Zehn Krankenwagen des Grünen Kreuzes sind gerade auf dem Weg von Wien in die Ukraine. Die Fahrzeuge, die unter anderem in den Fluchtkorridoren eingesetzt werden sollen, hat die griechisch-katholische Kirche der Rettungsorganisation zu einem symbolischen Preis abgekauft, die Stadt Wien steuert Sanitätsmaterial und Medikamente bei. Der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn hat die Fahrzeuge vor ihrer Abfahrt am Samstag vor der Pfarrkirche Neuottakring gesegnet. Der Kardinal trotzte dabei draußen Wind und Kälte, nachdem er zuvor drinnen in der Kirche gemeinsam mit Yuryi Kolasa, dem Generalvikar der von ihm geleiteten katholischen Ostkirchen in Österreich, das feierliche byzantinische Totengedenken ("Panachyda") für die Opfer des Krieges gebetet hatte.
Die Hilfe für die Vertriebenen in der Ukraine ist für Schönborn ein Herzensanliegen, war er doch selbst einst Vertriebener: Seine Familie musste im Herbst 1945 als Folge der Bene-Dekrete das heimatliche Schloss Gebharz in Vlastislav bei Leitmeritz in Böhmen verlassen. Dabei war sein Vater, der Maler Hugo-Damian Schönborn im Zweiten Weltkrieg in den Widerstand gegen das NS-Regime gegangen und 1944 in Belgien zu den Briten desertiert. Bei seiner Flucht war Christoph Schönborn neun Monate alt, sein älterer Bruder Philipp (er ist heute Fotograf in München) war zwei Jahre alt.

Begegnung mit Flüchtlingen: Kardinal Schönborn (M.) und Wiens Sozialstadtrat Peter Hacker (l.) in Neuottakring.
- © EDW / Stephan SchönlaubMutter Eleonore kam mit den beiden Söhnen bei Verwandten in Österreich unter, erst in Breiteneich bei Horn (Niederösterreich), dann in Graz und später in Schruns im Montafon (Vorarlberg), wo 1954 der dritte Bruder Michael (er wurde Schauspieler) zur Welt kam. Die "Wiener Zeitung" hat mit Kardinal Schönborn nach der Fahrzeugsegnung über den Krieg in der Ukraine und den Umgang mit den Flüchtlingen gesprochen.
"Wiener Zeitung": Wie kann man angesichts der Gräuel in der Ukraine nicht zum Zweifler werden? Wie kann man an einen Gott glauben, der so etwas zulässt?
Christoph Schönborn: Dass Gott dem Menschen den freien Willen gegeben hat, war ein großes Risiko. Die Alternative wäre, dass wir keine Freiheit hätten. Und diese Alternative ist Gottseidank nicht gegeben. Die einzige Antwort auf die Grausamkeit ist, das Gegenteil zu tun. Und das tun sehr viele Menschen, Gottseidank, man sieht es ja. Das war die Antwort auf jeden Krieg, dass es Menschen gegeben hat, die gesagt haben: Nein, es reicht!
Wird das auch eine Kernbotschaft Ihrer Osterpredigt sein? Die wird sich wohl um diese nächste Krise nach Corona drehen?
Erstens sind wir noch nicht nach Corona, und zweitens wird es immer Krisen geben. Wir dürfen nicht so tun, als wäre Syrien schon vorbei. Ich war im Oktober dort. Der Fokus ist immer auf die aktuelle Krise gelegt, aber die endemischen Krisen oder die andauernden Krisen dürfen nicht vergessen werden. Es ist unendlich viel Not auf dieser Welt, und wir können nicht alle Not lindern. Aber wir können die Not lindern, die vor unserer Haustüre ist.
Ukrainische Flüchtlinge werden jetzt mit offenen Armen aufgenommen, bekommen rasch eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Wie geht es Ihnen, wenn Sie hören, dass andere Asylwerbern ihnen das neiden?
Das kann ich verstehen. Für jemanden, der jahrelang in einem Asylverfahren ist, der jahrelang die Arbeitslosigkeit ertragen muss, der jahrelang in der Angst vor der Abschiebung leben muss - ja, das kann ich verstehen. Aber das eine tun und das andere nicht lassen?
Was kann die Kirche in so einer Situation tun außer humanitär helfen?
Beten. Wenn man glaubt, dass das Gebet etwas bewirkt, und ich glaube das. Ich kann es nicht beweisen, aber ich kann darauf vertrauen, dass es stimmt.
Von der Kirche wurde in den vergangenen Wochen gefordert, sie müsse mehr Quartiere bereitstellen, wo doch so viele kirchliche Immobilien leerstünden. Tut die Kirche da jetzt genug?
Was heißt denn "die Kirche"? Es gibt sehr viele Pfarrgemeinde, die bereits Flüchtlinge aufgenommen haben, Einzelpersonen genauso wie ganze Gemeinden. Es gibt die Caritas als Teil der Katholischen Kirche, die schon seit Jahren in der Ukraine intensiv tätig ist, auch im Osten der Ukraine, und sie ist es hier. Ich kann nur allen sagen: Schimpft's nicht auf die Kirche, sondern tut's selber was - und Gottseidank tun auch sehr viele was. Am Hauptbahnhof helfen Menschen aus der Zivilgesellschaft, und das ist gut so. Alle sind gefordert.
Ihre Familie wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aus Böhmen vertrieben. Lässt sich Ihre eigene Flucht und die Aufnahme in Österreich damals mit der heutigen Situation vergleichen?
Im September 1945 war Österreich am Boden. Trotzdem haben viele geholfen. Wir waren unter den Hunderttausenden, die da angekommen sind. Wir erleben jetzt bei den Ukrainern, wie wichtig es ist, Verwandte zu haben. Wir sind damals auch in den ersten Jahren bei Verwandten untergekommen. Die haben uns Geflüchteten damals aufgenommen. So ist es jetzt auch mit den Ukrainern. In diesen Situationen ist die Familie der beste Zusammenhalt.
Haben Sie später Ihre Heimat besucht?
Ja. Sogar mein Geburtszimmer. Das gibt es heute noch, und da ist sogar ein kleines Museum daraus gemacht worden. Das Schloss, in dem ich geboren wurde, ist jetzt das Kulturzentrum der Gemeinde, und in meinem Geburtszimmer haben sie Fotos von mir aufgehängt.