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"Dieses Gesetz können sich nur die Reicheren leisten"

Von Dagmar Weidinger

Politik

Die geplante Novelle des Kindschaftsrechts könnte für Alleinerzieherinnen schwerwiegende Folgen haben.


Im türkis-grünen Regierungsprogramm ist von einer Reform im Kindschaftsrecht zu lesen. Ein erstes, von Justizministerin Alma Zadic in Auftrag gegebenes Konzept steht, bald soll dieses in Begutachtung gehen. Die Wiener Anwältin Christine Kolbitsch, seit 30 Jahren im Familienrecht tätig, ist eine von mehreren kritischen Stimmen. Sie wird auch im Rahmen einer Pressekonferenz am 1. Juni ihre Bedenken äußern. Die "Wiener Zeitung" traf sie im Vorfeld, um zu erfahren, wie es um die Kontaktrechts- und Obsorgeverfahren im Moment bestellt ist - und wo sie Reformbedarf sieht.

"Wiener Zeitung": Zwei zentrale Ziele der letzten Reform des Familienrechts (KindNamRÄG 2013) waren die Verkürzung und Entschärfung der Verfahren. Wie ist Ihre Bilanz neun Jahre nach der Gesetzesänderung?

Christine Kolbitsch: Man muss leider sagen, dass das Ziel einer Verfahrensbeschleunigung nicht erreicht wurde. Im Gegenteil. Sehr viele Verfahren entwickeln sich heute erst auf dem Gerichtsweg zur Hochstrittigkeit. Das hat damit zu tun, dass durch die Reform neue Institutionen geschaffen wurden, insbesondere die Familiengerichtshilfe, die Eltern in einem strittigen Verfahren durchlaufen müssen. Vom Richter zur Familiengerichtshilfe, zur Elternberatung, zum Kinderbeistand und Sachverständigen, unter Umständen noch zum Jugendamt und manchmal sogar zur Polizei - da kommen Eltern schon auf sechs bis sieben Stationen. Früher waren die Verfahren insofern einfacher, als weniger Personen beteiligt waren.

Inwiefern befeuert das den Streit? Genaues Hinsehen könnte doch auch zu guten, nachhaltigen Lösungen führen?

Nehmen wir zwei Eltern, die im Streit auseinandergehen. Wenn sie nichts geregelt haben, verbleibt das Kind im Normalfall bei der Mutter. Der Vater wird dann einen Antrag auf gemeinsame Obsorge und ein bestimmtes Kontaktrecht, das er gerne hätte, stellen. Der Richter leitet diesen Antrag zur Stellungnahme an die Mutter weiter. Anstatt die beiden Parteien danach zu einer ersten Verhandlung zu sich zu holen, schicken viele Richter den Akt direkt zur Familiengerichtshilfe weiter, wo er vier Monate bis zu einem halben Jahr in Bearbeitung ist. In dieser Zeit ist aber nichts geregelt, was bedeutet, dass die Eltern weiter – manchmal täglich – über den Umgang streiten. Das facht die Konfliktdynamik ungeheuer an. Da würde es manchmal einen Richter brauchen, der sagt: Ich mache einen Zwischenbeschluss.

Wie lange dauert ein Verfahren im Schnitt und wieviel kostet es?

Ein strittiges Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren dauert in der Regel gute zwei Jahre und kann für beide Parteien zu Kosten von 20.000 bis 30.000 Euro führen. Das heißt, die Verlängerung der Verfahren geht auch mit einer massiven finanziellen Belastung der Eltern einher. Von der seelischen Belastung - vor allem für die Kinder - ganz zu schweigen.

In der letzten Reform kam es auch zur Einführung der sogenannten Familiengerichtshilfe, einer Institution, in der verschiedene psychosoziale Berufsgruppen zusammenarbeiten. Diese europaweit recht einzigartige Behörde wurde geschaffen, damit Eltern anstatt zum Sachverständigen zu geschulten Personen kommen. Sie sollen entweder eine Einigung erzielen oder eine Empfehlung für das Gericht abgeben. Ursprünglich sollte auch die Familiengerichtshilfe die Verfahren abkürzen. Was ist da schiefgegangen?

