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Neun von zehn fehlt Geld für Kleidung, Essen und Wohnen

Von Martina Madner

Politik
Mit der Kindergrundsicherung finanzieren die Eltern den Kindern warme Kleidung.
© Michael Janek

Trotz Kindergrundsicherung belastet die Teuerung von Armut betroffene Familien enorm.


Es ist die "Stromnachzahlung, die heuer besonders hoch ausfällt", erzählt eine Alleinerziehende dreier Kinder in der Volkshilfe-Befragung. Es sind Lebensmittel: "Sonst gäbe es am Monatsende nur noch Butternudeln", sagt eine weitere Mutter. Es ist die Therapie für ihre Tochter, dank derer sie sich nun ein wenig öffne: "Zuerst wollte sie nicht, dass wir Eltern ihre Sorgen mitbekommen."

Ein Weihnachtsbaum, Waschmaschine und Herd, Wohnen - für solche grundlegenden Dinge benötigen die Eltern das zusätzliche Geld, das sie über eine Kindergrundsicherung erhalten. Über das Sozialministerium finanziert werden die Familien von insgesamt 1.253 Kindern, davon 627 Mädchen und 626 Burschen, ein Jahr lang von Sozialarbeit begleitet. Sie erhalten außerdem ein Jahr lang jeweils 100 Euro monatlich pro Kind, "nicht um "Almosen zu verteilen", erklärt Volkshilfedirektor Erich Fenninger einmal mehr - die "Wiener Zeitung" berichtete bereits über das Projekt Kindergrundsicherung -, sondern "um genau dort zu unterstützen, wo man an der Situation etwas ändern kann".

"Wir sehen klar, dass Armutsbetroffenen von dieser zusätzlichen Unterstützung kein Plus bleibt, sondern dass sie damit die Existenz absichern müssen", sagt Fenninger. Die Eltern finanzieren ihren Kindern grundlegende Dinge.

Kinder erhalten von dem Geld warme Kleidung

Neun von zehn der im Dezember und Jänner von der Volkshilfe Befragten fehlt das Geld für Kleidung, Essen und Wohnen. Mehr als die Hälfte der Familien, konkret 54 Prozent, kaufe mit der zusätzlichen finanziellen Unterstützung Kleidung für ihre Kinder. Jede dritte Familie, genau 33 Prozent, müsse damit die Ausgaben für Lebensmittel abdecken, besonders am Monatsende werde das Geld knapp. Und ein Viertel der Familien, 24 Prozent, bestreitet davon einen Teil der Wohnkosten.

Eine durchschnittliche Familie gibt 19 Prozent des verfügbaren Geldes für Wohn-, Heiz- und Energiekosten aus, in armutsbetroffenen Familien ist der Anteil mit einem Drittel weit höher. "Der Preisanstieg bei Lebensmittel- und Energiekosten, wird diese Lage weiter verschärfen." Laut aktueller Schnellschätzung der Statistik Austria zogen die Preise im Jänner gegenüber dem Vergleichmonat im Vorjahr um 5,1 Prozent an. Sofern es so eintritt, wäre das der höchste Wert seit 1984.

Die detaillierte Auswertung der Inflation im Dezember, wo sie noch bei 4,3 Prozent lag, zeigt, dass Ausgaben für Verkehr und Wohnen für drei Fünftel der Teuerung insgesamt verantwortlich waren. Die Strompreise stiegen um 12,4 Prozent, die Gaspreise um 27,8 Prozent und Heizölpreise waren sogar um 44,3 Prozent höher als im Jahr davor.

Die Regierung hat angekündigt, insgesamt 600 Millionen Euro in die Hand zu nehmen, um alle Haushalte, die ein geringeres Einkommen als die Höchstbetragsgrundlage haben, also 5.670 Euro brutto monatlich, mit jeweils 150 Euro von den Energiekosten zu entlasten. Für Arbeitslose und von hohen Energiekosten besonders betroffene Menschen wird der Betrag auf 300 Euro verdoppelt.

"Armutsfeste" Existenzgrundlagen

Der geplante Energie- und Heizkostenausgleich weise zwar laut Fenninger "in die richtige Richtung". Er sagt aber auch: "Wir würden empfehlen, dass es diese Leistung nicht einmalig, sondern für von Armut betroffene Familien pro Monat kommt, solange die Teuerung so hoch ist." Die Armutsgefährdungsschwelle lag 2020 bei einem Alleinerziehendenhaushalt mit einem Kindbei 1.726 Euro monatlich, was einem Einkommen von 1.479 Euro netto entspricht, bei zwei Erwachsenen und zwei Kindern bei 2.788 Euro monatlich, was 2.390 Euro Nettoeinkommen 14 Mal pro Jahr für den gesamten Haushalt ausmachen würde.

Um die Situation "nachhaltig" zu verbessern, liefert Fenninger eine Latte an politischen Forderungen: Sie reicht von der Erhöhung des Arbeitslosengeldes, wofür es auch ein Volksbegehren gibt, bis hin zum Ausbau kostenfreier Kinderbetreuung und Ganztagsschulen mit kostenlosem "warmen, gesundheitsfördernden Mittagessen". Da 43 Prozent in der Umfrage von einer psychosozialen Belastung durch die Pandemie berichten, sollten laut Volkshilfe auch kostenfreie Therapieangebote für Kinder und Jugendliche ohne Wartezeiten ausgebaut werden.

Die Milliarde Euro für die Impflotterie sei ein "falscher, fehlgeleiteter Einsatz von Steuermittel", sagt Fenninger: "Wenn man diese Summe hernimmt und in die Familien investiert, hätten wir all diese Probleme nicht mehr in einem Jahr." Er hofft auf eine Kindergrundsicherung für alle. Die rot-gelb-grüne Koalition in Deutschland habe sie im Programm geplant, in Österreich hätte man "morgen im Nationalrat vermutlich noch keine Mehrheit", aber: "Die Befunde sind so klar. Wenn man evidenzbasiert handelt, wird man sich dieser Forderung nicht entziehen können."