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Verurteilungen von NS-Tätern sind kaum noch möglich

Von Raffael Reithofer

Politik
NS-Verbrechen blieben im Nachkriegsösterreich häufig ungeklärt.
© Bundesarchiv, Bild 101III-Altstadt-065-05 / Altstadt / CC-BY-SA 3.0

Es sei wohl zu spät, um NS-Verbrecher noch vor Gericht zu bringen, lautet das Resümee eines Berichts der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz.


"Aus juristischer Sicht wird so gut wie nichts mehr möglich sein. Das ist die bittere Wahrheit", stellt Zeithistoriker Winfried Garscha zur Frage, ob es in Österreich noch zu Verurteilungen von NS-Tätern kommen wird, bei der Präsentation des Abschlussberichts der Zentralen Österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz im Justizministerium fest. Der gemeinsam mit Claudia Kuretsidis-Haider und Siegfried Sanwald erstellte Bericht zur Ausforschung von NS-Täterinnen und -Tätern dient de facto eher der historischen Dokumentation der NS-Verbrechen und deren Auf-, genauer Nichtaufarbeitung durch die österreichische Nachkriegsjustiz.

Zwar hatten die Historiker den Anspruch, auch belastendes Material zu noch lebenden NS-Tätern zu finden, um dieses den Staatsanwaltschaften zur Verfügung zu stellen. Das aber scheiterte, da die meisten NS-Verbrecher bereits verstorben waren oder während der Nachforschungen verstarben. Bei den wenigen Täterinnen und Tätern, die noch leben, stehen auch rechtliche Erwägungen beispielsweise eine Verjährung von Mord bei minderjährigen Tätern gegen eine Wiederaufnahme von Ermittlungen.

94 Prozent der Urteile in der Besatzungszeit

94 Prozent der Gerichtsurteile wegen Mordes und anderer Tötungsdelikte entfielen bereits auf die Besatzungszeit, also die Jahre von 1945 bis 1955. Danach waren es nur mehr sechs Prozent und seit 1975 gab es laut Sanwald gar keine Verurteilungen mehr. Für Justizministerin Alma Zadić (Grüne) ist das zwar "bitter, wenngleich nicht sehr überraschend": "Die mangelnde Strafverfolgung von NS-Verbrechen durch die österreichische Justiz ist ein folgenschweres Versäumnis, das sich heute leider nicht mehr gutmachen lässt." Umso wichtiger sei deshalb die Erforschung der Geschichte: "Sie zu kennen, ist Voraussetzung dafür, unsere Gegenwart zu verstehen."

Wie groß das Desinteresse der Nachkriegsjustiz - wie auch der Nachkriegsgesellschaft - daran war, die Mitschuld der Österreicherinnen und Österreicher an den NS-Verbrechen zu klären, zeigt das Beispiel des SS-Mitglieds und Waffen-SS-Manns Oswin Merwald.

Merwald soll in Südtirol an der Erschießung von Zivilisten beteiligt gewesen sein. Der Nationalsozialist, der auch nach dem Zweiten Weltkrieg durch Widerbetätigung auffällig wurde, entzog sich den österreichischen Strafbehörden zunächst durch Flucht, kam aber später zurück und dürfte sich sicher gewesen sein, dass ihm in Österreich keine Strafverfolgung drohte. Denn: "1976 suchte er offenbar bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten (PVA) um eine Pension für die während der NS-Zeit erworbenen ‚Dienstzeiten‘ an", heißt es im Bericht. Zwar habe die PVA daraufhin im Innenministerium Merwalds Akt angefordert, jedoch nur, um dessen Pensionswürdigkeit festzustellen. Strafrechtlich passierte nichts.