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Sachslehner: "Da muss ich widersprechen"

Von Simon Rosner

Politik

ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner zu den Vorwürfen gegen die Volkspartei und einem Paradigmenwechsel.


"Wiener Zeitung": Die ÖVP hat die Funktion der Geschäftsführung und des Generalsekretariats erst zusammengelegt, nun aber wieder getrennt. Warum? 

Laura Sachslehner: Der Wunsch war, wieder einen stärkeren Fokus auf die Kommunikation nach außen zu legen, darum kümmere ich mich. Bundesgeschäftsführer Alexander Pröll ist für interne Organisation und das Kaufmännische zuständig. Gerade in einer Zeit vieler Krisen ist es sinnvoll, dass eine Generalsekretärin zu parteipolitischen Themen Stellung bezieht - oder wenn es Vorwürfe gibt, um Dinge geradezurücken.

Diese Vorwürfe gibt es, zuletzt die verspätete Veröffentlichung des Rechenschaftsbericht 2019 durch den Rechnungshof. Was dauert so lange?

Wir haben vor einiger Zeit alle Unterlagen geliefert, aber Rückfragen bekommen. Die wurden fristgerecht beantwortet, aber es gab wieder Rückfragen. Dass der Bericht sehr umfassend ist, liegt auch an der Größe der ÖVP. Jetzt liegt der Bericht bei den Wirtschaftsprüfern.

Müssen die sogenannten Beinschab-Studien des Finanzministeriums, oder zumindest Teile davon, der Partei zugerechnet werden?

Da muss ich widersprechen. Diese Studien wurden nicht von der ÖVP beauftragt und hatten auch keinen Nutzen für die Partei. Sie sind Teil eines Verfahrens, schauen wir, was rauskommt.

In den Studien wurde aber zu ÖVP-Politikern gefragt und das Team um Sebastian Kurz war offensichtlich involviert.

Sie formulieren in Ihrer Frage Anschuldigungen, die es gegen einzelne Personen gibt. Ich sage Ihnen, dass die Volkspartei diese Studien nicht in Auftrag gegeben und auch nicht profitiert hat.

Ihr Parteichef Karl Nehammer sagte im Dezember: Die ÖVP hat kein Korruptionsproblem. Was seither passierte: die Chats aus dem BMI, ein mutmaßlicher Postenschacher in der Justiz, Ermittlungen gegen Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, die vorübergehende U-Haft einer Ex-ÖVP-Ministerin. Hat die ÖVP doch ein Korruptionsproblem?

Den Vorwurf weise ich im Namen all unserer Funktionäre aufs Schärfste zurück. Das regt mich auch persönlich auf. Wenn es konkrete Vorwürfe gibt, braucht es Aufklärung und an dieser beteiligen wir uns. Wir sehen aber, wie viele dieser Vorwürfe eingestellt werden, erst kürzlich die Anzeige der SPÖ gegen Gernot Blümel. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Die Anzeigenpolitik der Opposition ist hiermit gescheitert und führt die politische Debatte ad absurdum.

"Die Aufgabe der Politik ist es, sich um die Anliegen der Menschen zu kümmern."

Die strafrechtliche Seite der Korruption ist das eine, aber korruptives Verhalten ist nicht immer mit einem Gesetzesbruch verbunden.

Die ÖVP ist eine Partei mit 600.000 Mitgliedern, 1.500 Bürgermeistern und über 20.000 Gemeinderäten. Es ist die Aufgabe der Politiker, nicht nur der ÖVP, mit Menschen zu kommunizieren und Anliegen weiterzuleiten. Das ist Bürgerservice, dabei wird nicht das Recht gebeugt.

Als Journalist habe ich schon mehrere Compliance-Schulungen gehabt. Gibt es solche in der ÖVP?

Ihre Frage suggeriert, dass die Volkspartei ein Problem hätte, Gesetze einzuhalten. Das ist nicht der Fall. Wir erleben, dass die ÖVP seit Monaten bewusst angepatzt wird. Wenn es Vorwürfe gibt, sind wir die Ersten, die sich an der Aufklärung beteiligen. Aber die Aufgabe der Politik ist es, sich um die Anliegen der Menschen zu kümmern.

Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling hat jüngst im U-Ausschuss erklärt, er habe solche Anliegen an die zuständigen Stellen weitergeleitet und habe sich nichts vorzuwerfen. Wenn ich aber als Beamter von einem Minister ein solches Bürgeranliegen bekomme, muss ich das nicht als Weisung verstehen?

Ich bin keine Juristin. Dort, wo es konkrete Vorwürfe gibt, soll die Justiz ihre Arbeit erledigen. Ich spreche von der öffentlichen Debatte, und da sehe ich, dass die normale Arbeit von Politikern, die einfach ihren Job erledigen und mit Menschen kommunizieren und eventuell Bürgeranliegen weitertragen, kriminalisiert wird.

Es ist klar, dass eine große Partei mit vielen Bürgeranliegen befasst wird. Aber ist es dann nicht umso wichtiger, ein Bewusstsein zu etablieren, was geht und was nicht?

Dieses Bewusstsein ist bei uns vorhanden. Deshalb muss ich dem Vorwurf, die ÖVP würde sich an gewisse Regeln nicht halten, ganz klar widersprechen.

Aber gibt es solche Schulungen?

Es gibt für neue Funktionsträger diverse Schulungen. Noch einmal: Ich widerspreche deshalb so vehement, weil in dem Moment, wo Sie diese Frage stellen . . .

Ich frage ja nur nach Compliance-Schulungen, die es in jedem Unternehmen gibt.

Aber Sie implizieren mit dieser Frage, wir hätten damit ein Problem. Aber das ist nicht vorhanden. Unsere Funktionäre leisten Großartiges, engagieren sich, arbeiten Tag für Tag für ihre Gemeinde, ihren Bezirk und ihr Bundesland.

"Politik ist doch gerade der Kontakt mit den Menschen"

Dieses Engagement, gerade auf kommunaler Ebene, wird ja niemandem abgesprochen. Aber auch dort kommt es immer wieder zu Ermittlungen und sogar Verurteilungen, selten aus böser Absicht, sondern weil Fehler passieren, da sich Vorschriften geändert haben.

Ich gebe Ihnen recht, dass Bürgermeister von unfassbar vielen Herausforderungen betroffen sind und ein riesiges Pensum zu schultern haben. Und zu Recht regt es viele dann auf, wenn ihre Arbeit, und dazu gehört der Austausch mit Bürgern, skandalisiert wird.

Das ist mir zu wenig. Es hat sich gesetzlich viel getan, dass das politische Leben regelt - Ausschreibungen, Vergabeverfahren oder auch, wie man mit Bürgeranliegen umgeht. Man gewinnt aber den Eindruck, dass die Politik, und das beziehe ich nicht nur auf die ÖVP, in dieser neuen Zeit noch nicht angekommen ist. Fehlt Professionalität?

Ich muss Ihnen noch einmal widersprechen. Es gibt unzählige Verantwortungsträger, vor allem auf Gemeindeebene, die jeden Tag viel leisten, denen man jetzt auch noch völlig zu Unrecht mangelnde Professionalität vorwirft.

Ohne Zweifel ist die Administration komplexer geworden. Gleichzeitig, wenn Fehler passieren, hört man selten, dass eben leider ein Fehler passiert sei, sondern man hört: Warum wird es skandalisiert?

Da muss man unterscheiden. Wenn es Fehler gibt oder konkrete Vorwürfe, muss man sich das selbstverständlich anschauen. Aber was passiert in der öffentlichen Debatte? Da wird die Arbeit eines Mandatars in unfassbarer Art skandalisiert. Die Arbeit eines Politikers ist es, sich um die Lebensrealitäten der Menschen zu kümmern. Anliegen weiterzuleiten, gehört dazu. Politik ist doch gerade der Kontakt mit den Menschen.

Transparenz wäre eine Option, damit es nicht skandalisiert wird. Ein Bürgeranliegen steht ja vielleicht einem anderen entgegen. Wenn es über SMS oder E-Mail weitergeleitet wird, ist es intransparent - und wenn es rauskommt, eine Affäre.

