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"Ich bin ja Ultra-Realo"

Von Simon Rosner

Politik
© Moritz Ziegler

Werner Kogler steht vor seiner Wiederwahl als grüner Parteichef. Ein Gespräch über den Diskurs in seiner Partei und die aktuelle Regierungsarbeit.


Diesen Samstag muss sich der Vizekanzler und grüne Parteichef Werner Kogler am Bundeskongress in Villach der Wiederwahl stellen. 2018 hatten ihn die Delegierten mit 99 Prozent gekürt, seither ist nicht gerade wenig passiert. Die Grünen zogen wieder in den Nationalrat ein und gingen erstmals im Bund in eine Regierung mit der ÖVP. Diese Koalition fällt beiden Partnern nicht gerade leicht, was vor einem Jahr auch beim letzten Bundeskongress spürbar war. Danach brachten die Grünen aber einige Anliegen, wie die CO2-Steuer und das Klimaticket, durch und sie sorgten dafür, dass Sebastian Kurz nicht mehr Kanzler ist.

"Wiener Zeitung": Vor einem Jahr haben Sie beim Bundeskongress die frühere Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou zitiert: "Regieren ist nichts für Lulus." Was heißt das?

Werner Kogler: Dass es nicht einfach ist und es öfter mal heiß wird im Maschinenraum. Und wenn es einmal so weit ist, muss man es auch durchhalten.

Gehen wir nur das vergangene Jahr kurz durch: Es begann mit einem Koalitionskonflikt und einer Zerreißprobe für die Grünen infolge der Abschiebungen von Kindern. Wie knapp war es damals, dass es zu viele nicht durchhalten?

Wir haben den Konflikt (mit der ÖVP, Anm.) offen ausgetragen, sind uns nicht viel schuldig geblieben, haben uns aber ausgesprochen. Die Wenigsten wissen, dass seit 2020 so viele humanitäre Bleiberechtsentscheide ausgestellt wurden wie viele Jahre davor nicht, auch unter roten Kanzlerschaften. Das ist auch Ergebnis eines Bemühens in die Richtung.

© Moritz Ziegler

Also das Wirken Karl Nehammers als Innenminister?

Es war ein Gesamtwirken. Die gesamte Stimmung hat gedreht. Es ist eben ein Unterschied, ob die Blauen mitregieren oder die Grünen.

Die Stimmung in der Partei ist infolge aber eher mittelgut geblieben, die Umfragen ebenso. Das Juniorpartnerschicksal war für manche schwer zu ertragen. Wie lange wäre das so weitergegangen?

Es geht nicht ums Ertragen und Leiden, sondern um die Leidenschaft, Inhalte umzusetzen. In der kurzen Zeit, wo das Thema war, haben wir uns mit dem Nationalratsklub, Länderorganisationen und Mitgliedern ausgetauscht und gute, offene Gespräche geführt. Und ich denke, dass die Grünen in weiterer Folge bewiesen haben, dass sie sowohl in der Regierung als auch im Nationalrat, der stabilere Faktor in dieser Regierungskonstellation sind.

Beim Bundeskongress vor einem Jahr scheiterte dann aber ein von Ihnen unterstützter Leitantrag.

Ich löse ein, was dort intendiert war. Sowohl ich als auch andere Regierungskolleginnen gehen jedes Jahr auf Tour zu den Mitgliedern. Jedes Mitglied wird mehrfach eingeladen. Auch jetzt gerade wieder. Und siehe da: Dieses Angebot wird angenommen. Wir brauchen auch eine breitere Legitimation, das war auch bei den Regierungsverhandlungen so. Da hat die Frage des Kompromisses eine Rolle gespielt, und sie ist essenziell. Wir sollten den demokratischen Kompromiss nicht diskreditieren. Regieren geht fast nur über Kompromisse, das war also eingepreist, auch wenn es sich für viele in der Praxis dann vielleicht anders angefühlt hat.

Erhalten Sie bei diesen Treffen viele negative Reaktionen?

Ganz wenige, eher umgekehrt. Wenn man sich nur defizitorientiert an die Welt heranwagt, verfällt man irgendwann. Aber das ist nicht grüne Mentalität, die hat schon ein kämpferisches Element. Ich bin ja Ultra-Realo, aber auf festem Fundament. Und grundsätzlich gilt: Nur wenn wir glauben, wir hätten die besseren Konzepte, sind wir noch nicht die besseren Menschen. Das erzeugt eine Verpflichtung, immer im Diskurs zu sein. Das ist zwar aufwendig, aber ohne diesen Diskurs wären Irritationen schwieriger handzuhaben. Die Diskursfähigkeit ist ein Asset von uns.

© Moritz Ziegler

Im Herbst 2021 kamen dann doch erste grüne Projekte: Klimaticket, Öko-Steuer, Lobautunnel-Aus. War damit alles anders in der Basis?

Auch davor wäre die Wirtschaftspolitik ohne uns anders gelaufen. Überall, wo es um investierende Elemente ging, ist es stark um Modernisierung gegangen, um Digitalisierung und Ökologisierung. Es waren locker fünf bis sechs Milliarden Euro an ökologischen Investitionen. Aus der vereinbarten einen Klimamilliarde sind fünf bis sechs geworden. Also diesen Unterschied kann man Klavier spielen. Und natürlich wird auch im Pflegebereich etwas kommen.