Ich habe mir diese Frage auch immer wieder gestellt und denke, dass es mit der Arbeitsweise der Familiengerichtshilfe zu tun hat. Diese unterscheidet sich grundlegend von jener der Sachverständigen. Sachverständige sind klinische Psychologinnen, die eine Zusatzausbildung gemacht haben, um gewisse klinisch-diagnostische Testverfahren durchzuführen, die über die Bindung des Kindes zu seinen Eltern Auskunft geben. Sicherlich gibt es auch immer wieder Kritik an diesen Stellungnahmen; im Großen und Ganzen wissen diese Expertinnen aber, was sie tun. Und ihre Ergebnisse basieren auf einer nachvollziehbaren Methodik. Die Familiengerichtshilfe wurde von Beginn an auch mit anderen Berufsgruppen ausgestattet, etwa Bildungswissenschaftlerinnen oder Sozialarbeiterinnen, die nicht diese Kompetenz mitbringen. Am Ende erhält man dann oft einen Bericht, in dem steht: Der Vater sagt, die Mutter sagt, und wir sagen das. Ein derartiges Ergebnis ist dann weder für die Eltern noch für die Anwältinnen und manchmal auch für die Richter nicht nachvollziehbar und somit als Entscheidungsgrundlage ungeeignet.  Durch diese Begutachtungen wird das Verfahren aber ungemein aufgehalten, da nun erst recht gerichtlich beeidete Sachverständige angefragt werden.

Was müsste sich ändern?

Tatsächlich müsste die Familiengerichtshilfe, um eine wirklich solide und verlässliche Entscheidungsgrundlage zu bieten, dieselben Testungen durchführen, wie es die Sachverständigen machen. Es müssten dort mehr qualifizierte Psychologinnen etabliert werden. Gespräche allein reichen als valide Entscheidungsgrundlage nicht aus und führen oft zu gravierenden Fehleinschätzungen. Nicht jeder Elternteil kann sich gleich gut präsentieren.

Kritiker sagen auch, dass es von Seiten der Familiengerichtshilfe (FGH) zu "institutioneller Gewalt" vor allem gegenüber Frauen kommt. Wie erleben Sie das in der Praxis Ihrer Mandantinnen?

Die FGH setzt Eltern zuweilen sehr unter Druck, da man ja unbedingt eine Lösung des Konfliktes erreichen will. Vor allem Mütter werden stark bedrängt, einer Einigung zuzustimmen. Meiner Meinung nach schaut die FGH viel zu wenig auf die Beziehung der Eltern vor der Trennung. Auf den Punkt gebracht: Gewalt wird bis auf ganz schwere Fälle, wo es eine Wegweisung gibt, die man nicht übersehen kann, nicht thematisiert. Vor allem psychische Gewalt stellt ein Tabu dar. Frauen dürfen in der Regel nicht einmal darüber sprechen.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Von psychischer Gewalt spricht man, wenn es während einer aufrechten Beziehung zu ständigen Abwertungen, Erniedrigungen, verbalen Beleidigungen, etc. einer Mutter kam. Und das in einer Art und Weise beziehungsweise in einem Ausmaß, in dem das eigentlich schon Psychoterror ist. Ich höre das von Klientinnen Tag für Tag: Wenn eine Frau mit der FGH über derartige Dinge sprechen will, wird ihr das Wort abgeschnitten. Dahinter steht die völlig absurde Annahme, Gewalt gegen die Mutter würde spurlos an einem Kind vorüber gehen. In der FGH wird den Frauen dann auch gesagt: Sie haben noch ein Problem auf der Beziehungsebene, das müssen sie mit dem Vater klären. Aber hier geht es um das Kind.

