruppen könnten von Pandemie profitieren

Weiter gegeben sieht das Lagebild die Gefahr von Terroranschlägen. Einerseits könnten Gelegenheitsattentate durch radikalisierte Einzeltäter verübt werden. Andererseits seien auch Szenarien möglich, bei denen Terrorgruppen wie militärische Kommandoeinheiten Anschläge koordinieren und durchführen. Der unmittelbare Fokus der europäischen Sicherheitsbehörden liege derzeit wohl "nicht vordergründig auf Terrorismusbekämpfung". Ressourcen und personelle Kapazitäten der Exekutive sind derzeit nämlich auf die Bekämpfung des Virus konzentriert.

Doch auch auf anderem Weg könnten Terrorgruppen profitieren. "Insbesondere hybrid agierende Akteure sowie Terroristen erkennen das Potenzial künstlich erzeugter Krankheitserreger zur Interessensdurchsetzung (Erpressung beziehungsweise Bioterrorismus). Dabei steht nicht notwendigerweise eine hohe Letalität im Vordergrund als vielmehr die Überforderung bestehender Systeme (Gesundheit, Wirtschaft, etc.)."

  • Covid-19-Pandemie als Brandbeschleuniger

Nicht explizit in dem Bericht erwähnt sind mögliche Gefahren durch die sich verschärfenden Corona-Proteste. Diese werden vor allem von den Polizeibehörden als hoch eingeschätzt. Diese Woche sorgten vor allem Berichte über Morddrohungen gegen Politiker für Aufregung. Die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) beobachtet die potenziell gefährlichen Corona-Demo-Teilnehmer. Laut dem Leiter des neu aufgestellten Staatsschutzes, Omar Haijawi-Pirchner, würden viele extremistische Gruppierungen diese Demos nützen, um ihre Ideologien zu verbreiten. Der Terrorismus- und Extremismusexperte Nicolas Stockhammer sieht in den Protesten gar ein "neues Phänomen der Delegitimierung des Staates".

Das "Risikobild 2030" macht eine "steigende beziehungsweise zuletzt konstante Entwicklung von rechtsextrem motivierten Tathandlungen in Österreich" aus. Die linksextreme Szene sei in Österreich hingegen bereits seit geraumer Zeit durch interne Differenzen gespalten und sicherheitspolitisch kaum relevant. Allerdings könnten die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Corona-Krise ein Mobilisierungspotenzial für die Szene darstellen.

Eine Zuspitzung durch Covid-19 befürchtet der Bericht auch bei der Migration. Die Pandemie habe die Sicherheits- und Wirtschaftslage verschlechtert, was mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erhöhten Migrationsbewegungen nach Europa führe: "Kurz- bis mittelfristig besteht das größte Risiko für Österreich in einer neuerlichen unregulierten Migrationswelle (ähnlich 2015), die zu einer Systemüberforderung führen könnte. Langfristig betrachtet ist im Falle einer gescheiterten Integration eine islamistische Subversion des gesellschaftspolitischen Systems möglich."

  • Subversion durch Islamisten und die Türkei

Diese Subversion sieht der Bericht als eigene Gefahr. Befördert werde sie "durch die Einwirkung ausländischer Akteure (insbesondere Türkei, Muslimbruderschaft), die darauf abzielen, die österreichische Gesellschaft zu unterwandern und die staatliche Souveränität zu gefährden". Bis 2030 rechnet der Bericht mit starken Einflussnahmen.

"Gerade die Einflussnahme auf die Bestellung von Imamen in Institutionen wie dem Bundesheer oder der Polizei und eine Islamisierung von Bildungseinrichtungen, dem Justizsystem, ausgewählten Wirtschaftssektoren, Forschung, Förderprojekten oder von Jugendarbeit, steht für die Türkei und ihre lokalen Vertreter nunmehr im Mittelpunkt. Das Mitwirken türkischer Nachrichtendienste ist hier ein sehr wahrscheinlicher Faktor."

Gestärkt werde die Position der Türkei durch die europäischen Staaten. Diese seien unfähig, "ihre wachsende muslimische Multikulturalität zu verstehen". Es gelinge ihnen nicht, "die Quadratur des Kreises zwischen gesellschaftlicher Integration und notwendiger Wachsamkeit gegenüber Ankaras Manipulation der türkischstämmigen Bevölkerung zu schaffen", so das Fazit des Berichts.

  • Schwächen bei Österreichs Handlungsfähigkeit

Auf all die möglichen Krisen ist Österreich nicht ausreichend vorbereitet. Der Bericht ortet große Defizite bei der "strategischen Handlungsfähigkeit" des Landes. Diese bezieht sich "auf die Fähigkeit des Staates, in komplexen und schwierigen Krisensituationen" angemessen zu reagieren. Dazu notwendig seien unter anderem die Fähigkeiten zur "Krisenfrüherkennung, Risiko- und Folgenabschätzung, Entwicklung von Handlungsoptionen, strategischen Entscheidungsfindung und raschen Umsetzung von Strategien und Maßnahmen".

"Über dieses Instrumentarium verfügt Österreich derzeit nicht im ausreichenden Maße", so der Bericht. "Die voraussichtlich langandauernden Folgen der Covid-19-Krise werden die strategische Handlungsfähigkeit zudem beeinträchtigen." Im Falle einer Kombination mehrerer Risiken oder des raschen Eintretens eines großen Risikos könne das "verheerende Folgen für Österreich haben". Der Staat sei daher gefordert, "sich zukünftig für mehrere, auch gleichzeitig auftretende Krisen zu rüsten".

Derzeit arbeitet Türkis-Grün an einem Krisensicherheitsgesetz. Krisen und Prozesse sollen gesetzlich definiert werden. Mit dem Gesetz soll darauf reagiert werden, dass "eine weitgehende Verrechtlichung im Bereich des Krisenmanagements bisher nicht erfolgt ist", wie aus dem am 26. Oktober beschlossenen Ministerratsvortrag hervorgeht. Im Bundeskanzleramt wird der Posten eines Regierungskoordinators geschaffen. Geplant ist ein neues Lagen- und Krisenzentrum im Innenministerium.

Das komme "20 Jahre zu spät" und sei "teils auch schlecht umgesetzt", moniert ein Kenner der Materie aus dem Staatsdienst, der anonym bleiben möchte. Beim Gesetz werde "wieder operativ gedacht - wie reagiert man, wenn schon etwas geschehen ist". Der "analytische und vorbeugende Teil sowie der strategische Ansatz" würden zu kurz kommen.

Ein Angriff von Streitkräften eines Staates gegen Österreich wird mit der Wahrscheinlichkeit "gering" eingeschätzt. Der Bericht hält aber fest: "Mit den bisherigen finanziellen und personellen Ressourcen ist das ÖBH nur zu einer ersten, aber nicht nachhaltigen Abwehr konventioneller Angriffe befähigt."