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"Im Krieg gibt es immer nur Verlierer"

Von Simon Rosner

Politik

Kanzler und Vizekanzler sprachen im Parlament – Rückhalt für Sanktionen bei anderen Parteien, nur FPÖ schert aus.


Als sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ein zweites Mal im Parlament von der Regierungsbank aus meldete, rückte der Krieg in der Ukraine und dessen Schrecken noch ein wenig näher. Er habe, sagte Nehammer, gerade mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniert. "Er hat das Gespräch damit begonnen, dass er sich aus einem Land meldet, der Ukraine, bei dem er nicht mehr weiß, wie lange es noch existiert, und er nicht weiß, wie lange er noch lebt." Nehammer berichtete über Angriffe auf zivile Infrastruktur, über Opfer. Man müsse sich bewusst sein, "dass das Land, die Ukraine, die Regierung, die Menschen um ihr Überleben kämpfen". Den Worten folgte für einige Sekunde: Stille.

Kanzler und Vizekanzler hatten sich zuvor in einer Regierungserklärung an den Nationalrat gewendet. Die Positionen waren dabei wenig unverändert zu den Vortagen: die Verurteilung der kriegerischen Invasion, das Bekenntnis zu härteren Sanktionen und einem geeinten Vorgehen auf europäischer Ebene sowie die Klarstellung, warum eben dieses Vorgehen mit der österreichischen Neutralität vereinbar ist.

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Eher unerwartet war, wie klar und deutlich Nehammer, sowie auch danach Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), bekundeten, dass sich Österreich bei der Aufnahme von Flüchtlingen solidarisch zeigen werde. "Die Ukraine ist ein europäisches Land", sagte Nehammer, und es sei immer die Linie Österreichs gewesen, dass "Nachbarschaftshilfe selbstverständlich ist und Menschlichkeit in den Vordergrund zu treten hat". Explizit erwähnte er dabei die Rolle Österreich bei der Ungarn-Krise 1956, jener in der Tschechoslowakei 1968 sowie während der Jugoslawienkriege.

Die Reden der türkis-grünen Regierungsspitze entsprachen trotz der klaren Verurteilung nicht jener eindimensionalen Rhetorik, die FPÖ-Klubchef Herbert Kickl danach der Regierung zum Vorwurf machte. Nehammer ging etwa gleich zu Beginn auf die enge historische Verbundenheit Österreichs mit Russland ein. "Russland ist ein Land mit großer Geschichte, dem wir auch zu verdanken haben, dass wir vom Naziterror befreit wurden. Russische Soldaten sind für die österreichische Demokratie gefallen", sagte der Kanzler. Und Kogler betonte, dass "man schon auch die andere Seite" sehen müsse. "Die Nato ist auch nicht immer sensibel vorgegangen, das sollte nicht unerwähnt bleiben."

Kanzler Karl Nehammer: "Für uns gilt die Stärke des Rechts, nicht das Recht des Stärkeren. Das ist für Österreich immens wichtig. Das Völkerrecht ist für uns essenziell. Es ist das Fundament der Gründung der Zweiten Republik. Wir stehen vor einer Entwicklung, die wir nicht für möglich gehalten haben. Wir sind nicht in der Lage, aus der Geschichte zu lernen. Die europäische Geschichte ist mit Blut geschrieben, aber Jahrzehnte hat es Frieden auf europäischem Boden gegeben. Heute erleben wir wieder Politik in Verbindung mit Gewalt. Aber eines zeigt die Geschichte, auch Europas: Im Krieg gibt es immer nur Verlierer."

Vizekanzler Werner Kogler: "Der 24. Februar wird die Geschichte Europas verändern. Es ist kein guter Tag. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat keine Rechtfertigung. Der russische Staatspräsident hat in einer seltsamen, geschichtsfälschenden Theatralik in seinen Reden die Friedensordnung Europas in Frage gestellt. Wenn es jetzt heißt, dass Russland aus Eigenschutz die Ukraine einem Angriffskrieg aussetzt, weil dort Atomwaffen entwickelt werden könnten, dann muss man dies zurückweisen als eine Rhetorik mit einer 180-Grad-Verdrehung von Wahrheit und Wirklichkeit eines diktatorischen Regimes. Die Spaltung zwischen der EU und der Nato da und Russland dort, zeichnet sich schon länger ab. Aber gibt das ein Recht, einem Nachbaren die Pistole anzusetzen und auch abzudrücken? Nein!"

"Österreich braucht russisches Gas"

Aus diesen Stellungnahmen abgeleitet, erklärten Nehammer und Kogler ihre Bereitschaft zu Sanktionen und dass sich diese auch mit der Neutralität Österreichs vereinbaren lassen. Diese sei, so der Kanzler, "immer eine militärische gewesen", nicht aber eine solche, "dass wir uns hinter ihr verstecken und keine Meinung haben sollen". Kogler erklärte, Neutralität habe viele Facetten, "eine aktive Neutralität muss auch eine engagierte sein". Eine Rolle als Brückenbauer und Vermittler stünde der Positionierung Österreichs nicht entgegen.

