Zum Hauptinhalt springen

Grüne segeln auf stabilerem Kurs

Von Martin Tschiderer

Politik
Beim grünen Bundeskongress 2021 gab es über eine verhinderte Statutenreform noch Widerstand gegen Parteichef Kogler.
© Fotokerschi.at / Werner Kerschbaummayr

Vor dem Bundeskongress am Samstag herrscht Ruhe in der Partei - ganz im Gegensatz zu jenem im vergangenen Jahr.


In einem Jahr kann sich viel ändern. Manchmal sogar fast alles. Das gilt auch und gerade für die Politik. Vor einem Jahr etwa hieß der Bundeskanzler noch Sebastian Kurz, die Umfragewerte waren stabil weit über 30 Prozent. Dann folgten die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsanwaltschaft (WKStA).

Bedrohlich war das anfangs aber nicht nur für die ÖVP - sondern auch für den Koalitionspartner. Der vergangene grüne Bundeskongress im Juni in Linz stand deshalb unter schwierigen Vorzeichen. Was tun bei einer Anklage? Die Grünen als selbst ernannte Anti-Korruptionspartei mussten sich nicht nur unangenehme Fragen von Medien gefallen lassen, auch die Basis war zunehmend verstimmt. Weiterregieren mit einem angeklagten Kanzler - ausgerechnet als Partei, die "saubere Politik" plakatierte? Oder doch die Koalition sprengen - mit ungewissen Folgen?

Erneuerung des Bundesparteivorstands

Ein knappes Jahr später sind diese grünen Sorgen Geschichte - gemeinsam mit Sebastian Kurz als Regierungschef. Mit seinem Nachfolger Karl Nehammer stand die Partei zwar in direktem Konflikt, als dieser noch Innenminister und damit für die Abschiebung von Kindern nach Georgien verantwortlich war. Das war allerdings im Jänner vergangenen Jahres. Und wer sich dieser Tage unter Grünen umhört, der hegt keine Zweifel, wie erleichtert man in der Partei ist, dass der oberste Ansprechpartner beim Koalitionspartner heute Nehammer und nicht mehr Kurz heißt.

Die Stimmung vor dem Bundeskongress am Samstag in Villach ist dementsprechend entspannt. Besonders im Vergleich zu jenem vor rund einem Jahr, vor dem Parteichef Werner Kogler und Klubobfrau Sigrid Maurer alle Hände voll zu tun hatten, das Brodeln an der Basis im Zaum zu halten und die staatspolitische Verantwortung einer Regierungsbeteiligung zu beschwören. Für die Wiederwahl Koglers gibt es am Samstag keinen Gegenkandidaten. Er soll für drei Jahre neuerlich zum Parteichef gekürt werden. Aufgepoppte Gerüchte über eine Amtsmüdigkeit Koglers dürften wenig Substanz haben. Auch eine Doppelspitze sehen die Grünen weiterhin nicht vor. Negative Überraschungen werden in Villach nicht erwartet.

Für grüne Regierungsprojekte soll es bergauf gehen, geht es nach Kogler und Gewessler.
© Fotokerschi.at / Werner Kerschbaum

Beim vergangenen Bundeskongress fand eine von Kogler forcierte Statutenänderung keine ausreichende Mehrheit - was als Zeichen des Widerstandes gegenüber Kogler interpretiert wurde. Die Änderung hatte die Urwahl des grünen Parteichefs zum Ziel, hätte diesem aber auch mehr Mitsprache bei der Erstellung von Wahllisten bringen sollen.

Diesmal steht, neben dem Ergebnis für den neuen alten Parteichef, vor allem eine doch weitreichendere Erneuerung des Bundesparteivorstands im Zentrum. Nina Tomaselli, Ewa Ernst-Dziedczic und Rudi Hemetsberger sollen ausscheiden. Als Nachfolger kandidieren etwa die Kärntner Landessprecherin Olga Voglauer, die sich im Frühjahr 2023 einer Landtagswahl stellen wird, die Wiener Nationalratsabgeordnete Meri Disoski und Eva Hammerer, Landessprecherin der Vorarlberger Grünen.

Parteispitze will "Absicherung von Loyalität"

Trotz der generellen Ruhe in den grünen Reihen, für die die Partei nicht immer bekannt war, mischt sich aber auch leise Kritik in den Ausblick auf den Parteitag. Sie beziehen sich vor allem auf das, was an Kogler und Maurer schon vor dem vergangenen Bundeskongress mitunter aus den eigenen Reihen kritisiert wurde: die Bemühung, kritische Stimmen öffentlich nicht allzu laut werden zu lassen.

"Die Namen zeigen schon, worum es der Parteispitze geht", sagt jemand aus den Reihen der grünen Abgeordneten zur "Wiener Zeitung". "Nämlich um die Sicherstellung von Loyalität." Disoski etwa sei durch Konformität bei der Umsetzung des Parteiwillens aufgefallen. Diesen Zug hat Disoski in ihrer Laufbahn auch an prominenter Stelle gelernt: Sie werkte einst als Büroleiterin der damaligen Wiener Stadtentwicklungs- und Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou. In deren Büro wurden auch an der Basis unbeliebte Projekte wie jenes am Heumarkt "durchgepeitscht". Die nun ausscheidende Ernst-Dziedcic war dagegen dafür bekannt, mitunter auch öffentlich ein wenig aus dem Kurs der Parteispitze auszuscheren - etwa rund um das Thema Migration.

Öl- und Gasausstieg als grünes Kernprojekt

Und dann ist da noch die Frau, die die grüne Handschrift in der Bundesregierung bisher vielleicht stärker geprägt hat als das restliche grüne Regierungsteam gemeinsam - und das künftig sogar noch stärker tun soll. Umwelt- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler, zum Start von Türkis-Grün als langjährige Geschäftsführerin von Global 2000 ins Regierungsamt "quereingestiegen", hat es in ihrem mächtigen Ressort mit so großem Etat wie Gestaltungsspielraum zu einiger politischer Statur gebracht. Das wird innerparteilich auch gesehen und geschätzt. "Das Wort ‚Quereinsteigerin’ habe ich für sie schon lange nicht mehr gehört", sagt ein grüner Mandatar zu dieser Zeitung. Gewessler soll am Parteitag zur Stellvertreterin Koglers aufsteigen und damit auch offiziell an zentraler Stelle des Parteiapparats verankert werden.

Der Aufbau der Ministerin zur "starken Frau" neben Kogler dürfte schon in Hinblick auf die kommende Nationalratswahl erfolgen (regulärer Termin wäre der Herbst 2024). Denn gerade aus ihrem Ressort sollen nach Klimaticket und der schlagzeilenträchtigen Evaluierung des Lobautunnels noch einige weitere weitere herzeigbare Erfolge kommen. So schwierig sich die (globale) politische Lage mit der weiter nicht besiegten Pandemie, Ukraine-Krieg und rasanter Teuerung auch für die türkis-grüne Bundesregierung nämlich noch gestalten wird: Zentrale grüne Themen erhalten dadurch mitunter Auftrieb. Oder wie es ein grüner Abgeordneter formuliert: "Auch die ÖVP versteht unser Anliegen des Öl- und Gasausstiegs jetzt besser als je zuvor."