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Huschpfusch in Serie

Von Bernhard Baumgartner, Simon Rosner und Karl Ettinger

Politik

Die eilig beschlossene Impflotterie dürfte scheitern. Es ist nicht die erste Panne in dieser Pandemie. Eine Analyse.


Am Donnerstagabend wurde die Impfpflicht im Bundesrat beschlossen und am Freitag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen beurkundet. Sie tritt am Samstag in Kraft, vorerst aber noch ohne Konsequenzen für Ungeimpfte. Ebenfalls am Donnerstag wurde per Entschließung die Impflotterie als begleitende Maßnahme eingebracht, um "positive Anreize" zu setzen. Sie war ein Zugeständnis an die SPÖ für deren Zustimmung zum Impfpflicht-Gesetz. Nun droht die Lotterie aber zu scheitern, zumindest dürfte sie um einige Monate verschoben werden. Das bestätigte auch das Bundeskanzleramt am Freitag.

Entscheidender Punkt für das drohende Scheitern ist demnach die Umsetzung durch den ORF. Dieser sollte gemeinsam mit Medienpartnern die Abwicklung übernehmen, weil er bereits Erfahrungen mit einer solchen Lotterie gemacht hat. Wie aus dem ORF zu hören ist, soll der jetzige ORF-Abteilungsleiter und ehemalige Grünen-Funktionär Pius Strobl mit dem Gesundheitsministerium die Abwicklung besprochen haben. Die ORF-Spitze erfuhr von dieser Abmachung, wie man hört, jedoch erst vor der Pressekonferenz der Regierung.

Unmittelbar danach tauchten rechtliche und logistische Probleme auf. Grund ist die völlig andere Dimension: Eine Verlosung von 1.000 Sachpreisen, wie bei der ersten Lotterie, sei leichter zu organisieren als eine Lotterie unter mehreren Millionen Geimpften, bei der jede zehnte Impfung 500 Euro wert ist und daher mehrere hunderttausend Gewinne abgewickelt werden müssten. Der ORF habe weder die nötigen Daten noch die Manpower für die Abwicklung, wie sich bei näherer Prüfung herausstellte. Schwierig ist das vor allem auch deswegen, weil datenschutzrechtliche Bestimmungen berücksichtigt werden müssen. Für die Organisation durch andere Partner wäre eine EU-weite Ausschreibung notwendig, was in der kurzen Zeit bis 15. März nicht möglich ist.

Die Impflotterie wird zumindest verschoben, vielleicht fällt sie ganz ins Wasser. Ein Symptom vorschneller Entscheidungen.
© WZ / Kienzl

Regierung kann Versprechen an SPÖ nicht halten

Die Bundesregierung bestätigte am frühen Nachmittag die Absage des ORF. Man arbeite derzeit "an der Entwicklung rechtskonformer Alternativen, auch mit anderen möglichen Partnern", hieß es in einem Statement aus dem Bundeskanzleramt. Auch die Verschiebung um einige Monate wird als Option geprüft.

Die Zeit für die Impflotterie, die für Mitte März angekündigt wurde, ist knapp. Eine gesetzliche Grundlage muss spätestens in der Nationalratssitzung in der letzten Februarwoche geschaffen werden, ein Beschluss in einem parlamentarischen Ausschuss noch früher. Auf Ebene der Regierungsparteien, aber auch mit der SPÖ, würden nun "permanente Gespräche" laufen, heißt es. "Die Bundesregierung bekennt sich zum Vorhaben, Anreize für eine höhere Impfquote zu setzen."

Sollte die Lotterie tatsächlich scheitern, könnte die Bundesregierung einen Großteil ihrer Vereinbarung mit der SPÖ nicht mehr einhalten. SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner gab via Twitter schon einen Hinweis darauf, welchen Anreiz sich die SPÖ nun vorstellt, nämlich eine Impfprämie, "wie seit Monaten von uns gefordert", schrieb Rendi-Wagner. Eine solche Prämie - gefordert wurden im Herbst 500 Euro - "wäre [ein] wichtiger Boost für [eine] hohe Impfrate und Stärkung der Kaufkraft". Nicht in Gefahr ist übrigens der zweite Teil des geplanten Gesetzespakets für positive Impfanreize. Dabei geht es um finanzielle Prämien für jene Gemeinden, in denen es besonders hohe Impfquoten gibt.

Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Impflotterie reihen sich nun in eine schon recht lange Liste administrativer Pannen. Bei der Impfpflicht kam man einige Wochen nach ihrer Ankündigung drauf, dass die für das Impfregister zuständige Elga GmbH technisch bis Februar die technische Umsetzung nicht schafft; die Vergabe der Schultests erwies sich als rechtswidrig; der geplante flächendeckende Ausbau einer PCR-Test-Infrastruktur versandete in den Weiten des österreichischen Föderalismus; der Massentest im Winter 2020 erwies sich als Flop. Gutes Regieren sieht anders aus.

Diese letztlich gescheiterten Vorhaben eint die Kurzfristigkeit ihrer geistigen Geburt. Sie wurden allesamt entweder in Ministerkabinetten erdacht, oder, wie im Fall der Impfpflicht, bei einem nächtlichen Treffen von Kanzler, Gesundheitsminister und Landeshauptleuten beschlossen. Eine Rückkoppelung und Nachfrage mit anderen Akteuren der Verwaltung fand nicht oder nicht in ausreichender Form statt.

