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Ukraine-Krise trifft Österreich unvorbereitet

Von Daniel Bischof

Politik

Auf die Gefahren des Ukraine-Russland-Konflikts ist Österreich strukturell schlecht eingestellt.


Neue Flüchtlingswellen. Engpässe bei der Energieversorgung. Hackerattacken auf die kritische Infrastruktur. Der eskalierende Ukraine-Russland-Konflikt birgt zahlreiche Bedrohungen für Österreich. Derzeit sei die Lage ruhig und sicher, sagte Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Dienstag. Mit der drohenden Verschärfung des Konflikts wird es aber immer wahrscheinlicher, dass sich diese Gefahren verwirklichen.

Das Risikobild 2030 des österreichischen Bundesheeres hat noch vor der jüngsten Eskalation eine Zunahme hybrider Aktivitäten Russlands innerhalb der EU und ihrer Mitgliedstaaten prognostiziert. Darunter vermehrte Cyber-Angriffe und Einflussnahmen auf "demokratische Willensbildungsprozesse im Westen". Nehammer verwies auf den Hackerangriff auf das Außenministerium zu Jahresbeginn 2020, bei dem der Angreifer über das Außenministerium vertrauliche EU-Dokumente absaugen wollte. Die Spuren dazu hätten sich "in der Russischen Föderation" verlaufen, so der Bundeskanzler.

Nicht nur weitere Hackerattacken und Flüchtlingsströme aus der Ukraine drohen. In informierten Kreisen des Staatsdienstes wird gegenüber der "Wiener Zeitung" auch befürchtet, dass Russland seinen gestiegenen Einfluss am Westbalkan und in Afrika und Asien nützen könnte, um von dort neue Migrationsströme nach Europa zu lenken und die Mitgliedstaaten damit zu überfordern.

"Man war bloß reaktiv tätig"

Ob Österreich all den Risiken gewachsen ist, kann bezweifelt werden. Die Krisen der vergangenen Jahre haben eklatante Strukturschwächen offenbart. Obwohl die Flüchtlingskrise 2015 vorhersehbar gewesen sei, habe sie Österreichs Politik völlig überrascht, sagt Verwaltungsexperte Wolfgang Gratz zur "Wiener Zeitung": "Man war bloß reaktiv tätig. Vom Anfang bis zum Ende ist man aus dem bloßen Reagieren nicht herausgekommen."

Die gleichen Muster würden sich bei der Bewältigung der Pandemie zeigen, sagt Gratz. "Es ist sichtbar geworden, dass die Politik nicht mit ruhiger Hand strategisch steuert, sondern in die Verwaltung situativ hineingreift." Die Konsequenzen wurden zuletzt überdeutlich: Seit Monaten wird um die Einführung und Umsetzung der Impfpflicht gestritten. Ein maßgeblicher Akteur wie die elektronische Gesundheitsakte Elga, welche für die technische Umsetzung zuständig ist, wurde im Vorfeld offenbar nicht eingebunden. Die groß angekündigte Impflotterie wurde wieder abgeblasen. Auch die Abwicklung des Gutscheins für den Energiekostenausgleich wird zur Groteske.

Die gesamtstaatliche Corona-Krisenkoordination Gecko habe "nicht dazu geführt, dass das Krisenmanagement neu aufgestellt wurde", sagt Gratz. "Stattdessen hat man über die Überzahl an Gremien, die es schon gibt, ein weiteres übergestülpt." Er wäre sehr überrascht, wenn das Management in der Ukraine-Krise bedeutend besser laufen würde, so der Verwaltungsexperte.

Das Kernproblem sei, dass die Politik versuche, "ultrakomplexe Krisen", welche in die verschiedensten Bereiche ausstrahlen, wie "ein Hochwasser oder einen Tunnelbrand" zu managen, sagt Gratz. Österreich wähle damit einen falschen Ansatz.

"Wenn ein Bergsteiger bei einem Berg eine neue Wand erschließen will, versucht er nicht, einfach unten einzusteigen. Er schaut auf den Gipfel und versucht, vom Gipfel herunter eine Linie für den Einstieg zu finden", sagt er. Eine solche "Planung vom Ende her" vorzunehmen: "Das ist bei uns ziemlich unterentwickelt."

Keine Strategien vorhanden

Mit seiner Kritik steht der Verwaltungsexperte nicht alleine da. Das Risikobild 2030 führt die mangelnde "strategische Handlungsfähigkeit" Österreichs als eigenes Risiko für die heimische Sicherheit an. Diese bezieht sich "auf die Fähigkeit des Staates, in komplexen und schwierigen Krisensituationen" angemessen zu reagieren. Dazu notwendig seien unter anderem die Fähigkeiten zur "Krisenfrüherkennung, Risiko- und Folgenabschätzung, Entwicklung von Handlungsoptionen, strategischen Entscheidungsfindung und raschen Umsetzung von Strategien und Maßnahmen".

"Über dieses Instrumentarium verfügt Österreich derzeit nicht im ausreichenden Maße", so das Lagebild. "Die voraussichtlich langandauernden Folgen der Covid-19-Krise werden die strategische Handlungsfähigkeit zudem beeinträchtigen." Im Falle einer Kombination mehrerer Risiken oder des raschen Eintretens eines großen Risikos könne das "verheerende Folgen für Österreich haben". Der Staat sei gefordert, "sich zukünftig für mehrere, auch gleichzeitig auftretende Krisen zu rüsten".

Dafür müsse die Politik ein Steuerungsmodell für die Verwaltung einführen, sagt Gratz. "Sie muss strategische Ziele vorgeben. Die Experten müssen dazu Szenarien entwickeln, anschließend entscheidet die Politik." Solche Ziele würden die Ministerkabinette aber nicht vorgeben: "Die steigen stattdessen ins Operative hinein und entscheiden, wer in welchem Amt Leiter wird. Das beherrschen sie perfekt. Für das Strategische sind aber keine Ressourcen da."

Skepsis gegenüber neuem Gesetz

Umgelegt auf die Ukraine-Russland-Krise müsse Österreich ein Steuerungsgremium beauftragen, sagt Gratz: "Das muss ein Projekt-Portfolio mit entsprechenden Projektaufträgen erstellen: Welche Folgen hat die Krise für den Asyl- und Energiesektor und den Kapitalmarkt? Es müssen verschiedene Szenarien durchgespielt werden, und für jedes Szenario müssen zumindest Grundsätze für die Bewältigung formuliert werden." Diese Einschätzungen der Experten müssten in das Krisenmanagement der Politik zurückgespielt werden.

Ob das am Wochenende eingerichtete Krisenkabinett zum Ukraine-Russland-Konflikt in Österreich diesen Anspruch erfüllt, wird sich zeigen. Es besteht aus Vertretern aller Ministerien, die unmittelbar von dem Konflikt betroffen sind. Daneben arbeitet Türkis-Grün an einem Krisensicherheitsgesetz, das eine Verrechtlichung des Krisenmanagements bringen soll. Im Bundeskanzleramt wird der Posten eines Regierungskoordinators geschaffen. Geplant ist auch ein Krisenzentrum im Innenministerium.

Kritiker aus dem Staatsdienst bringen vor, dass das Gesetz erneut nur reaktive Ansätze im Fokus habe und nicht auf langfristiges strategisches Denken abziele. Auch Gratz ist skeptisch: "Es gibt in der Politik und in der Verwaltung das tief verwurzelte Muster: Wenn man was normativ regelt, ist das Problem bewältigt. Die praktische Durchsetzung wird dabei nicht überlegt."