Weil man das Ziel nicht in der geplanten Zeit erreicht hat, hat man die Zeit einfach verlängert: Ursprünglich sollten zwischen 2015 und 2021 österreichweit 75 Primärversorgungseinheiten entstehen. Also Gesundheitszentren, in denen ein Team aus Allgemeinmedizinern, Fachärztinnen diverser Richtungen, Pflegekräften und anderen Gesundheitsberufen zu patientenfreundlichen Öffnungszeiten flexibel und intensiv zusammenarbeitet. Aktuell sind es laut dem Dachverband der österreichischen Sozialversicherungsträger aber immer noch erst 36. Vor allem der Westen Österreichs ist diesbezüglich benachteiligt: In Tirol und Vorarlberg gibt es kein einziges Gesundheitszentrum dieser Art. Die Zeit, in der man auf 75 kommen möchte, wurde daher bis 2023 verlängert. Zudem soll der Ausbau dieser Einrichtungen nun einen kräftigen Schub erfahren.
Doch warum gestaltet sich die Umsetzung derart schwierig? Und: Wird es für die geplanten Zentren überhaupt genügend Ärzte geben? "Zuerst muss man mindestens drei Allgemeinmediziner finden, die es für die Gründung braucht. Dann sind weitere Schritte notwendig, bis es endlich zur Gründung kommt", sagte dazu der niederösterreichische Landesrat Martin Eichtinger (ÖVP) im Rahmen der Gesundheitstage in Seitenstetten. Diese wurden vom breit aufgestellten, wissenschaftlich begleiteten Verein Praevenire veranstaltet und fanden in der Vorwoche statt. "Der Weg zum Gesundheitszentrum ist nach wie vor unglaublich aufwendig", so Eichtinger. In Niederösterreich sind derzeit sechs der geplanten 14 Zentren bis 2023 umgesetzt. Ziel bis 2025 sind laut Eichtinger 20 Gesundheitszentren in Niederösterreich.
"Müssen einander menschlich und medizinisch verstehen"
Eine weitere Herausforderung sei dabei, dass es in einer Region mitunter zwar schon drei Allgemeinmediziner gibt – falls sich diese aber nicht untereinander verstehen, mache das eine Zentrengründung schwierig, ergänzte Thomas Holzgruber, Kammeramtsdirektor der Wiener Ärztekammer. Errichtet man von diesen Ärzten unabhängig ein Gesundheitszentrum, wären es auf einmal sechs Allgemeinmediziner in der Region. Das wäre nicht gerade effizient. Dass die Mediziner einander "menschlich und medizinisch verstehen müssen", sei also eine zusätzliche Hürde bei der Gründung.
Auch die Immobiliensuche sei "ein Horror", sagte Holzgruber. "Man braucht mindestens 300 Quadratmeter, am besten ebenerdig." Vor allem in der Stadt nicht einfach zu finden. Und: Viele wollen laut Holzgruber nicht an Ärzte vermieten. "Teilweise hätten wir das Team, aber keine Räumlichkeiten dazu."
In der Millionenstadt Wien sind derzeit acht Gesundheitszentren in Betrieb. Bis 2023 sollen es doppelt so viele sein und bis 2025 insgesamt 36, sagte Holzgruber. Aktuell ist auf der Wiedner Hauptstraße das nächste Zentrum kurz vor der Fertigstellung. Um dieses Mal im Zeitplan zu bleiben und den Gesamtausbau endlich voranzutreiben, habe man vor Kurzem eigene Ärzteteams gegründet, die mit ihren Kolleginnen und Kollegen darüber sprechen und diese beraten, so Holzgruber. "Denn wenn Politiker sagen, dass man Gesundheitszentren gründen soll, funktioniert das erfahrungsgemäß nicht so gut, wie wenn es andere Ärzte sagen."
Mehr Geld und eine Gesetzesänderung
Kernpunkt jedes Erfolges auf diesem Gebiet sei das Zusammenspiel von Ländern, Ärztekammern und Gemeinden. Geld und Gesetze befeuern diesen freilich ebenfalls. Und auch hier tut sich etwas. So hat der damalige Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) im Jänner dieses Jahres einen Ausbau der Primärversorgungseinheiten angekündigt. Dazu beitragen sollen einerseits 100 Millionen Euro, die Österreich von der EU bekommt, und andererseits eine Änderung der gesetzlichen Voraussetzungen zur Zentrengründung.
