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Gedankenspiele zur Aufrüstung

Von Daniel Bischof

Politik

Alle Parteien wollen mehr Geld für das Bundesheer, Pläne liegen noch nicht vor. Wohin könnte der Weg führen?


Österreichs Politik ist sich einig: Das Bundesheer soll mehr Geld bekommen. Im Nationalen Sicherheitsrat haben sich alle Parteien zu Investitionen bekannt. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) wollte im Jahr 2020 die Landesverteidigung noch auf ein Minimum reduzieren. Diese Woche sagte sie, dass es einen "unglaublichen Nachholbedarf" bei der Ausstattung gebe.

Damit folgt Österreich der europaweiten Trendwende, die sich seit dem Ukraine-Krieg vollzogen hat. Schweden will sein Heer deutlich stärken. In Deutschland sollen noch 2022 die Militärausgaben die Höhe von mindestens zwei Prozent des BIPs erreichen. Ein 100 Milliarden Euro schwerer Sonderfonds zur Modernisierung der Armee ist vorgesehen.

Konkrete Zahlen gibt es in Österreich noch nicht. Wie hoch der Bedarf sein werde, ist laut Tanner noch unklar: "Was viel wichtiger ist, als eine einzelne Zahl zu nennen, ist, dass auch gezielt investiert wird. Das beginnt bei der Infrastruktur, geht über die Investments in den verschiedenen strategischen Bereichen, von der Cyberabwehr beginnend, bis hin zu den schweren Waffen."

Angesichts der Ukrainekrise schwenkte nun aber auch Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) auf die langjährige Forderung vieler Experten ein, Österreichs Verteidigungsausgaben auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erhöhen. Das sagte er gegenüber der "Süddeutschen Zeitung", die am Samstag mit einer neuen Österreich-Seite erscheint. Zuvor hatte dies auch die SPÖ gefordert.

Grüne warten auf Pläne

Grundsätzlich gesprächsbereit sind die Grünen. Zunächst müsse Tanner aber Pläne zur Aufrüstung vorlegen, sagt Grünen-Wehrsprecher David Stögmüller zur "Wiener Zeitung". Bisher waren die Grünen äußerst militärkritisch: Noch in deren Programm zur Nationalratswahl 2019 heißt es, das Bundesheer solle sich auf den Katastrophenschutz und internationale Friedenseinsätze fokussieren. Darüber hinaus solle es "auf das absolut notwendige Maß verkleinert werden".

Einen Bericht zu Investitionen ins Militär hat Ex-Verteidigungsminister Thomas Starlinger 2019 mit "Unser Heer 2030" vorgelegt. Der Ist-Zustand: Für 2022 beträgt der Verteidigungsetat 2,7 Milliarden Euro. Im Jahr 2020 war der Anteil der Ausgaben für das Bundesheer 0,671 Prozent des BIPs, 2021 waren es 0,661 Prozent.

Der Zustandsbericht macht zwei mögliche Ziele aus: Um eine Abwehroperation gegen einen konventionellen Gegner führen zu können, müsste sich das Budget bei zwei Prozent des BIPs belaufen. Es bräuchte eine deutlich höhere Anzahl von Truppen und enorme Investitionen in die Ausrüstung. Die Abwehr eines klassischen Angriffs steht aber nicht im Fokus des Berichts. Es werde nicht mit einer konventionellen Bedrohung gerechnet, heißt es. Weiters wird das Ziel als budgetär unrealistisch angesehen.

Maßstab Schutzoperation

Daher setzt der Bericht bei einer Schutzoperation an. Diese sei "ein flexibler und kosteneffizienter Ansatz", der die "realen budgetären Rahmenbedingungen" berücksichtige. Eine Schutzoperation ist nicht zu verwechseln mit einem Assistenzeinsatz, bei dem das Militär die Exekutive unterstützt. Es handelt sich um eine eigenständige Operation des Militärs. Sie umfasst die Fähigkeit, "alle militärischen Kapazitäten sowohl sehr rasch, räumlich und zeitlich begrenzt, als auch lange andauernd" einzusetzen.

Ein Szenario sind mehrere gleichzeitige Terroranschläge in Österreich, also eine koordinierte Attacke einer Terrorgruppe oder eines feindlichen Staates. Ein weiteres Beispiel stellen Kämpfe nahe oder an der österreichischen Grenze dar, wenn ein Nachbarland Österreichs in einen Krieg verwickelt wird. Vergleichbar wäre der Grenzeinsatz des Heeres während des Jugoslawien-Krieges.

Das Heer müsse "Präsenz zeigen und durch diese abhaltend wirken". "Patrouillen mit gepanzerten Fahrzeugen überwachen das Zwischengelände und können rasch an entstehenden Brennpunkten zusammengeführt werden, um Gefahrensituationen zu neutralisieren. Verdächtige Personen werden kontrolliert, Gefahrenräume großflächig abgesperrt. Nachtkampffähigkeit ermöglicht den Einsatz rund um die Uhr."

