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Kanzler Nehammer in der Findungsphase

Von Daniel Bischof

Politik
In der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sei Nehammer noch unschlüssig, so Politikberater Hofer.
© / Alex Halada

Von Sebastian Kurz hat sich Karl Nehammer etwas abgesetzt, eigene Konturen lässt er noch vermissen. Eine Analyse.


Es war kein sanfter Einstieg für Karl Nehammer. Vor knapp drei Monaten übernahm der ÖVP-Politiker am 6. Dezember das Amt des Bundeskanzlers. Seitdem plagt sich die türkis-grüne Bundesregierung mit der Einführung der Impfpflicht. Neue Vorwürfe rund um ÖVP-Postenschacher und Interventionen beim Steuerakt des Unternehmers Siegfried Wolf tauchten auf. Und, all das in den Schatten stellend: Russland griff die Ukraine an.

Waren die vergangenen Tage noch ganz dem Krieg und der Reaktion darauf gewidmet, geht es für Nehammer am Mittwoch zumindest für ein paar Stunden zurück in die Innenpolitik. Im neuen U-Ausschuss zu Korruptionsvorwürfen gegen die ÖVP wird er als erste Auskunftsperson befragt. Dass dabei einiges schiefgehen kann, erlebte sein Vor-Vorgänger Sebastian Kurz. Bis heute läuft gegen den ehemaligen Bundeskanzler ein Verfahren wegen falscher Beweisaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss.

Das wird Nehammer vermeiden wollen, so wie er schon bisher versucht hat, sich von Kurz und dessen Linie teilweise abzukoppeln. Nehammer habe als Kanzler beim Stil und Auftreten der ÖVP vieles verändert, sagt der Politikberater Thomas Hofer zur "Wiener Zeitung".

Sprachliche Stilwende

Unter Kurz setzte die Volkspartei auf einen konfrontativen Stil. Damit war sie auch bei Wahlen erfolgreich. Allerdings hat er der ÖVP auch zunehmend geschadet. "Es war ein Fehler von Kurz, dass er selbst in die Arena gegangen ist und auf die Justiz geschimpft hat", sagt Hofer. Das habe dazu beigetragen, die Stimmung "unfassbar stark aufzuladen".

"Als Kanzler hat Nehammer da gegengesteuert. Es gab sprachlich eine Stilwende. Von den stark vom Marketing getriebenen Sprüchen hat man sich gelöst", sagt Hofer. Das lässt sich auch bei Nehammer beobachten. Zu Beginn der Corona-Pandemie trat dieser oft martialisch auf, er drohte "Lebensgefährdern" und sprach von der Polizei als "Flex, die die Infektionskette durchtrennt".

Nun geben sich Nehammer und die ÖVP deutlich ruhiger und konsensualer. Bei der Impfpflicht setzte die Volkspartei auf die Einbindung von SPÖ und Neos. Die von Kurz gegründete Denkfabrik "Think Austria" ließ Nehammer auflösen. Zumindest bisher ist Nehammer für die Opposition bei Weitem nicht die Reizfigur, die Kurz einmal war.

Im neuen U-Ausschuss will sich die ÖVP weit gelassener und weniger offensiv zeigen, als sie es im Ibiza-U-Ausschuss war. Auch thematisch soll der Opposition mit Reformen wie jener des Parteiengesetzes weniger Angriffsfläche geboten werden.

Diese Strategie wird derzeit allerdings durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der den Vorsitz im U-Ausschuss führt, deutlich konterkariert. Sobotka hatte am Wochenende in der Debatte um seine Vorsitzführung eine Parallele zur "Selbstausschaltung des österreichischen Parlaments" im Jahr 1933 gezogen. Den Angriff Russlands auf die Ukraine verglich er mit der Situation in Österreich 1945: Sobotka entschuldigte sich später dafür und sprach von "unpassenden Äußerungen".

Nicht nur Sobotkas historische Vergleiche sind für Nehammer und die Volkspartei ein Risiko. Neu auftauchende Chats könnten amtierende ÖVP-Politiker in die Bredouille bringen. Einerseits werden weiterhin die Nachrichten von Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid ausgewertet. Andererseits werden auch die illegal abgesaugten Chats von Ex-Innenministerium-Kabinettschef Michael Kloibmüller veröffentlicht. Die Opposition wird versuchen, im U-Ausschuss Anknüpfungspunkte zur aktuellen ÖVP-Führung zu schaffen.

Landeshauptleute erstarken wieder

Beobachten lässt sich seit dem Amtsantritt Nehammers, dass die alte ÖVP die türkise ÖVP strukturell stark verdrängt hat. Die Landeshauptleute haben wieder an Einfluss gewonnen. Kaum war die Impfpflicht im Nationalrat beschlossen, wurde das Gesetz von ÖVP-geführten Landeschefs zerpflückt, obwohl die Länder die Maßnahme im November 2021 entscheidend forciert hatten. Parteiinterne Debatten, die unter Kurz möglichst nicht nach außen dringen sollten, werden nun wieder in der Öffentlichkeit geführt.

"Die Landeshauptleute waren auch unter Kurz nie unwichtig, sie wurden eingebunden. Aber sie sind jetzt wieder stärker geworden und treten auch öffentlich wieder stärker auf", sagt Hofer. Das ist auch dem nächsten Superwahljahr 2023 geschuldet: Da finden in Niederösterreich, Kärnten, Salzburg und Tirol Landtagswahlen statt. "Wenn es der Bundes-ÖVP nicht gut geht und die kein Zugpferd mehr ist, könnten sich die Landesparteien gegen sie stellen", meint Hofer. Laut dem "Österreich-Trend" des Hajek-Instituts (800 Befragte, telefonisch und online, maximale Schwankungsbreite plus/minus 3,5 Prozent) liegt die SPÖ mit 25 Prozent vor der ÖVP, die auf nur mehr 23 Prozent kommt.

Hofer vermisst bei Nehammer bisher auch Konturen. "In der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik hat er sich bisher nicht festgelegt." Es bestehe die Furcht in der ÖVP, dass klare Festlegungen zu Reizthemen Zielgruppen verprellen könnten. Dennoch werde die ÖVP nicht umhinkommen, Nehammers Profil zu schärfen: "Das gilt gerade auch im Hinblick auf die Grünen, die in der Regierung immer selbstbewusster auftreten", sagt Hofer.

Ukraine-Krieg als Bewährungsprobe

Eine Herausforderung stellt für Nehammer nun die Bewältigung des Ukraine-Kriegs dar, der innenpolitische Themen wie den U-Ausschuss oder die Impfpflicht verdrängt. Solche Krisen lassen den Zuspruch zu den Regierenden oft steigen, da Stabilität und Einigkeit in den Vordergrund rücken. Zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 kratzte Bundeskanzler Kurz mit der ÖVP in Umfragen an der absoluten Mehrheit. Dieser Effekt ließ stark nach, das türkis-grüne Pandemiemanagement geriet in Verruf. Es offenbarten sich schwere strukturelle Mängel in Verwaltung und Politik.

Nehammer könnte sich durch ein gelungenes Krisenmanagement behaupten, schwere Fehler würden ihm hingegen alsbald auf den Kopf fallen. Zumindest hat Nehammer hier aber einen Startvorteil: Der Bundeskanzler war mehrere Jahre Berufssoldat und ist Reserveoffizier.