Grundsätzlich steht Transparenz nie etwas entgegen. Aber ich würde nicht behaupten, dass Vorgänge in diesem Land grundsätzlich intransparent wären.

Doch, das sind sie. Wir sind eines der wenigen EU-Länder, das kein Informationsfreiheitsgesetz hat.

Um es noch einmal festzuhalten: Politik ist kein Selbstzweck, Politiker sind nicht dazu da, Politiker zu sein, sondern um sich um Menschen und deren Anliegen zu kümmern. Wir haben der Bevölkerung gegenüber eine Pflicht, die wir zu erfüllen haben, natürlich unter Einhaltung aller Gesetze.

Aber die Frage ist ja, werden Bürgeranliegen nur dann weitergeleitet, wenn sie von einer Partei sind?

Es gab in den letzten Wochen in den Medien auch genug Berichte zu lesen, in denen es um Bürgeranliegen ging, die seitens der SPÖ weitergeleitet wurden. Das steht außer Frage.

Gelernte Österreicher werden kaum bestreiten, dass Freunderlwirtschaft andere Parteien auch betrifft. Aber wenn eine Partei attestieren muss, bei anderen sei es auch nicht besser, ist das keine beruhigende Antwort.

Zum Beispiel gibt es in Wien bei der SPÖ viele Vorgänge, die man sich anschauen muss. Zur Rolle der ÖVP kann ich nur sagen, wir sind die größte Partei Österreichs, getragen von unzähligen Funktionären, die sich für ihr Land einsetzen. Ich halte nichts von diesem Bild, wie die ÖVP nun dargestellt wird.

"Es hat einen Paradigmenwechsel gegeben"

Sehen Sie das veröffentlichte Bild als Hauptgrund, warum die ÖVP in Umfragen zuletzt nur mehr bei etwa 25 Prozent lag?

Wir haben in der Pandemie unpopuläre Maßnahmen treffen und Freiheiten beschränken müssen. Das war richtig, aber unpopulär. Umfragen sind eine Momentaufnahme, ich bin zuversichtlich, dass sie bald nach oben gehen.

Es gab auch populäre Maßnahmen, wie etwa den Teuerungsbonus und Bonuszahlungen für diverse Berufsgruppen. Die Bundesregierung war nicht gerade sparsam.

Es hat einen Paradigmenwechsel gegeben, dazu hat uns die Pandemie gezwungen. Wir mussten Geld in die Hand nehmen, um Menschen und Betriebe zu unterstützen. Und jetzt merken wir das bei den Teuerungen. Das ist eine Situation, die es so vorher nicht gab. Es stimmt, die politische Debatte war früher eine andere.

Ist der ÖVP dieser Paradigmenwechsel schwergefallen?

Nein, es war eine Notwendigkeit und jedem in der ÖVP war klar, dass daran kein Weg vorbeiführt. Aber natürlich ist es uns wichtig, dass ordentlich budgetiert wird und Geld nicht nur zum Verteilen da ist.

Also eher ein Intermezzo?

Das ist, wie in die Glaskugel zu schauen. Unsere Position ist grundsätzlich klar: Mit Steuergeld ist sparsam umzugehen. Wenn es aber spezielle Herausforderungen gibt und es notwendig ist, Geld in die Hand zu nehmen, werden wir das tun. Der Ukraine-Krieg wird Auswirkungen haben, an die wir teilweise noch gar nicht denken. Wir müssen ehrlich sein: Vieles ist noch ungewiss.

Ist die Position zu den Flüchtlingen aus der Ukraine auch ein Paradigmenwechsel?

Das sehe ich nicht so. Die Ukraine ist nur 500 Kilometer entfernt, wir leisten hier Nachbarschaftshilfe. 2022 unterscheidet sich fundamental von 2015.

Laura Sachslehner (27) ist seit Jahresbeginn Generalsekretärin der ÖVP, eine Funktion, die sie zuvor auch in der JVP ausgeübt hatte. Seit dem Vorjahr sitzt Sachslehner zudem im Wiener Gemeinderat.