Ziel seien die "Erhaltung und gegebenenfalls Wiederherstellung der Souveränität am Boden, in der Luft und im Cyberspace". "Der Abbau von militärischen Kernfähigkeiten" habe bereits bisher dazu geführt, dass das Heer "den verfassungsmäßigen Auftrag zur militärischen Landesverteidigung bereits heute nur mehr sehr eingeschränkt erfüllen kann".

Katastrophenhilfe und Friedenseinsätze

Daneben braucht es laut dem Bericht auch mehr Geld, um weitere zentrale Aufgaben des Militärs zu erfüllen. Dazu zählen Assistenzleistungen "im Rahmen der Bewältigung der Folgen der Klimakrise und technischen Katastrophen". Auch die "immer anspruchsvoller werdenden" Auslandseinsätze, insbesondere am Westbalkan, werden genannt. In Reaktion auf den Ukraine-Krieg verlegte das Bundesheer zuletzt 120 weitere Soldaten zur Verstärkung der EU-Friedenstruppe Eufor nach Sarajevo.

Diese Friedenseinsätze seien notwendig für eine aktive Teilnahme Österreichs an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, schließt der Bericht. Könne das Bundesheer die verfassungsmäßig festgeschriebene, bewaffnete Neutralität nicht erfüllen und keine Auslandseinsätze mehr bestreiten, drohe ein "internationaler Glaubwürdigkeitsverlust". Investitionen werden beispielsweise in den Cyber-Bereich, die ABC-Abwehrtruppe, die Luft- und vor allem auch Drohnenabwehr, sowie die Landstreitkräfte gefordert. Der Bericht fordert, das Budget des Heeres auf mindestens ein Prozent des BIPs zu erhöhen. Zusätzlich wird ein Investitionsrückstau von 16,2 Milliarden Euro beklagt.

Geld für das Heer forderte auch SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer bei einem Hintergrundgespräch am Donnerstagabend. "Es geht nicht darum, Österreich bis an die Zähne zu bewaffnen", meinte er. Es brauche aber Investitionen in die ABC-Truppe, die Blackout-Vorsorge und die Luft- und Panzerabwehr. Die Anschaffung neuer Kampfjets müsse angedacht werden. Ersatz für die aus Altersgründen ausgeschiedenen Saab-105-Jets gab es nicht, die Eurofighter sind aufgrund eines Vergleichs von Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) nicht nachtkampftauglich. Es liege in der Vergangenheit auch genug Schuld bei der SPÖ, so Laimer.

Neben der Anhebung des Wehretats in Richtung der Ein-Prozent-BIP-Hürde pochte Laimer auf ein Sonderbudget für Investitionen. Gemeinsam mit der FPÖ werde die SPÖ auch einen Antrag zur Einführung des "6+2"-Modells für den Wehrdienst (sechs Monate Grundwehrdienst plus zwei Monate Miliz-Übungen) einbringen.

Zahlen für Investitionen nennt FPÖ-Wehrsprecher Reinhard Bösch. Orientieren könne man sich an einem Zehntel von dem, was der deutsche Fonds für Investitionen in die Bundeswehr vorsehe, also zehn Milliarden Euro. Das Geld solle über mehrere Jahre verteilt werden, eine Milliarde Euro müsse schnellstmöglich in die Sanierung von Kasernen fließen.

Gerade bei der Luftabwehr müssten die Kräfte "massiv aufgewertet" werden. Zusätzlich zu dem Sonderbudget brauche es eine Anhebung des Regelbudgets. Bösch sieht eine Aufstockung auf rund 3,7 Milliarden Euro für machbar, "dann wären wir im Bereich von etwa einem Prozent des BIPs". Österreich müsse souverän entscheiden, eine EU-Armee lehnt der FPÖ-Politiker ab.

Neos wollen "europäische Perspektive"

Eine Berücksichtigung und Stärkung der "europäischen Perspektive" bei der Landesverteidigung fordert Neos-Wehrsprecher Douglas Hoyos. Es dürfe beim Budget nicht nur national gedacht werden, die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU müsse berücksichtigt werden. Die Neos verlangen Überlegungen zu einer gemeinsamen europäischen Beschaffung, Luftraumüberwachung und einem EU-Heer.

Auch Hoyos fordert neben einem Sonderbudget einen langfristigen Plan für ein höheres Regelbudget. Es müsse mitbedacht werden, dass neue Anschaffungen aus einem Sonderbudget langfristig wieder gewartet und weitentwickelt werden müssen, so Hoyos.

Im Fall einer Aufrüstung will Grünen-Wehsprecher Stögmüller den Fokus bei der Cyber-Verteidigung, dem Katastrophenschutz und bei Friedeneinsätzen setzen. Eine massive Aufrüstung etwa bei den Landstreitkräften sieht er nicht als die größte Priorität.

Von heute auf morgen lässt sich das Heer nicht aufrüsten. Im Zustandsbericht wird mit einer Dauer von zehn Jahren gerechnet. "Beschaffungen bei Ausrüstung, Fahrzeugen, Waffen und sonstigen Gütern können, je nach Marktsituation und Vergabeverfahren, mehrere Jahre dauern."