Zum Hauptinhalt springen

"In Österreich sind wir Oben ohne"

Von Daniel Bischof

Politik

Militärs fordern stärkeren Fokus des Bundesheeres auf die Landesverteidigung und mehr Geld für Ausrüstung.


Das Bundesheer wurde in den vergangenen Jahren vor allem mit der Bewältigung von Naturkatastrophen und dem Hilfseinsatz während der Corona-Pandemie assoziiert. Die militärische Landesverteidigung galt der Politik als vernachlässigbar. Nach den Plänen von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) im Sommer 2020 sollte sie auf ein Minimum reduziert werden. Es folgte ein öffentlicher Aufschrei, Tanner relativierte: Die Landesverteidigung bleibe eine Kernaufgabe, allerdings werde man andere Aufgaben daneben in den Mittelpunkt stellen.

Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine setzt europaweit ein Umdenken bei der Gewichtung der Landesverteidigung ein. In Deutschland will Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Verteidigungsausgaben erhöhen: "Ich bin in Sorge, dass wir die Bundeswehr so stark vernachlässigt haben in der Vergangenheit, dass sie ihrem Auftrag nicht voll gerecht werden kann." Zuvor hatte der deutsche Heeresinspekteur Alfons Mais den Zustand der Armee als desolat beschrieben: "Die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da."

Auch rund um Österreichs Militär wird nun vermehrt eine Trendwende gefordert. "Es ist schön und gut, wenn wir Katastrophenhilfe machen, wenn wir jetzt bei Corona helfen und an der Grenze stehen, aber das ist nicht unsere Kernaufgabe", sagte Vorarlbergs Militärkommandant Gunther Hessel gegenüber "Vorarlberg Live". Es brauche eine verstärkte Konzentration auf die Landesverteidigung und Geld für Ausrüstung.

Zustandsbericht bemängelte Investitionslücken

"In Österreich hat man sich lange in der Illusion bewegt: Wir sind in einer friedlichen Welt und alle denken so friedlich, wie wir denken. Da kann nichts passieren", sagt Brigadier Erich Cibulka, Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft, gegenüber der "Wiener Zeitung". Er fordert seit Jahren ein höheres Budget für das Bundesheer. Nun sei der Zeitpunkt gekommen, sich wieder damit zu beschäftigen.

Dabei könne auf bereits existierende Pläne zurückgegriffen werden, sagt der Brigadier. Cibulka verweist auf den Zustandsbericht von Ex-Verteidigungsminister Thomas Starlinger aus dem Jahr 2019. Der Minister hielt darin fest, "welche Investitionen bis zum Jahr 2030 notwendig sind, um wieder einen ausreichenden Schutz" der Bevölkerung durch das Bundesheer vor Bedrohungen sicherzustellen. Als Beispiele wurden unter anderem hybride Bedrohungen wie Hackerangriffe, Terroranschläge oder ein Blackout genannt.

"Der Maßstab war dabei auch nicht, dass wir in der Lage sind, einen konventionellen Angriff auf Österreich verteidigen zu können. Das wurde als sowieso nicht realistisch eingeschätzt", sagt Cibulka. "Es ging darum, dass Österreich dann in der Lage ist, sogenannte Schutzoperationen bewältigen zu können."

"Kein Szenario von Wahnsinnigen"

Das wäre etwa der Fall, wenn ein Nachbarland Österreichs in einen Krieg verwickelt ist und Gefechte nahe an die heimische Grenze rücken. Das Bundesheer wäre dann fähig, mit Soldaten und schwerem Gerät die Grenze zu sichern und effektiv den Luftraum vor Eindringlingen schützen zu können. "Österreich könnte das vollbringen, was etwa dem Grenzeinsatz 1991 während des Jugoslawien-Krieges entsprochen hat." Es gehe also "nicht um ein Szenario, wo man sagen kann: ,Um Gottes Willen: Was sind das für Wahnsinnige, die das entworfen haben?‘", sagt Cibulka.

Eine solche Schutzoperation sei derzeit nicht bewältigbar, so der Brigadier. Nicht nur würden schwere Geschütze und andere Waffen fehlen: "In Österreich sind wir Oben ohne. Wir haben keine aktive Luftabwehr, wir haben bestenfalls eine Luftraumüberwachung." Das Bundesheer könne feststellen, wenn jemand unzulässigerweise in den Luftraum eindringe. Bei dieser passiven Komponente sei Österreich gut aufgestellt, so Cibulka.

