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"ÖVP ist für interne Kämpfe anfällig"

Von Daniel Bischof

Politik

Der englische Politologe Kurt Richard Luther über die Zukunft der Volkspartei und die Gefahr parteiinterner Konflikte.


Zwei Altkanzler und der aktuelle Bundeskanzler fanden sich am Wochenende auf einer Bühne ein. Wolfgang Schüssel und Sebastian Kurz sprachen auf dem ÖVP-Bundesparteitag, bei dem Karl Nehammer mit 100 Prozent zum Parteichef gewählt wurde. Was die ÖVP-Politiker unterscheidet und wohin die Volkspartei nun steuern könnte, darüber sprach die "Wiener Zeitung" mit dem englischen Politologen Kurt Richard Luther von der Keele University.

Laut Luther war die "schwarze ÖVP" unter der Obmannschaft von Kurz nie verschwunden. Kurz wurde 2017 von der Volkspartei zwar mit einer beträchtlichen organisatorischen Autonomie ausgestattet. "Aber Parteiorganisationen sind meist sehr resistent gegen Veränderungen. Das gilt insbesondere für große, bürokratisierte Parteien, von denen die ÖVP als archetypischer Fall angesehen werden kann", sagt Luther. Die ÖVP sei eine 77 Jahre alte und europaweit vergleichsweise noch immer strikt organisierte Partei. Um diese grundlegend zu verändern, "da hätte es schon eine massive Anstrengung oder Krise gebraucht".

Eine solch grundlegende Veränderung der Parteistrukturen habe es unter Kurz aber nicht gegeben, sagt Luther. Laut dem Engländer ist zu erwarten, dass strukturell einerseits "der professionellere Kommunikations- und Kampagnenstil der neuen ÖVP" erhalten bleibt. "Das wurde auch durch die Inszenierung des Parteitags deutlich: Der sah vom Stil her noch sehr türkis aus." Andererseits würden Symbole der Ära-Kurz wie "die Spur Türkis im Logo" weitergeführt werden.

Unklarheit bei Europa-Linie

Was inhaltlich von Kurz übrig bleiben werde, sei noch schwieriger zu beurteilen. Kurz sei vor allem für seine restriktive Einwanderungspolitik und seinen Europa-Skeptizismus bekannt gewesen. Diese Politiken seien im Gegensatz "zum langfristigen europäischen Engagement und zu den viel genannten christlich-sozialen Werten der ÖVP gestanden".

In seiner Parteitagsrede habe Nehammer nun zwar "die harte Einwanderungspolitik verteidigt, was aus strategischen Gründen nachvollziehbar ist", sagt Luther. "Von Europa-Skeptizismus war darin aber nichts zu hören." Welche Bedeutung das habe, werde sich erst noch zeigen müssen.

Überhaupt habe Nehammers Parteitagsrede offengelassen, welche Politiken und welche der unterschiedlichen Positionen in der ÖVP er priorisieren werde. Die Rede habe alle Interessen und Gruppen in der Partei im gleichen Maße berücksichtigt. "Nur die soziale Solidarität hat Nehammer stärker betont als etwa Schüssel, dem ja immer soziale Kälte vorgeworfen wurde."

Bereits unter Kurz habe der Wirtschaftsbund, eine Teilorganisation der ÖVP, nicht mehr das innerparteiliche Gewicht gehabt, das er unter Schüssel hatte, sagt Luther: "Schüssel war auch 16 Jahre lang Generalsekretär des Wirtschaftsbundes." Zwar habe es Vorbehalte aus Wirtschaftsbund-Kreisen gegeben, dass Kurz sich wenig um traditionelle Wirtschaftspolitik und das Selbstverständnis der ÖVP als Wirtschaftspartei kümmere. Diese seien aber nur hinter vorgehaltener Hand geäußert worden, "um ihm bei Wahlen nicht zu schaden".

"Die Prioritäten von Kurz waren nicht nur bei der Europa- und Migrationspolitik viel weniger als die Fortsetzung traditioneller ÖVP-Politiken zu sehen, sondern eben auch bei der Wirtschaft: Schüssel stand für Privatisierungen und für die Betonung der Haushaltsdisziplin", sagt Luther. Die politischen Prioritäten von Kurz seien weniger klar gewesen.

Ein möglicher Richtungsstreit

"Kurz war stärker von Meinungsumfragen getrieben. Er verfolgte eher die Politikinhalte, um Macht zu erlangen, und nicht die Macht, um Politikinhalte zu erlangen." Allerdings müsse eingeräumt werden, dass Kurz auch weniger Zeit als Schüssel gehabt habe, sich Inhalten zu widmen. Denn die türkis-blaue Koalition sei frühzeitig zerbrochen, Türkis-Grün vor allem von der Pandemie geprägt gewesen. Zudem seien unter Türkis-Grün bedeutende Vorhaben in der Klima- und Umweltpolitik wie das Klimaticket und die ökosoziale Steuerreform umgesetzt worden.

Herausforderungen sieht Luther für die ÖVP einerseits beim Dauerthema politische Korruption, "bei dem sich die Vorwürfe vor allem auf die ÖVP fokussieren". Andererseits könnte ein Richtungsstreit infolge der globalen wirtschaftlichen Verwerfungen auftreten.

"Im Zuge der Pandemie haben sich bürgerliche Parteien besorgt gezeigt über übermäßige Staatsausgaben und staatliche Bevormundungen, die in individuelle und wirtschaftliche Freiheiten eingreifen. Solche Diskussionen gibt es in vielen Ländern, etwa in Großbritannien."

Chancen für die SPÖ

Zugleich werde die Politik in vielen Ländern wie Österreich in nächster Zeit vor allem vom "Umgang mit der Teuerung und dem Wirtschaftsabschwung geprägt sein", sagt Luther. Die politische Debatte darüber könnte "mittelfristig auf einem für die SPÖ günstigen Terrain ausgetragen werden".

Dieser Konflikt werde nicht nur zwischen den Parteien, sondern auch zwischen den Interessensgruppen in der ÖVP ausgefochten: "Sie haben sehr unterschiedliche Auffassungen über die Maßnahmen, die man in der Krise setzen sollte." Solche Spannungen seien zuletzt rund um Nehammers Denkanstoß zur Gewinnabschöpfung bei staatlichen und staatsnahen "Krisengewinnern" offensichtlich geworden.

Für die ÖVP problematisch sei, dass die Partei eine Organisationsstruktur habe, "die sie für interne Kämpfe disponiert", schildert Luther. Jahrelang sei die ÖVP daher auch für interne Spannungen, kurzlebige Parteichefs und starke Landeshauptleute gestanden. "Das hat die ÖVP gehindert, als entscheidender und geeinter Akteur aufzutreten."

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