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Vergessen, aber nicht verdrossen

Von Petra Tempfer

Politik
Das Bedürfnis der jungen Wähler nach Information ist enorm.
© Marina P. - stock.adobe.com

Was sollen junge, ungefestigte Wähler von dieser Politik denken, von diesem Land und dessen Demokratie?


Sechs Kanzlerwechsel in zehn Jahren. Die Ibiza-Affäre der FPÖ 2019, die in Neuwahlen gipfelte. Die Inseratenaffäre rund um Sebastian Kurz (ÖVP), den ehemals jüngsten Bundeskanzler aller Zeiten, die vor kurzem in das Ende von dessen Ära und dessen engsten Mitstreitern mündete. Was sollen die jungen, noch ungefestigten Wähler von dieser Politik denken, von diesem Land und von dessen Demokratie? Dazu eine Pandemie, in der zwar viel über sie, aber kaum mit ihnen geredet wurde.

"Vor allem die jungen Menschen verlieren das Vertrauen in die Politik", sagt dazu Demokratieberaterin Tamara Ehs, die Workshops für politische Bildung an Schulen anbietet. Der vom Institut Sora verantwortete und in der Vorwoche präsentierte "Demokratiemonitor" sieht das Vertrauen in das politische System Österreichs generell auf dem tiefsten Punkt seit Erhebungsbeginn 2018. Derzeit sind demnach 58 Prozent der Befragten davon überzeugt, dass es weniger oder gar nicht gut funktioniert. Vier Bevölkerungsgruppen stechen dabei besonders hervor: Eltern von Kindergarten- und Schulkindern, Personen in systemrelevanten Berufen, Arbeitslose - und junge Menschen.

Die Rechnung ist denkbar einfach: Je stärker das Gefühl ist, die eigenen Lebensumstände würden nicht berücksichtigt werden, desto geringer ist das Vertrauen in die Politik. Dazu komme, dass die psychische Gesundheit eine wesentliche Voraussetzung für die politische Beteiligung sei, sagt Ehs im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" - und diese sei gerade jetzt bei jungen Menschen labil. Vor allem Lehrlinge, die aufgrund der Pandemie nicht arbeiten gehen konnten, ihre Lehrstelle womöglich verloren haben, wenig Geld und kaum soziale Kontakte haben, verlieren ihr Vertrauen in das System an sich - und zwar langfristig.

Pandemie und politische Affären bewirken dabei Unterschiedliches. "Ist man persönlich betroffen, so ist dieses Vertrauen langfristig weg", sagt Ehs. "Bei politische Affären wie Ibiza oder der Inseratenaffäre ist es nur anlassbezogen geschädigt."

Die politische Bildung leidet unter der Pandemie

Dass sich diese Ursachen derzeit zum Teil überschneiden, macht es nicht besser. Dazu kommt laut Ehs, dass Information, wie das politische System funktioniert oder wie man sich selbst als junger Mensch einbringen kann, durch Fernunterricht und die Herausforderungen der Pandemie meist wegfielen. Denn: "Die externen Angebote politischer Bildung waren die ersten, die mit Beginn der Pandemie gestrichen wurden."

Gerade die Jungen verlangten aber nach Information. Als man das Wahlalter in Österreich 2007 auf 16 Jahre senkte, sei das politische Interesse noch einmal gestiegen. "Deren Informationsbedürfnis ist enorm. Jede Studie in diese Richtung zeigt, dass sie das Gefühl haben, nicht genug gelernt zu haben", sagt Ehs. Spricht man nun jedoch innerhalb der Familie auch nicht über Politik, wissen sie oft nicht einmal über ihr Recht Bescheid, etwa Petitionen zu unterschreiben. Vereins- oder Jugendtreffen gestalteten sich ebenfalls schwierig. "Sie werden also auf ihr Elternhaus zurückgeworfen", so Ehs.

Diese politische Ohnmacht, die sie erfahren, mache sie aber nicht verdrossen, sagt dazu die Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle. Ganz im Gegenteil. Letztendlich werde sich diese in Aufbegehren zusammenballen. "Die jungen Menschen sind vielleicht zunehmend skeptisch gegenüber institutionalisierten Formen, und die Politik einer bestimmten Partei ist weniger interessant", sagt Stainer-Hämmerle. Dass der Anteil der Stammwähler schrumpft, zeichne sich generell seit mehr als 20 Jahren ab. Nur etwa 10 bis 14 Prozent der Jugendlichen sind in Parteien engagiert. Geht es aber um ein Thema, um die Sache an sich, wie Klimaschutz oder Integration, "ist ihnen die Wichtigkeit einer Wahl bewusst".

Fridays for Future zum Beispiel habe ihnen deutlich gezeigt, dass Engagement Erfolg haben kann. Die globale Bewegung für die Umsetzung von Klimaschutz-Maßnahmen, im Zuge derer Schüler und Studierende jeden Freitag demonstrierten, nahm 2019 ihren Anfang. Aus der Nationalratswahl, die im Herbst 2019 in Folge der Ibiza-Affäre stattfand, ging die türkis-grüne Koalition hervor - eine Koalition, die laut Ehs mehr als frühere Koalitionen die Wähler unter 30 Jahren repräsentiert. Denn jeweils 27 Prozent dieser Altersgruppe haben damals ÖVP beziehungsweise die Grünen gewählt.

Im ehemaligen ÖVP-Chef Kurz sieht Stainer-Hämmerle dennoch weniger das typische Role Model der jungen Generation schlechthin. "Er war eher der Schwiegermuttertyp", meint sie. Tatsächlich stimmten bei der Nationalratswahl 2019 rund 43 Prozent der über 60-Jährigen für die ÖVP. Die Grünen wählten nur 5 Prozent dieser Altersgruppe.

Gerade jetzt auf die jungen Menschen zugehen

Die Wahlbeteiligung lag damals bei 75,59 Prozent. Fänden aktuell Neuwahlen statt, wäre sie höher, denkt Stainer-Hämmerle. "Wenn die Polarisierung wie zum Beispiel im Moment auch durch das Thema Impfpflicht steigt, steigt auch die Wahlbeteiligung", sagt sie. Die geringste Beteiligung beobachte man bei Wahlen mit hoher, allgemeiner Zufriedenheit.

"Gerade jetzt liegt es an den politischen Parteien, auf die jungen Menschen zuzugehen", resümiert Martina Zandonella, Studienautorin des "Demokratiemonitors" von Sora. Nachdem man die Jungen übergangen habe, sei es die Aufgabe der Politik, sie zu motivieren, mitzumachen - und deren Chance.