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Schwieriger ÖVP-Hürdenlauf vor Neuwahlen

Von Karl Ettinger

Politik

Nach Tirol am 25. September wählen Niederösterreich, Salzburg und auch Kärnten spätestens 2023. Für ÖVP-Bundesparteichef Karl Nehammer wird das eine wichtige Standortbestimmung.


Wenn es sein muss, haut er auf den Tisch. Franz Hörl, Chef des Tiroler Wirtschaftbundes und harter Vertreter der Seilbahnwirtschaft, polterte, er habe kein Verständnis für "erbärmliche Auftritte" von langjährigen Funktionsträgern und "Möchtegern-Stars" in der ÖVP. Sein Ordnungsruf via "Tiroler Tageszeitung" galt offensichtlich dem Tiroler Wirtschaftskammerpräsidenten Christoph Walser, der öffentlich dagegen aufgemuckt hatte, dass Tirols scheidender ÖVP-Landeschef Landeshauptmann Günther Platter am Montag den bisherigen Wirtschaftslandesrat Anton Mattle im Eilzugverfahren vom Landesparteivorstand zu seinem designierten Nachfolger hat küren lassen. Schließlich pfiffen es in Innsbruck die Spatzen von den Dächern, dass der Wirtschaftskammerchef selbst gern Platters Nachfolge angetreten hätte.

Wenn die Tiroler jetzt und in den kommenden Wochen eines nicht brauchen können, dann sind es interne Rangeleien. Schließlich steht nach einer Abmachung der bisherigen Koalitionspartner ÖVP und Grüne seit Mittwoch fest, dass die Landtagswahl in Tirol vom Frühjahr 2023 auf den 25. September in diesem Jahr vorgezogen wird. Der dafür notwendige Sanktus im Landtag am 24. Juni ist nur mehr ein Formalakt.

Der besonnene Anton Mattle hat sich in Tirol als langjähriger Bürgermeister von Galtür im Paznauntal einen guten Namen und bei der Lawinenkatastrophe in seiner Heimatgemeinde im Februar 1999 in jungen Jahren einen Ruf als Krisenmanager in Extremsituationen erarbeitet. Trotzdem hat er auch ohne Zwischenrufe alle Hände voll zu tun, um als Spitzenkandidat der ÖVP am 25. September einigermaßen gut abzuschneiden. Für die Tiroler ÖVP, die zu Zeiten von Landespatriarch Eduard Wallnöfer vor rund einem halben Jahrhundert satte absolute Mehrheiten einfuhr, ist ein drohender Absturz von gut 44 Prozent bei der Landtagswahl 2018 auf 35 Prozent oder sogar noch weniger, wie Umfragen vorhersagen, ein nicht unrealistisches Schreckensszenario.

Mit dem 59-jährigen Übergangskandidaten Mattle versucht die Tiroler ÖVP auch, einen Schlussstrich unter die wenig ruhmreiche Anfangsphase in der Corona-Pandemie zu ziehen. Im März 2020 war Tirol mit Ischgl europaweit in den Schlagzeilen. Allerdings nicht positiv, sondern unfreiwillig als Ballermann in den Alpen und verlieh Tirol damit unter den Augen der örtlichen Verantwortlichen und der Landespolitik in Innsbruck das peinliche Image der Corona-Virenschleuder.

Bewährungsprobe für den Platter-Nachfolger

Platters Nachfolger hat den Vorteil, 2020 nicht in der Landesregierung dabei gewesen zu sein, weil er erst vor gut einem Jahr Wirtschaftslandesrat geworden zu sein. Intern hat der designierte Tiroler Landeshauptmann darüber hinaus den Benefit, als Bauer und Inhaber eines kleinen Elektrogeschäfts bei Bauern- und Wirtschaftsbund vertreten zu sein und sowohl von den Problemen der Bauern als auch den kleinen Wirtschaftstreibenden etwas zu verstehen. Als Wahlkämpfer muss sich der ehrgeizige ÖVP-Politiker auf Landesebene allerdings erst beweisen.

Bundeskanzler Karl Nehammer, der zwar inzwischen ein halbes Jahr Regierungschef ist, aber selbst erst seit gut einem Monat offiziell gewählter ÖVP-Bundesparteiobmann ist, hat besonderes Interesse an einem möglichst guten Abschneiden Mattles bei der Landtagswahl am 25. September. Tirol zählt zu den schwarzen Kernländern, ohne die das Halten des ersten Platzes bei der Nationalratswahl illusorisch ist.

Noch mehr trifft das auf Niederösterreich zu, und zwar nicht nur aufgrund der mehr als doppelt so hohen Zahl an Wählern. Es ist zugleich das Heimatbundesland Nehammers und dank der Achse zu Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner eine wichtige Basis für jeden ÖVP-Bundesparteiobmann. Auch für Sebastian Kurz war die besondere Unterstützung der "Hanni" ein günstigeres Sprungbrett für den Aufstieg in der Volkspartei nach der Machtübernahme von Reinhold Mitterlehner im Frühjahr 2017 als Wien.

