Unzählige Dispute um die Geschäftsordnung verhinderten, dass die Befragung von Kanzler Karl Nehammer in Gang kam.
Der erste Sitzungstag des neuen U-Ausschusses zerfloss in Verfahrensdebatten. Die Befragung von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) kam durch Dispute um die Geschäftsordnung kaum in Gang. Antworten zum Untersuchungsthema - die diversen Korruptionsvorwürfe gegen die ÖVP - waren Mangelware. In den ersten eineinhalb Stunden der Sitzung gab es gleich drei zeitraubende Stehungen, bei denen die Nationalratsabgeordneten über die Zulässigkeit von Fragen und Formalismen stritten.
Um Nebenschauplätze wurde ebenfalls ausführlich gezankt. Vertreter der Volkspartei bemängelten, dass SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer zu leise und unverständlich in das Mikrofon spreche. Dieser konterte, dass man sich bitte bei Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der für die Akustik zuständig sei, beschweren solle.
Durchgehend eine längere Zeit sprach Nehammer nur bei seiner einleitenden Stellungnahme und der Befragung durch den Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl. Der Bundeskanzler verwies gleich zu Beginn auf den Krieg in der Ukraine. Er sei in Gedanken bei denen, die derzeit unter Beschuss der russischen Armee seien, sagte Nehammer. Die vergangenen Tage hätten ihn "zutiefst bewegt". Die Ukraine sei gefühlt ein Nachbarland Österreichs. Bei den anderen Parteien bedankte er sich für "die Zusammenarbeit, die Geschlossenheit" in der Krise. Der Krieg kenne keine Parteigrenzen.
Nehammer beklagte sich zugleich, dass der Titel "ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss" einseitig von der Opposition gewählt worden sei. Es sei ihm aber wichtig, etwaige Ungereimtheiten über Parteigrenzen hinweg aufzuklären, sagte der Kanzler.
ÖVP und der Verfassungsschutz
Antworten gab Nehammer nur spärlich. In das "Projekt Ballhausplatz", bei dem der damalige Außenminister Sebastian Kurz und seine Vertrauten den weiteren Aufstieg des ÖVP-Politikers durchplanten, sei er nicht involviert gewesen, sagte Nehammer. Von der Inseratenaffäre und den Vorwürfen rund um den Steuerakt von Unternehmer Siegfried Wolf habe er aus den Medien erfahren.
Die erste große Geschäftsordnungsdebatte begann, als ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger mit seinen Fragen an Nehammer an der Reihe war. Die Volkspartei setzt in dem neuen U-Ausschuss vor allem auf ein thematisches Gegengewicht: die Vorwürfe rund um eine mutmaßliche Clique ehemaliger Verfassungsschützer, die Staatsgeheimnisse abgesaugt und verkauft haben sollen - unter anderem an Politiker der Opposition.
Welche Wahrnehmung er zu dieser Clique und den Leaks aus dem Verfassungsschutz habe, fragte Hanger den Kanzler. Krainer beschwerte sich und fragte, was das mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun habe. Es folgte eine lange Debatte, letztlich wurde die Frage für zulässig erklärt.
Von ausländischen Partnerdiensten sei signalisiert worden, dass BVT-Mitarbeiter Informationen weitergeben würden, sagte Nehammer: "Das ist einer der gravierendsten Vorwürfe, die es gibt. Undichte Stellen sind höchst gefährlich für Kooperationen." Hanger fügte hinzu, dass die Clique auch "Informationen an die FPÖ verkauft hat."
Dagegen verwehrte sich FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker. Entweder solle Hanger dafür Beweise vorlegen oder diese Aussage zurücknehmen, forderte er. Hanger antwortete, er ergänze seine vorherige Äußerung um das Wort "mutmaßlich".
"Bemühen Sie sich!"
In Formaldebatten versank der U-Ausschuss vollends ab der Befragung durch Krainer. Dieser wollte wissen, ob Nehammer während seiner Zeit als ÖVP-Generalsekretär von der Beauftragung von Umfragen für die Volkspartei gewusst habe und ob er darin involviert war. Er fragte, ob Meinungsforschungsinstitute der ÖVP Rabatte im Gegenzug für öffentliche Aufträge gegeben haben.
Vertreter der ÖVP beschwerten sich wiederholt, dass Krainers Fragen nicht vom Untersuchungsgegenstand gedeckt seien. Parteien per se könnten nicht Gegenstand der Untersuchung sein, sondern nur Vorgänge in der Vollziehung des Bundes, so die ÖVP-Argumentation. Bei der Organisation oder der Struktur von Parteien gehe es nicht um Verwaltungshandeln. Zumeist folgte Verfahrensrichter Pöschl dieser Sicht. Er erklärte, dass "Parteien grundsätzlich nicht Thema des Ausschusses sind".
Über Stunden zogen sich die Formaldebatten. Auch Nationalratspräsident und U-Ausschuss-Vorsitzender Wolfgang Sobotka (ÖVP) mischte sich dabei mehrfach ein. Als es erneut um die Zulässigkeit von Krainers Fragen ging, fuhr Sobotka den SPÖ-Politiker an: "Sie müssen es konkret machen. Das ist ja nicht so schwer, bemühen Sie sich einmal!" Hafenecker warf der ÖVP eine Blockadehaltung vor, sie versuche, Zeit zu schinden. Das wies Hanger zurück. Krainer stelle ständig Fragen, die nach der Geschäftsordnung nicht zulässig seien.
Um 16 Uhr endete Nehammers Befragung nach gut fünf Stunden . Bis dahin ging sich nur die erste Befragungsrunde aller Fraktionen aus, üblicherweise sollten es drei sein. Als zweite Auskunftsperson kam Unternehmer Alexander Schütz an die Reihe. Er wies in seiner Stellungnahme zurück, für zwei Spenden an die ÖVP eine Gegenleistung bekommen zu haben. Seine Befragung fand nach Redaktionsschluss statt.
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde um 17:00 ergänzt (letzter Absatz).