Dazu kommt ein Spezifikum des österreichischen Pandemiemanagements. Dieses wurde früh zu einem (partei)politischen Anliegen gemacht, das im Sommer 2021 darin gipfelte, dass nicht die Weltgesundheitsorganisation WHO, sondern der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz die Pandemie für beendet erklärte. Freilich mit dem Nachsatz: für Geimpfte. Es war Teil eines Narratives, das keiner epidemiologischen Strategie, sondern Parteitaktik folgte.

Logische Entscheidungen, widersprüchliches Ergebnis

Von dieser Festlegung weg, die auch auf Plakate gedruckt wurde, entwickelte sich die Einführung einer Impfpflicht in mehreren Schritten und prozesshaft, jedenfalls erneut nicht eingebettet in eine langfristige Strategie. Wobei die einzelnen Entscheidungen bis zum Beschluss im Nationalrat Mitte Jänner aus parteipolitischer Sicht durchaus nachvollziehbar waren. Nur war am Ende das Gesamtergebnis nicht mehr konzise.

Dass die ÖVP, die den Geimpften Normalität versprochen hatte, einem erneuten Lockdown nur zustimmen wollte, wenn es diesmal wirklich der letzte wäre, war verständlich. Und dafür braucht es eine höhere Impfquote und sei es durch eine Pflicht. Das Aufkommen von Omikron änderte dann zwar die Parameter, und es war bald klar, dass die Impfpflicht für die aktuelle Welle zu spät kommt, dennoch blieb die Regierung bei ihrem Zeitplan, obwohl auch Experten eine Verschiebung angeregt hatten. Doch in den Parlamentsklubs beider Regierungsparteien hatten sich Bedenken gemehrt. Wer weiß, ob ein Beschluss nach der Omikron-Welle überhaupt möglich gewesen wäre. Das Beharren auf Februar war daher - taktisch gesehen - durchaus nachvollziehbar.

Auch die Einbindung der Opposition (SPÖ, Neos) war es, um das umstrittene Gesetz auf parlamentarisch stabilere Beine zu stellen. Logisch dann aber auch, dass Wünsche dieser Parteien berücksichtigt wurden. Im Fall der SPÖ war das eine Impfprämie für jeden. Die gab es zwar nicht, aber dafür eine Lotterie mit hohen Gewinnchancen. Obwohl die einzelnen Schritte nachvollziehbar waren, stand am Ende ein widersprüchliches Gesamtpaket, das jedenfalls kommunikativ zur falschen Zeit kommt.

In der Vorwoche entstand nämlich ein weiterer Widerspruch durch die angekündigten Lockerungen, die quasi gleichzeitig mit der Impfpflicht in Kraft treten. Zwar zielt Letztere primär auf den Herbst ab, allerdings kehrt ab 19. Februar die 3G-Regel in der Gastronomie zurück. Das heißt, dass jene, die weiterhin und entgegen den Vorschriften eine Impfung verweigern, kostenlose Tests zur Verfügung gestellt bekommen, um ins Wirtshaus gehen zu können.

Dabei konnten die Öffnungen nun wirklich nicht überraschend kommen. Überall in Europa zeigte sich, dass die mildere Omikron-Variante in Verbindung mit der mittlerweile hohen Immunität in der Bevölkerung die Spitäler zwar be-, aber nicht überlastet. Wenn aber das Risiko eines "drohenden Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung", wie es gesetzlich formuliert ist, schwindet, ist die Bundesregierung verpflichtet, die grundrechtlich relevanten Beschränkungen aufzuheben.

Erratisches Ad-hoc-Regieren

Dieses kurzfristige Handeln ist freilich keine Eigenart der türkis-grünen Regierung. Sie scheint aber festgefahren in alten Mustern, die die Verwaltung überfordern. Es gibt mittlerweile EU-rechtliche Vorgaben, wie etwa im Vergaberecht, oder auch bürokratische oder technische Hindernisse, die einem impulsgetriebenen Ad-hoc-Regieren mitunter entgegenstehen. Gleichzeitig wurden und werden offenkundig die Pläne im Vorfeld nicht ausreichend abgeklärt bei zuständigen Stellen und Beamten.

Ein Grund dafür könnte im schwindenden Vertrauen zwischen Politik und Verwaltung zu finden sein, dass zum Beispiel Vorhaben noch in der Konzeptphase an die Öffentlichkeit sickern und damit "abgestochen" werden. Sicher ist, dass die Kabinette der Minister stärker als früher in die Erstellung solcher Konzepte eingebunden sind. Die zahlreichen Pannen könnten darauf hindeuten, dass deren administratives Wissen und Erfahrung vielleicht doch nicht ausreichend ist.

Der Politikberater Thomas Hofer sieht noch einen weiteren Aspekt: die Geschwindigkeit. Einerseits gab und gibt das Virus mitunter das Tempo vor, andererseits lasse sich die Politik auch durch den schnellen Nachrichtenfluss und Umfragen unter Druck setzen. "Die Beschleunigung trägt dazu bei, dass sehr schnell gedacht wird, dann kommen aber halbgare Sachen heraus, die erratisch sind und auch angreifbar ", sagt Hofer.