Seit der letzten Gesetzesreform kann es auch zu angeordneter Erziehungsberatung kommen. Ziel ist es, wie es die Bildungswissenschaftlerin Judit Barth-Richtarz formuliert, dass Konflikte bearbeitet und nicht durch die Zuweisung der Verantwortung an einen Elternteil – Stichwort alleinige Obsorge – vermieden werden. Barth-Richtarz meint auch, dass Konflikte und hinderliche Haltungen der Eltern im Zuge der Trennung veränderbar seien. Wie erleben Sie die angeordnete Elternberatung in der Praxis – löst sich da noch etwas?

Im Gegenteil, der Konflikt verschärft sich häufig in der Elternberatung, weil die Dynamik dort oft noch verstärkt wird. Zu einer Verbesserung kommt es in ganz wenigen Fällen. Die meisten Erziehungsberater greifen viel zu wenig ein, sodass immer neue Konflikte aufgerissen werden.

Wie sieht aber die Alternative in einer aufgeklärten Gesellschaft aus, die prinzipiell auf Kompromiss beziehungsweise Konsens setzt?

Mein Credo ist immer: Für die Eltern, die sich verstehen, ist es egal, ob es einen Beschluss gibt. Sie machen es sich ohnehin untereinander aus. Die anderen brauchen Profis, die ihnen die Entscheidung abnehmen. Dafür brauchen sie auch manchmal einen Richter, der sagt: So ist es jetzt. Gerade Eltern, die schon vor dem gerichtlichen Verfahren vieles probiert haben, wollen nicht ständig vermittelt bekommen: Wie unfähig sind Sie als Eltern, Sie müssen es doch schaffen, sich zu einigen! Viele Eltern sind nun einmal überfordert damit, oder es geht aufgrund bestimmter Konstellationen nicht. Darum sind sie ja bei Gericht. Und natürlich wird jeder Familienrichter im Sinne des Kindeswohles immer versuchen, eine Einigung zwischen den Eltern zu erzielen. Nur manchmal geht’s eben nicht. Diese Eltern haben ein Anrecht auf ein faires und in absehbarer Zeit zum Abschluss gebrachtes Verfahren.

Was würde es brauchen, damit dieser Trend nicht weiter in diese ungünstige Richtung geht? Beziehungsweise wo setzt das neue Gesetz an?

Zuerst geht es um die erwähnte Qualitätssicherung innerhalb der Familiengerichtshilfe. Abgesehen davon muss man aber schon hinterfragen: Braucht es überhaupt ein neues Gesetz? Denn Instrumente hat das Gesetz ja bereits, um das Verfahren in einigermaßen adäquater Dauer durchzuführen und zu einem guten Ergebnis zu kommen. Man muss das Gesetz, das es gibt, evaluieren, überdenken und schauen, was können wir in der Praxis besser machen. Ich würde meinen, es hängt sehr oft an den handelnden Personen.

Zwei zentrale Punkte im neuen Gesetz wären ein Automatismus der gemeinsamen Obsorge nach der Trennung sowie weitere Schritte in Richtung gleichteiliger Betreuung. Konkret soll ein verpflichtendes Betreuungsverhältnis der getrennten Eltern etabliert werden: Der hauptbetreuende Elternteil erhält zwei Drittel, der andere ein Drittel – also ein weiterer Schritt Richtung Doppelresidenz. Befürworter sprechen von modernen Forderungen, die die Gleichstellung vorantreiben sollen. Was sagen Sie dazu?

Das ganze Gesetz wird unter dem Schlagwort der Modernität verkauft. Natürlich muss man sagen, dass es dem gesamteuropäischen Trend entspricht. Die Intention des Gesetzes ist es, Väter mehr in die Verantwortung zu nehmen. Was mich stört ist, dass Väterrechte sehr gestärkt werden, Väterpflichten aber sehr weit nachhinken. Werfen wir doch einen konkreten Blick auf die österreichische Gesellschaft: Fünf Prozent aller Väter gehen in Karenz, aber nicht mehr als drei Monate. In Island gehen 96 Prozent aller Väter in Karenz. Um eine neue gesellschaftliche Realität zu schaffen, müsste man ganz woanders ansetzen! Man müsste das Karenzgeld aufwerten, etc. etc. Man kann doch nicht sagen, wir teilen das Kind zu ein und zwei Drittel auf und hoffen, dass Väter dadurch mehr ihre Verantwortung übernehmen – und das häufig in hochkonflikthaften Familien! Ich fürchte, mit einer derartigen Gesetzesänderung würden die Verfahren in Zukunft noch strittiger werden.