Mit den 100 Millionen Euro aus dem Europäischen Resilienzfonds können seit 1. Februar Förderungen beantragt werden. Was die Gesetzesänderung betrifft, so sollen bis Sommer die gesetzlichen Grundlagen an die Erfahrungen aus der Praxis angepasst werden, meinte Mückstein, der vor seiner Zeit als Minister selbst das erste Gesundheitszentrum in Wien-Mariahilf betrieben hatte. In die breit gefasste Formulierung "angepasst werden" falle zum Beispiel, dass das Auswahlverfahren für die Gründung vereinfacht werden soll. Diese soll schneller und unbürokratischer werden. Der Entwurf sieht auch vor, die Aufgabenprofile der unterschiedlichen Gesundheitsberufe, die in den Teams zusammenarbeiten, zu schärfen und zu erweitern.
Einer der zentralen Punkte ist jedoch, dass es künftig auch möglich sein soll, spezialisierte Zentren nur für Kinder und Jugendliche zu betreiben. Damit würde man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Denn auch die Kinder- und Jugendgesundheit weise "dramatische Mängel auf", sagte der Direktor der Wiener Arbeiterkammer, Christoph Klein. Die Defizite reichten von der Kinder- und Jugendheilkunde bis zu faktisch allen Therapiemodalitäten (Ergo-, Logo-, Physiotherapie). Mit dem Ergebnis, dass man zum Beispiel in Wien-Favoriten 18 Monate auf einen Therapieplatz für Kinder mit Autismus warte.
Der Grund dafür ist allerdings nicht, dass es zu wenige Kassenstellen gibt – zumindest nicht überall. Denn österreichweit sind laut Österreichischer Gesundheitskasse 9,3 Prozent aller Kassenstellen im Bereich der Kinderheilkunde unbesetzt. In der Allgemeinmedizin und der Gynäkologie gebe es ähnliche Lücken. Generell sind eher die Randgebiete in dieser Hinsicht problematisch, es ist also auch eine Frage der Verteilung.
40 Prozent der Absolventen gehen ins Ausland
Im Umkehrschluss heißt das dennoch, dass die nächste entscheidende Frage im Zusammenhang mit dem Ausbau der Gesundheitszentren ist: Könnte man die geplanten Zentren überhaupt mit Ärzten besetzen? Denn zu den unbesetzten Kassenstellen gesellt sich die Tatsache, dass etwa die Hälfte aller Kassenärzte in den kommenden zehn Jahren in Pension gehen werde, sagt dazu der Präsident der Österreichischen Ärztekammer Thomas Szekeres auf Nachfrage der "Wiener Zeitung".
Der Ärztemangel liege allerdings nicht in der Anzahl der Medizinstudentinnen und -studenten begründet, sondern in der Attraktivität des Arztberufes an sich, meint Szekeres. Konkret stünden einem jährlichen Bedarf von etwa 1.450 Ärztinnen und Ärzten 1.400 Absolventen gegenüber – 40 Prozent der Studenten gehen nach der Ausbildung jedoch ins Ausland. Vor allem Deutschland und die Schweiz seien verlockend. Meist gibt es dort mehr Geld, flexiblere Arbeitszeiten, flache Hierarchien und Kinderbetreuungsangebote: 48,5 Prozent der Ärzteschaft sind laut Ärztestatistik Frauen.
Die Grundidee der Gesundheitszentren sei daher zu begrüßen, sagt dazu Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien, um die ausgebildeten Mediziner auch im Land zu halten. Denn Teilzeit-Modelle und flexible Arbeitszeiten, die den Arztberuf attraktiver machen, seien hier möglich. Zudem habe man mit diesen die Möglichkeit geschaffen, dass frisch ausgebildete Ärzte eine Anstellung bekommen und nicht gleich die Risiken der Selbständigkeit auf sich nehmen müssen. Der nächste mögliche Haken bei der Besetzung der Gesundheitszentren ist jedoch laut Czypionka: Bei diesen arbeiten die Ärzte ja unter anderem intensiv mit Pflegekräften zusammen – und auch diese fehlen in Österreich massiv.