Mikl-Leitner droht der Verlust der absoluten Mehrheit

Niederösterreich eint mit Tirol, dass der nächste reguläre Termin für die Landtagswahl ebenfalls in die ersten Monate 2023 fällt, irgendwann zwischen Ende Jänner und März. Wegen der Befürchtung, in den Wintermonaten 2023 könnte die Pandemie die türkis-grüne Bundesregierung und auch Niederösterreichs Landespolitik erneut voll im Würgegriff haben, kursierten schon vor Monaten Spekulationen, auch in Niederösterreich könnte die Landtagswahl auf den Herbst dieses Jahres vorverlegt werden. Die ÖVP, die mit Mikl-Leitner im Jänner 2018 "arschknapp" (Copyright Alexander Van der Bellen) eine absolute Mehrheit holte, hat dies bisher als Spintisiererei vom Tisch gewischt.

Die frühere Innenministerin und den designierten Tiroler ÖVP-Chef Mattle eint allerdings noch ein anderes Faktum: Auch der stets umtriebigen Landeshauptfrau und ihrer Partei wird in Umfragen bei der nächsten Wahl ein Schrumpfen vorhergesagt. Allerdings auf höherem Niveau, von knapp 50 Prozent auf um die 42 Prozent.

Der Unterschied zu Tirol ist auch, dass in Niederösterreich nach wie vor ein Proporzsystem und kein Koalitionssystem wie in Innsbruck gilt. Das bedeutet, jede Partei ist ab einer gewissen Stimmenstärke von rund zehn Prozent automatisch in der Landesregierung vertreten. Während in Tirol seit 2013 Schwarz-Grün regiert, führt Mikl-Leitner eine Landesregierung an, in der auch SPÖ und FPÖ sitzen. An einem herrscht lange vor der nächsten Landtagswahl in St. Pölten kein Zweifel. Die ÖVP wird selbst bei einem deutlichen Absturz weiter um Längen vor der SPÖ stärkste Partei bleiben, den Anspruch auf den Landeshauptmannsessel wird ihr niemand ernsthaft streitig machen. Noch dazu, wo die SPÖ mit dem mundflinken Spitzenkandidaten Vizelandeshauptmann Franz Schnabl in Umfragen weiter bei maximal 25 Prozent der Stimmen dahindümpelt.

Auch wenn die ÖVP in Niederösterreich nichts von einer vorgezogenen Landtagswahl wissen will, versucht Mikl-Leitner emsig, der Bevölkerung vor Augen zu führen, wie unentbehrlich eine starke Volkspartei ist. Noch am Tag bevor die Bundesregierung ihr Anti-Teuerungspaket diese Woche vorgestellt hat, hat Mikl-Leitner öffentlich Druck für entsprechende Entlastungen gemacht.

Ein Wahlmisserfolg in Niederösterreich würde jedenfalls das Leben Nehammers als Bundeskanzler entschieden schwieriger machen als eine Schlappe in Tirol. Die unangenehmsten Nachrichten kommen für den ÖVP-Bundesparteiobmann derzeit von noch weiter westlich. Vorarlbergs ÖVP, sonst wie im Fußball-Toto-Jargon eine Einser-Bank für die Volkspartei, versinkt in der Affäre um den ÖVP-Wirtschaftsbund in diesen Wochen gerade wie die Bühne der Bregenzer Festspiele im Bodensee. Landeshauptmann Markus Wallner, der auch schon wieder ein gutes Jahrzehnt im Amt ist und damit schon zur alten Riege im Kreis der Landeshauptleute zählt, hat alle Mühe, den Kopf über Wasser zu halten.

Haslauer kam wegen Corona ins Straucheln

Dem Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer ging es im November 2021 ähnlich. Da drohte der ÖVP-Landeschef, der 2013 SPÖ-Landeshauptfrau Gabi Burgstaller nach einer Finanzaffäre vom Chefposten stürzen konnte, im Corona-Lockdown politisch unterzugehen. Mit haarsträubenden Aussagen über Experten stieß er diese und seine engeren Landsleute vor den Kopf. Salzburg ist neben Tirol, Niederösterreich und dem SPÖ-geführten Kärnten das vierte Bundesland, in dem der reguläre Termin der Landtagswahl in die erste Hälfte 2023 fällt. Salzburg hat insofern einen Sonderstatus, weil Haslauer dort eine Dreier-Koalition mit Grünen und Neos anführt.

Für Salzburg gilt wie für alle ÖVP-Landesorganisationen, die bald in eine Landtagswahl gehen müssen, auf Aufwind aus der Bundespartei dürfen sie nicht hoffen. Bei den Landtagswahlen 2018 war das noch ganz anders. Da strahlte der Stern des Sebastian Kurz so hell und unbefleckt von irgendwelchen Korruptionsvorwürfen, dass die Wähler im hintersten Salzburger Pinzgau, im noblen Baden in Niederösterreich und im Tiroler Außerfern gehörig geblendet waren.

Noch dazu haben sich die Begleitumstände völlig gewandelt. 2018 war Österreich in einer Hochkonjunkturphase. Jetzt verteilt die Bundesregierung mit dem Anti-Teuerungspaket zwar Milliarden, dumpfe Begleittöne dämpfen aber die Stimmung der Österreicher und sorgen für Verunsicherung - von der Rekordteuerung bis zu den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine. Nicht einmal die Pandemie macht wirklich Sommerpause. Nehammer kommt also automatisch ins Schwitzen.