Wann?

Das sind ja größere gemeinsame Projekte. Das erste Fundament ist gezeichnet. Es geht um Ausbildungen, die mehrere hundert Millionen Euro in den kommenden Jahren brauchen. Und wir werden auch versuchen zu erreichen, die Gehälter in den klassischen Pflegeberufen, etwa in Altenheimen, signifikant zu erhöhen. Das kann gelingen, ist aber komplex, weil es mindestens 90 Träger mit teilweise unterschiedlichen Gehaltsschemata und Berufsgruppen gibt.

Wenn man Ministerräte heuer anschaut, gab’s die Impfpflicht, die ausgesetzt wurde, dazu die neue Maklergebühr, die Sommerzeit wurde verlängert, eine verbindliche Übung wird zum Pflichtfach, und auch das Kieferorthopädie-Gesetz wurde geändert. Große Projekte sind das nicht. Pausierte die Regierung?

Ende 2021 sind die großen gesetzlichen Brocken gekommen, danach die dazugehörigen Verordnungen. Aber erinnern wir uns bitte an den Jänner und Februar, wo bereits absehbar war, dass sich in Europa tektonisch viel verschieben wird. Das bedeutete für die Regierungsarbeit viel Arbeit: die diversen Maßnahmen, die budgetären Nachzieheffekte, die Auswirkungen der Teuerung.

© Moritz Ziegler

Die Abschaffung des Amtsgeheimnisses ist aber längst fertig, hängt aber immer noch.

Das ist was anderes. Diejenigen, die es bremsen, werden erklären müssen, wo sie Bedenken haben. Vielleicht ja auch zu Recht. Sie werden dazu von Kollegin Karoline Edtstadler, die ich positiv erwähnen will, und mir eingeladen. Sie wissen ganz genau, dass es von den Bundesländern und Kommunen blockiert wird.

Aber es hängt ja nicht nur das. Die Polizeireform, das Klimaschutzgesetz, die Antikorruptionsreform. . .

Vielleicht hat es damit zu tun, dass man nicht alles auf einmal macht. Jetzt haben wir das Parteiengesetz novelliert und in den Nationalrat eingebracht. Ja, es hat länger gedauert, als wir wollten, aber es zeigt, dass man dranbleiben muss. Auch die Post-Ibiza-Gesetze (Antikorruptionspaket, Anm.) wurden von grüner Seite geliefert.

Das hängt also noch in der Koordinierung mit der ÖVP?

Es gibt - und womöglich auch zu Recht - ein paar Einwendungen kleinerer Gemeinden. In der Tat ist es ein Unterschied, ob jemand Bundeskanzler werden will oder in den Gemeinderat einer kleinen Gemeinde. Man muss aufpassen, dass es nicht überschießend wird.

Der ÖVP konnte man zuletzt nicht vorwerfen, dass sie auf dem Geld sitzt. Die Kritik von Experten ging eher dahin, dass bei Hilfen und Unterstützungen zu viel Gießkanne dabei ist. Das kann ja nicht immer so weitergehen. Wird das noch zu einem Verteilungskampf?

Die Erkenntnis reift bei den Allerwenigsten, dass es massive Einschläge gibt, möglicherweise sogar für ein paar Jahre. Muss es deshalb einen bitterbösen Verteilungskampf geben? Ich meine Nein. Aber diejenigen, die mehr Lasten tragen können, werden auch mehr Lasten tragen müssen, damit es für jene, bei denen nichts mehr geht, nicht untragbar wird. In diesem Jahr sollen die Maßnahmen das untere Einkommensdrittel stärker betreffen. Da gibt es Konsens mit der ÖVP.

Das heißt konkret?

Steuersenkungen werden ja denen, die wenig verdienen, nichts bringen. Das, was aber alle brauchen, sind Grundnahrungsmittel wie Brot und Getreide. Da ginge wohl europarechtlich eine Senkung der Mehrwertsteuer sogar auf null. Es wäre eine Überlegung, in die man investieren kann - unter der Voraussetzung, dass es eben europarechtlich möglich ist und auch entlang einer Marktanalyse, ob Entlastungen auch an die Konsumenten weitergegeben werden.

Muss man, bei diesen Ausgaben, nicht irgendwann auf der Einnahmenseite auch etwas tun?

Die Frage wird man besser beurteilen können, wenn klar ist, wie sich die Zinsen entwickeln werden. Es kommt ja bereits Kritik auf, dass der Staat durch die Inflation viel mehr einnimmt durch die Mehrwertsteuer und die kalte Progression. Wenn es so sein sollte, wird es aber vielleicht möglich sein, dass man später keine Steuern erhöht.

Also kein Ende der kalten Progression?

Das steht in jedem Regierungsprogramm, hat aber nichts mit der Krisenbewältigung jetzt zu tun. Um Menschen mit weniger Einkommen zu entlasten, denke ich, gibt es andere Mittel.