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"Österreich-Krankheit" geheime Packelei

Von Karl Ettinger

Politik

Sideletter zum Koalitionspakt bringt Postenvergaben in schiefes Licht. Handicap Koglers bei Grünen-Kongress im April.


Das hat die grüne Parteispitze um Vizekanzler Werner Kogler so gebraucht wie einen Kropf. Während sich die Grünen in der Bundesregierung weiter mit hohen Corona-Zahlen herumschlagen müssen und erst am Samstag Lockerungen der Einschränkungen ab 5. Februar in Aussicht stellen konnten, wurde Unangenehmes publik. Nicht nur die türkis-blaue Bundesregierung hat Nebenabsprachen zur Aufteilung der Macht und konkrete Personalbesetzungen in einem zunächst geheim gehaltenen Schriftstück zur Koalitionsarbeit paktiert, auch die Grünen haben in einem "Sideletter" Postenbesetzungen besiegelt. Nicht nur das, sondern auch die im November 2020 tatsächlich erfolgte Abschaffung der umstrittenen Hacklerfrühpension im Abtausch zu Personalzusagen wurde in diesem festgeschrieben.

Am Montag waren allerdings Vertreter von Grünen von Niederösterreich bis in den Westen um Beruhigung bemüht. So verteidigte Vorarlbergs Vizelandeshauptmann Johannes Rauch, der im Ländle in einer Koalition mit der ÖVP ist, in den "Salzburger Nachrichten" den geheimen Zusatzpakt mit dem "Ausmaß an Skrupellosigkeit", das die Volkspartei unter Ex-Obmann Sebastian Kurz gezeigt habe.

Grüner Bundeskongress muss Koalitionspakt absegnen

Türkis-Grün hat in der zwei Jahre geheim gebliebenen Vereinbarung etwa fixiert, dass die Grünen den Nachfolger von Ex-FPÖ-Obmann Norbert Steger als Chef des ORF-Stiftungsrates zugestanden erhalten. Im Gegenzug hat die ÖVP ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen und die Abschaffung der Hacklerregelung verankern lassen. Das sorgt bei den Grünen jetzt intern für Aufruhr, weil laut Statut nur der offizielle Koalitionspakt mit der Kurz-ÖVP abgesegnet wurde. Geheime Inhalte aber nicht.

Wiens Ex-Vizebürgermeisterin Birgit Hebein, grüne Chefverhandlerin im Sozialbereich, betonte, davon nichts gewusst zu haben. Bei einer Partei, die seit ihrem Parlamentseinzug 1986 stets Transparenz bei politischen Entscheidungen und Basisdemokratie gepredigt hat, wiegt das umso schwerer. Kogler hat in der ORF-Sendung "Im Zentrum" das Kopftuchverbot als "Nullum" eingestuft, weil es nicht umgesetzt werde. Bei der Hacklerregelung sei das Ergebnis mit dem Ersatz durch den Frühstarterbonus, von dem Frauen ebenso profitieren, gut. Die interne Bewährungsprobe für Kogler, der nicht zum ersten Mal mit Gegenwind wegen des Entgegenkommens gegenüber der ÖVP konfrontiert ist, steht erst bevor. Ende April steht die Wiederwahl beim Bundeskongress an.

Für Laurenz Ennser-Jedenastik vom Institut für Staatswissenschaft an der Universität Wien sind speziell jene Teile der publik gewordenen Sideletter "problematisch", wo ein politischer Einfluss festgeschrieben werde, in denen ein solcher nicht gegeben sein sollte. Das reicht beim ORF bis tief in die Organisation hinein, betreffe Postenbesetzungen, bei denen vom Gesetz her Ausschreibungen vorgesehen sind - Beispiel Verstaatlichten-Holding Öbag - bis zum "Unterlaufen" sonstiger Verfahren, etwa bei Besetzungen im Verfassungsgerichtshof. Dort haben ÖVP und FPÖ in ihrem Nebenpapier sogar die Namen der zu bestellenden Personen paktiert. "Da fragt man sich, was hat das in einem Koalitionsabkommen zu suchen", erklärt dazu Ennser-Jedenastik der "Wiener Zeitung": "Das ist das Hauptproblem."

Zugleich differenziert er bei Postenbesetzungen. Bei Aufsichtsratsmitgliedern in staatsnahen Unternehmen falle das unter Mitwirkungsrechte als Eigentümer. "Das ist Aufgabe von Ministerien und Ministern." Ebenso sei klar, dass die Parteien die Entscheidung über einen künftigen EU-Kommissar treffen.

Allerdings waren Postenaufteilungen schon zu Zeiten der großen Koalitionen von ÖVP und SPÖ von 1945 bis 1966 gang und gäbe. Er sehe es als "problematisch", dass der Staatseinfluss so weit gehe, meint Ennser--Jedenastik, "weil das eine österreichische Krankheit widerspiegelt".

Die Politikwissenschafterin Katrin Praprotnik von der Donau-Universität Krems verweist darauf, dass die Regierungsparteien erst ab 1953 auf Drängen der Presse den Koalitionsvertrag vorlegen mussten. Jetzt habe man aber den Sideletter erstmals gelesen. "Dass es schwarz auf weiß vorliegt, hat schon eine neue Qualität", betont sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Würden Postenbesetzungen im Voraus vereinbart, sei das "eine Frotzelei" für andere Bewerber: "Da wird eine Ausschreibung ad absurdum geführt."

"Sündenfall" der FPÖ schon in der Regierung mit Schüssel

Dennoch trifft die Debatte um geheime Packelei ÖVP, FPÖ und Grüne nach Einschätzung der beiden Wissenschafter unterschiedlich. Es sei innerhalb der Grünen "wesentlich schwieriger" zu erklären, wenn dem Bundeskongress inhaltliche Punkte offensichtlich vorenthalten wurden, analysiert Praprotnik. Ähnlich bewertet das Ennser-Jedenastik: Die Grünen hätten "schon ein Problem", weil statutarisch verankert sei, dass der Bundeskongress über ein Koalitionsabkommen abstimmt. "Ich frage mich, wer in der ÖVP sollte aufstehen und sagen: ,Das passt so nicht.‘" Bei ÖVP-Mitgliedern gebe es nicht "diese Form einer gegenüber der Parteispitze kritischen Basis".

Was das Festschreiben der Postenaufteilung in einem Sideletter der türkis-blauen Bundesregierung 2017 betrifft, so konstatiert er: "Der große Sündenfall der FPÖ ist schon in den frühen 2000er-Jahren passiert." Für viele seien in Wahlkämpfen davor die Angriffe auf die Parteibuchwirtschaft von SPÖ und ÖVP Triebfeder gewesen. Schon während der Schüssel-Regierung habe sich bei Postenvergaben dann aber herausgestellt, dass die FPÖ "mitgespielt" habe.