Befürworter von Modellen der gleichteiligen Betreuung erwarten sich eine Entspannung der Väter, da diese dann ihr Recht auf das Kind verbrieft hätten. Wenn es tatsächlich zwei anerkannte gleichwertige Wohnsitze gibt, könnte das nicht zur Deeskalation der Konflikte führen?

Frauen sollten sich gut überlegen, ob sie dem wirklich zustimmen wollen. Bis jetzt durfte eine Mutter innerhalb von Österreich ohne die Zustimmung des Kindesvaters übersiedeln. Sollte das Gesetz tatsächlich das Hauptaufenthaltsrecht aushebeln, bedeutet das nichts anderes, als dass sie in Zukunft, wenn sie zum Beispiel bisher in Wien gelebt haben, dann aber nach Klosterneuburg übersiedeln wollen, dies nicht ohne die Zustimmung des Ex-Partners tun können. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen neuen Partner, der woanders lebt, oder Sie finden einen neuen Job – egal, wenn der Kindesvater nicht möchte, dass Sie aus dem Grätzl wegziehen, werden Sie dortbleiben müssen. Ich will mir gar nicht ausmalen, was das für ein Gefängnis für Frauen wird! 

Es ist verständlich, dass die Doppelresidenz in strittigen Fällen nicht leicht umzusetzen ist, wo sehen Sie aber die Schwierigkeiten einer Drittelregelung?

Einen Automatismus von ein und zwei Drittel halte ich insofern für problematisch, als völlig außer Acht gelassen wird, von wem das Kind bisher in welchem Ausmaß betreut wurde. Es kann also sein, dass ein Kind plötzlich viel mehr Zeit mit einem Elternteil verbringen muss, der zu ihm in der Vergangenheit überhaupt keine Bindung aufgebaut hat. Das überfordert Kinder. Abgesehen davon wird das Drittel ja, unabhängig davon zugestanden, ob der getrennt lebende Elternteil überhaupt die zeitlichen Möglichkeiten hat, in dem Ausmaß die Betreuung zu übernehmen. Er betreut das Kind dann vielleicht gar nicht selbst, sondern übergibt es seiner Mutter, also der Großmutter des Kindes, seiner neuen Partnerin oder wem auch immer. Darüber hinaus führt diese Regelung auch zu einer massiven Reduktion des Unterhalts. Das wäre besonders für alleinerziehende Mütter katastrophal. Viele von ihnen können sich das schlicht nicht leisten. 

Wie sind die sozialen Folgen dieser möglichen Gesetzesänderung konkret einzuschätzen?

Das ist ein Gesetz, das sich nur die Mittelklasse und die Reicheren leisten können. Für getrennt lebende Eltern in der unteren Einkommensklasse wäre das eine Katastrophe. Man muss schon sehen, dass wir alle, die wir nun über das neue Gesetz diskutieren, in einer Lebenswelt angesiedelt sind, in der wir uns nicht vorstellen können, dass es eine große Anzahl von alleinerziehenden Müttern gibt, die sich jeden Monat überlegen müssen: Kann ich den Strom noch zahlen oder kaufe ich dem Kind noch ein Paar Turnschuhe? Man müsste sich noch mehr mit dieser Lebensrealität auseinandersetzen. Das erlebe ich auch bei vielen jungen Richtern, die aus einer Schicht kommen, in der es selbstverständlich ist, dass Väter Halbe-Halbe machen und zumindest drei Monate in Karenz gehen. Aber gehen Sie mal nach Favoriten in den Gemeindebau. Da sieht die Realität ganz anders aus.