Der Kanzler ging in seiner knapp halbstündigen Rede auch auf mögliche unmittelbare Auswirkungen auf die Menschen und Betriebe in Österreich ein. Zum einen werde derzeit die Evakuierung von österreichischen Staatsbürgern aus der Ukraine vorbereitet, zur Koordinierung der unterschiedlichen Auswirkungen, und zwar auch jener der Sanktionen, gibt es seit dem Wochenende ein Krisenkabinett, um "rasch und effizient reagieren zu können", so Nehammer.

"Keine Wohnung wird kalt sein"

Von großer Bedeutung sind Gaslieferungen aus Russland. Die gesamte Europäische Union und auch Österreich sind davon stark abhängig. "Österreich braucht russisches Gas", sagte Nehammer, ergänzte aber: "Ob das für die Zukunft so schlau ist, kann man tatsächlich hinterfragen." Laut dem Kanzler macht russisches Gas in der EU 40 Prozent des gesamten Verbrauchs aus. Sollte der Gashahn tatsächlich abgedreht werden, was derzeit nicht der Fall sei, sei bis in den April eine Versorgungssicherheit gegeben, beruhigte der Kanzler. "Keine Wohnung wird kalt sein." Die EU-Kommission habe deshalb auch bereits mit den USA, mit Staaten Nordafrikas und des arabischen Raums Verhandlungen aufgenommen.

Das offizielle Österreich werde sich an den Sanktionen, die auf europäischer Ebene beschlossen werden, beteiligen, auch wenn diese für heimische Unternehmen Probleme zur Folge haben werden, sagte der Kanzler. Auf europäischer Ebene liefen derzeit deshalb Verhandlungen, um diesen Betrieben mit Kompensationszahlungen zu helfen. "Was ich auch versprechen kann, ist, dass wir alles tun werden, als Brückenbauer dem Frieden zu dienen, damit der Dialog wieder in den Vordergrund rückt, damit die Diplomaten die Bühnen der Weltpolitik wieder betreten und die Soldaten verschwinden", sagte Nehammer.

Das war auch Stoßrichtung der SPÖ. Es sei nicht hinnehmbar, wenn ein Staat Völkerrecht bricht, sagte Parteichefin Pamela Rendi-Wagner. Die Regierung müsse nun gemeinsam mit europäischen Partnern handeln und eine klare Antwort geben und weitere Sanktionen verhängen. "Sie müssen ein klares und erklärtes Ziel haben, so schnell wie möglich zu Dialog und Diplomatie zurückzukehren. Es gibt immer eine Möglichkeit des Dialogs, und es ist unsere Pflicht, auch diese kleine Möglichkeit zu nützen."

Neos wollen EU-Heer, FPÖ will keine Sanktionen

Weiter ging die Neos-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger. "Es ist geradezu naiv, zu glauben, dass es ein Zurück zu einer alten Ordnung gibt", sagte sie. Putin habe der Ukraine das Recht auf Selbstbestimmung genommen, sagte Meinl-Reisinger, die an die Maidan-Bewegung und die Annäherung an "Demokratie, Freiheit und Marktwirtschaft" erinnerte. "Das steht auf dem Spiel und ist damit ein Angriff auf die westliche Welt." Es gehe um nichts weniger als um die Sicherheit Europas, das sich auf einem Scheideweg befinde. Die Neos-Chefin verwies auf ihre Forderungen nach einer gemeinsamen Verteidigungsstruktur. "Wir treten für ein EU-Heer ein. Heute ist der Zeitpunkt, wieder darüber zu sprechen."

Der Nationalrat zeigte sich am Donnerstag sehr geeint. Bis auf die FPÖ. Parteichef Herbert Kickl sprach zwar auch von einem "Angriff von Russland" und dass eine "solche Vorgehensweise nicht zu rechtfertigen" sei, dann aber warf er der Regierung Einseitigkeit und Parteilichkeit vor. "Das halte ich für unverantwortlich." Die Teilnahme an Sanktionen sei eine Völkerrechtsverletzung, sagte Kickl, ohne dies allerdings zu argumentieren. Die bisherigen hätten keine Wirksamkeit gehabt, dafür sei Russland näher an China gerückt. Die FPÖ hatte 2016 ein Freundschaftsabkommen mit der Putin-Partei "Einiges Russland" unterzeichnet. Nach der Übernahme der Obmannschaft durch Kickl wurde der Vertrag nicht mehr verlängert, die Partei wollte eine einvernehmliche Auflösung, da sich der Vertrag wegen des Versäumens einer Frist automatisch bis 2026 verlängert hatte.

Update 15:50 Uhr mit ausführlicher Berichterstattung.