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Was von der Veränderung blieb

Von Simon Rosner

Politik

Der Abschied Köstingers symbolisiert das Ende der türkisen Ära, in der erstaunlich wenig umgesetzt wurde. Eine Analyse.


Als Sebastian Kurz 2008 Chef der Jungen Volkspartei wurde, vernetzte er die gesamte Parteijugend. Elisabeth Köstinger war zu jener Zeit Bundesobfrau der Jungbauernschaft und von Anfang an dabei. Und als Kurz die Partei übernahm, holte er sie aus dem EU-Parlament zurück und machte sie zur Generalsekretärin, dann zur Ministerin.

Köstingers Rücktritt haftet damit auch etwas Symbolisches an, so kurz vor einem Parteitag, wo aus der "Neuen Volkspartei", wie sie Kurz taufte, wieder nur die "Volkspartei" werden soll. Und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens, auch wenn Kurz in Graz noch einen großen Auftritt erhalten wird, ist der Parteitag für die ÖVP ein Abschluss mit dieser am Ende nur fünfjährigen Periode. Zweitens, die Bilanz Köstingers als Landwirtschafts- und Tourismusministerin steht geradezu sinnbildlich für diese Ära, die der Volkspartei neuen Mut und Macht brachte. Von der aber erstaunlich wenig bleiben wird.

Versteht man Politik als Organisation und Reglementierung des gesellschaftlichen Lebens, dann lässt sich ihr Wirken in zwei Kategorien unterteilen: Administration und Transformation, also Verwalten auf der einen Seite und Verändern auf der anderen. In der Realität ist das nicht immer klar abgrenzbar und beides passiert ständig. Doch auf die Gewichtung kommt es an.

TransformativesVersprechen

In der Zweiten Republik gab es Perioden, in denen primär verwaltet wurde, und solche, in denen die Transformation im Vordergrund stand. Das muss auch so sein, denn technischer Fortschritt und gesellschaftliche Evolution sind evident. Es geht immer weiter, und gelegentlich gibt es größere Sprünge. Daraus folgt, dass die Veränderung des Bestehenden, also der Gesetze und Strukturen in allen Lebensbereichen, eine Notwendigkeit darstellt.

Auf der anderen Seite ist die permanente Veränderung, eine Art Dauerreform, weder zielführend noch aushaltbar. Jede Weiterentwicklung braucht eine Phase der Konsolidierung, Evaluierung und Nachbesserung. Politisches Handeln bewegt sich daher zwingend in dieser Bipolarität.

Die türkise Ära wurde, nach einer langen Phase der Administration unter Rot-Schwarz, vom Wunsch vieler nach Transformation begleitet. Als Sebastian Kurz 2013 Außenminister wurde, zogen gleichzeitig die Neos ins Parlament ein, dazu das Team Stronach, fünf Jahre später flogen dafür die Grünen aus dem Nationalrat aus. Es waren bewegte Zeiten, und Kurz und seinem Team gelang es am besten, dies zu kanalisieren und zu inszenieren. Einmal frisch angestrichen, stand die alte, vergilbte Partei plötzlich für die ersehnte Veränderung: "Zeit für Neues". Die ÖVP konnte damit in Wählermilieus vorstoßen, die zuvor für sie unerreichbar waren.

Schon von Beginn an wurde dieser Inszenierung misstraut, und das Endergebnis gibt dieser Skepsis auch recht. Doch ein Blick auf Köstingers Bilanz offenbart ein differenzierteres Bild. Denn die Ministerin setzte zahlreiche Projekte in den diversen Bereichen ihres Ressorts auf, zweifellos auch professionell. So wurde eine eigene Eiweißstrategie entwickelt, um die Abhängigkeit von Sojaimporten zu reduzieren; das Verbot von Einwegplastik vorangetrieben und im Tourismus 2019 der "Plan T" präsentiert, ein Masterplan zur Transformation dieses Sektors. Mit den Grünen war die Umsetzung dieses Plans vereinbart, doch nach wenigen Wochen kam Corona und aus der Umsetzung wurde bisher nichts.

Die Pandemie ist eine Erklärung. Denn bei einer derart tiefgreifenden Krise rückt automatisch die Administration in den Vordergrund. Eine weitere Erklärung ist, dass die ÖVP zunächst mit der FPÖ koalierte, einer Partei, die an Transformation grundsätzlich wenig Interesse hat. Es ist kein Zufall, dass sich im Regierungsprogramm mit den Grünen weit mehr transformative Elemente finden als im türkis-blauen. Freilich, das war damals selbst gewählt, wobei sonst nur eine Koalition mit der SPÖ rechnerisch möglich war, die Grünen waren nicht im Nationalrat vertreten.

Doch nun, als Juniorpartner in einer Regierung, hat die wiedergekehrte Ökopartei nach zwei Jahren mehr vorzuweisen als Türkis. Gewiss, manches ist in der Umsetzung einfach, anderes komplex. Doch gerade das Klimaticket war beispielsweise ein organisatorischer Kraftakt, bei dem auch die Bundesländer und Verkehrsverbünde am Verhandlungstisch saßen. Es geht also.

Umso bemerkenswerter, dass die "Neue Volkspartei" doch so wenige Vorhaben umsetzen konnte, sieht man von Steuerentlastungen ab. Abgesehen von der Zusammenlegung der Krankenkassen unter Türkis-Blau blieb die große Veränderung ein Versprechen. Und das, obwohl die ÖVP schon in den Verhandlungen mit den Grünen dank professioneller Vorarbeit und Analyse etliche konkrete Pläne vorlegen konnte. Und obwohl sie den Kanzler und die Mehrheit der Landeshauptleute stellte. Das sind eigentlich gute Voraussetzungen.

Das Interesse am Change-Prozess

Doch Politik kann mühsam sein. Und nun, am Ende dieser türkisen Periode, die am Samstag auch formal ausklingen wird, wirkt es beim Blick zurück so, als sei der "Neuen Volkspartei" sehr rasch die Geduld abhandengekommen, die versprochene Veränderung auf den Boden zu bringen.

Die teilweise im Detail ausgearbeiteten Papiere erzählen, dass nicht alles nur Inszenierung war und vermutlich auch die türkisen Jung-Politiker an das eigene Narrativ glaubten. Doch es wirkt, als sei es primär die Lust am Projekt selbst gewesen, also am technischen Vorgang eines "Change-Prozesses", wie es in Managerseminaren heißt, nicht an den Inhalten der Transformation. Vielleicht fehlte auch der ideologische Treiber, der den Grünen nicht abzusprechen ist. Und diesen Treiber braucht es bei Hindernissen.

Dafür spricht auch, dass nur wenige Türkise in die leidenschaftliche Auseinandersetzung um ihre Projekte gingen. Das tat auch Köstinger kaum. Und wenn, dann nur dort, wo es um die Vertretung landwirtschaftlicher Interessen ging, etwa bei ihrem Kampf gegen die Macht der Handelsketten, der Herkunftskennzeichnung von Fleisch und Milch oder dem Beharren auf Vollspaltenböden in der Schweinezucht. Doch das ist klassische Klientelpolitik, natürlich legitim, gilt aber der Wahrung des Bestehenden. Transformation ist es nicht.