"Darauf folgt aber die aktive Komponente - Jets müssen dorthin fliegen und den Eindringling zum Wegfliegen zwingen oder bei einer Weigerung abschießen können." Österreich habe zwar 15 Eurofighter: "Aber die sind weitgehend unbewaffnet, nicht selbstschutzfähig und nicht nachtkampftauglich. Damit ist das ein bisschen ein Hohn." Kompensiert werden könnte das teilweise durch Luftabwehrraketen. "Da haben wir zwar die Mistral-Raketen. Aber die sind in die Jahre gekommen und müssen ausgeschieden werden", sagt Cibulka. Die Suche nach einem Ersatz dafür gestalte sich bisher als äußerst mühsam. "Damit haben wir praktisch gar nichts. Österreich verfügt, vereinfacht militärisch gesehen, in seinem Luftraum nicht über Souveränität."

Das sei in Hinblick auf die Neutralitätsdebatte entscheidend, so der Brigadier: "Wenn jemand eindringt und den Luftraum auch nur für einen unerlaubten Transport nützt: Dann können wir das dokumentieren, aber nichts dagegen unternehmen."

"Dinge rausverhandelt, um Geld zu sparen"

Oberst Michael Bauer, Sprecher des Bundesheers, weist diese Kritik als überzogen zurück: "Dass wir keine Abwehr haben, kann so radikal nicht gesagt werden." Bei seinem Eurofighter-Vergleich habe Ex-Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) nun "einmal Dinge rausverhandelt, um Geld zu sparen". "Normalerweise haben militärische Flugzeuge für den Nachteinsatz Sensoren, damit sie nicht zum eindringenden Flugzeug hinfliegen müssen, um dieses zu identifizieren. Das hat der Eurofighter nicht. Der muss direkt zum Flugzeug hinfliegen, um zu erkennen, wer das ist." Das sei natürlich "ein erheblicher Nachteil", sagt Bauer.

Der Zustandsbericht Starlingers sah eine sofortige Erhöhung des Verteidigungsbudgets auf drei Milliarden Euro und eine schrittweise Anhebung des Etats auf ein Prozent des BIP bis 2030 als essenziell an. Zusätzlich zum erhöhten Budget für den laufenden Betrieb brauche das Bundesheer 16,2 Milliarden Euro an Investitionen, um sich bei Ausrüstung, Waffen, Personal und Gerät auf den gewünschten Ist-Zustand zu bringen.

Die von Starlinger geforderten 16 Milliarden Euro seien "nicht realistisch" und die dort geschilderten Bedrohungsszenarien übertrieben, hieß es im Jahr 2020 aus dem Ressort von Verteidigungsministerin Tanner.

Im Jahr 2020 betrug der Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP 0,671 Prozent, 2021 waren es 0,661 Prozent. Für 2022 beträgt das Verteidigungsbudget des Bundesheeres rund 2,7 Milliarden Euro. Das entspricht im Vergleich zum Vorjahr einer Budgeterhöhung von 40 Millionen Euro. Tanner verwies darauf, dass das Budget zum dritten Mal in Folge erhöht worden sei.

Sicherheitslage verschlechtert sich

Mit dem Krieg in der Ukraine ist eines der Risiken verwirklicht worden, welches das Risikobild 2030 des Bundesheeres als mögliche Bedrohung für Österreichs Sicherheit genannt hat - die "Wiener Zeitung" berichtete. Das von Experten des Militärs erstellte Papier geht aber auch an anderen Fronten nicht von einer Verbesserung der Sicherheitslage aus.

Es rechnet damit, dass sich die Sicherheitslage für Österreich "in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich verschlechtern" wird. Der Einsatz des Bundesheeres im Inland zur militärischen Landesverteidigung werde "im Vergleich zu den letzten beiden Jahrzehnten wahrscheinlicher". Als Beispiel wird die Cyber-Verteidigung genannt. Solche hybriden Bedrohungen wie etwa auch die Ausnützung von Migrationsströmen zur Destabilisierung der EU und Österreichs werden als zentrale Risiken für die heimische Sicherheit gesehen.